Fantasy-Roman "Tintentod":Genuscheltes Fantasy-Esperanto

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Heute erscheint das Buch "Tintentod", der Abschluss von Cornelia Funkes "Tintenwelt"-Trilogie. Doch die Figuren bleiben flach, und der atemlose Roman spuckt den Leser am Ende aus.

Alex Rühle

Was für eine Erfolgsgeschichte: 500 000 "Tintentod"-Exemplare kommen heute in Deutschland in den Handel! Das "Time Magazine" wählt die Autorin zur wichtigsten Deutschen! Und während dieser letzte Band der Trilogie über die Macht des Lesens parallel in alle marktrelevanten Sprachen übersetzt wird, hat Hollywood gerade die Verfilmung des ersten Buchs abgeschlossen!

Cornelia Funke mit ihrem Buch "Tintenblut", dem zweiten Band der Trilogie. (Foto: Foto: dpa)

Es ist schon merkwürdig, in welch groteskem Gegensatz der Rummel um Cornelia Funkes "Tintenwelt"-Romane zu der darin beschrieben Welt steht, in der es kein Kino gibt, sondern nur Bücher, und diese meist als Unikate, vergessene Folianten, in Leder gebunden, versteckt in dunklen Bibliotheken.

Die reizvolle Grundidee dieses Fantasy-Epos' lag in seiner Selbstbezüglichkeit: Cornelia Funkes Trilogie ist eine Saga über die geradezu fantasmagorische Kraft des Lesens und des Schreibens. Im ersten Band vermag der Buchbinder Mortimer, kurz Mo, seiner Tochter Meggie so suggestiv, so plastisch vorzulesen, dass er, ohne das zu wollen, einige Bösewichter aus einem Buch herausliest; gleichzeitig verschwindet seine Frau im Sog derselben Geschichte um mittelalterliche Mächte und ein Buch im Buch.

Versprengt in den Wäldern

Im zweiten Band werden dann untergründig die Frage des Autors und seiner Autonomie verhandelt: Mo und seine Tochter setzen in "Tintenblut" ebenfalls über in die düstere Tintenwelt, in der nun ohnehin ein reger Grenzverkehr stattfindet: Selbst Fenoglio, der Autor des von Mortimer vorgelesenen Buchs im Buch, ist so fasziniert von den Geschehnissen, dass er sich in seine eigene Geschichte begibt, dort die Handlung fortschreiben will, aber erleben muss, wie sich seine Figuren während des Schreibens verselbständigen.

In "Tintentod" nun, dem dritten Band, (Cecilie Dressler Verlag, Hamburg 2007. 768 Seiten, 22,90 Euro) geht es letzten Endes um eine Schreibblockade: Fenoglio kann nicht mehr, er ist verstummt. Orpheus, sein hässlich dummer Epigone, hat das einzige Exemplar von Fenoglios Buch in seinen Besitz gebracht, aus dem er einzelne Handlungselemente neu zusammensetzt, sodass er die Welt zwar nach seinem Willen aber eben stümperhaft umschreibt, was den machtlosen Autor Fenoglio leiden lässt: "Was für eine blasse Figur! dachte Fenoglio verächtlich, während der Hänfling an ihm vorbeiritt. Offenbar besetzte diese Geschichte inzwischen selbst Hauptrollen mit billigen Nebendarstellern." Spricht da vielleicht auch das Unbehagen der eigentlichen Autorin an ihrem Werk?

"Tintenherz" und "Tintenblut" unterschieden sich insofern kategorisch von "Herr der Ringe" oder "Harry Potter", als es eben keine externe Parallelwelt gab, irgendwo weit hinter dem Horizont des Realitätsprinzips, sondern eine "literarische" Welt. Man musste nur emphatisch genug lesen, dann konnte man aus dem Hier und Jetzt in die grenzenlosen Räume hinter den Buchstaben und Wörtern gelangen. Dauernd kippte die Handlung von der Wirklichkeit in die Welt der Bücher und zurück. Jetzt aber, in "Tintentod", wo sich alle "eingelesen" haben in die Tintenwelt, fällt dieser flirrende Sprung zwischen Text und Wirklichkeit weg, nahezu alles findet nur noch "drüben" statt.

Die Tintenwelt selbst aber ist konventionellstes Fantasy-Setting: blutrünstiges Mittelalter, Ritter, bemooste Bäume, viele Tiere, übersinnliche Schwebeteilchen wie Elfen oder Todesengel. Es gibt einen grausamen Herrscher, Natternkopf, eine Art böser Amfortas, tödlich verwundet, aber zugleich unsterblich, der über die Stadt Ombra herrscht. Es gibt die Guten, versprengt in den Wäldern lebend; sie alle hoffen auf die Figur des Eichelhähers, die Fenoglio ersann. Mortimer, den sie ob seiner Lesegabe auch Zauberzunge nennen, schlüpft in diese erdachte Erlöserfigur, was freilich seinen Charakter so verändert, dass ihn Frau und Tochter nicht wiedererkennen.

Durch 740 Seiten geschoben

Die Namen ähneln dem internationalen Kulturesperanto anderer internationaler Fantasyerfolge: Entweder klingen sie nach Artussage - Mortimer, Elinor, Capricorn - oder nach italienischer Renaissance - Baptista, Jacopo, Cosimo. Dazu kommt einmal mehr die zersplitterte politische Ordnung des Mittelalters, der Herrschaftsbereich umfasst ungefähr einen Nachtritt, was sich enorm aufs Erzähltempo auswirkt, jeder kann schließlich dauernd überall sein.

Sicher, Cornelia Funke beherrscht das Plotting wie ein amerikanischer Thrillerexperte, die verschiedenen Handlungsstränge werden nach Cliffhangermanier ineinander verschoben. Aber man hat schnell Mitleid mit all den Figuren, wie sie am Ende eines jeden Kapitels schon wieder am Cliff hängen und dann zehn, zwanzig Seiten warten müssen, was sich Fenoglio, Orpheus oder Cornelia Funke als Nächstes für sie ausdenken.

Funke scheint diese exzessiv angewandte Technik selbst nicht zu behagen: Als ihr Alter Ego Fenoglio gegen Ende wieder schreiben und wenigstens zu Teilen das Ruder übernehmen kann, brennt es gerade wieder mal an allen Ecken und Enden: Er selbst versteckt sich zusammen mit Mortimers Tochter Meggie und vielen Kindern vor gemeinen Söldnern. Im anderen Handlungsstrang ist Mortimer in Lebensgefahr. Gerade hat Fenoglio angefangen, rettende Sätze für ihn zu Papier zu bringen, da kommen die bösen Häscher und wollen den Kindern ans Leben. "Fenoglio legte ein leeres Blatt auf das Brett. Zum Teufel, er hatte es noch nie gemocht, an zwei Geschichten gleichzeitig zu schreiben! ,Fenoglio! Was ist mit meinem Vater?' Meggie kniete neben ihm. Wie verzweifelt sie aussah! ,Der hat noch Zeit.' Fenoglio tauchte die Feder ein. ,Ich versprech dir, sobald ich das hier fertig habe, mach ich mich wieder an die Worte für den Eichelhäher.'"

Die Worte, die Worte: Da Funke das in den Vorgängerbänden angesammelte Riesenpersonal eigentlich nur vor sich hertreibt, immer straight in Richtung auf den manichäischen Showdown, bleibt keine Zeit, auch nur eine der Figuren tiefer zu beschrieben. So verläuft das eigene Lese-Erlebnis genau gegenläufig zu Mortimers Lektüre-Erlebnis: Während er "den Buchstaben das Atmen beibrachte" und durch die Wörter in die von ihnen evozierte Welt tauchte, spuckt einen dieser atemlose Text regelrecht aus, und man sieht papiernen Figuren dabei zu, wie sie flach und plan durch 740 Seiten geschoben werden.

© SZ vom 28.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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