"Esra"-Urteil revidiert:Zwischen Wahrheit und Fiktion

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Autor Maxim Biller und sein Verlag müssen keinen Schadenersatz zahlen: Das Oberlandesgericht München revidiert das "Esra"-Urteil. Hat die künstlerische Freiheit gesiegt?

Lothar Müller

Am 13. Februar 2008 hat das Landgericht München I den Autor Maxim Biller und den Verlag Kiepenheuer&Witsch dazu verurteilt, Schadensersatz in Höhe von 50000 Euro samt Zinsen und Prozesskosten an eine Klägerin zu zahlen, die sich in Billers Roman "Esra" erkennbar porträtiert und in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sah.

Beschäftigt die Gerichte: Autor Maxim Biller. (Foto: Foto: ddp)

Dieses Urteil hat das Oberlandesgericht München am Dienstag dieser Woche in einem Revisionsprozess aufgehoben.

Auf den ersten Blick sieht diese Entscheidung der höheren Instanz so aus, als sei sie in Etappensieg von Verlag und Autor, die sich seit Beginn der juristischen Auseinandersetzungen um Billers Roman stets auf die im Grundgesetz garantierte Kunstfreiheit berufen hatten.

Deren Einschränkung durch das Persönlichkeitsrecht hat aber im konkreten Fall das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 12. Oktober 2007 ausdrücklich bestätigt, als es das Verbot der Verbreitung und Veröffentlichung erneuerte.

Gleichzeitig aber scheint das Verfassungsgericht die Grundlagen dafür geschaffen zu haben, dass Autor und Verlag über das Verbot des Buches hinaus nicht auch noch einen Schadensersatz ertragen müssen.

Denn das Verfassungsgericht hatte festgestellt, dass es sich bei "Esra" um einen Roman handelt - und nicht, was ebenfalls denkbar gewesen wäre, um eine als Roman verkleidete private Abrechnung, also eine Schmähschrift.

Weil das Werk also in den Augen des Gerichts Kunstcharakter besitzt, entfällt die Schuldhaftigkeit von Autor und Verlag - sie sollen eben zuerst den Roman im Sinn gehabt haben.

Des weiteren hat das Oberlandesgericht nach Auskunft des Verlags nun in Betracht gezogen, dass die verschärften Anforderungen des Persönlichkeitsrechts - es reicht nunmehr aus, wenn in Romanfiguren eine reale Person "ohne wesentliche Abweichung von der Wirklichkeit" dargestellt wird - zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von "Esra" im Jahre 2003 noch nicht galten.

Auch sei die Frage, ob und in welcher Höhe ein Schadenersatz zu bezahlen sei, an die Größe des Schadens zu binden. Tatsächlich aber wurden von der ersten "Esra"-Auflage nur viertausend Exemplare gedruckt, von denen nicht alle am Tage des Verbots verkauft waren. Das Oberlandesgericht hat die Summe von 50.000 Euro für unverhältnismäßig gehalten.

Das Verbot der Publikation des Romans bleibt durch die nunmehr erfolgte Revision der Schadensersatz-Zubilligung unberührt. Der Autor Biller muss nun seinerseits entscheiden, ob es wirklich ausschließlich künstlerische Gründe sind, die ihn auf dem Text seines Romans beharren lassen.

Sein Kollege Alban Nikolai Herbst, dessen Roman "Meere"2003 aus vergleichbaren Gründen ebenfalls verboten wurde, hat in diesem Frühjahr durch geringfügige Änderungen die Freigabe des Buches erreicht - und die Änderungen als ästhetischen Gewinn verbucht: "Das Buch hat nun sogar noch eine Ebene hinzugewonnen und ist die letztgültige Gestalt des Romans".

© SZ vom 11.07.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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