Erfahrungssatter Selbstversuch:Ich will Linux!

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Da hat man seinen Computer endlich mit Mühen eingerichtet. Und dann findet man ihn nur noch doppelhaushälftig gediegen, unscheinbar und langweilig. Dabei will man doch das Wilde - und installiert Linux. Tja ...

Bernd Graff

GRUB. Nicht Grube und auch nicht Grab. Aber so etwas in der Art. Und genauso finster, Genossen, ganz finster. Denn außer diesem vermaledeiten "GRUB" steht nichts mehr auf dem Bildschirm. Schwarz wie die Grubengrabesnacht ist das gesamte Digital-Terrain - nur eben dieses blöde "GRUB" links oben in der Ecke. Das aber in schreienden Großbuchstaben. Und dahinter blinkt aufgeregt ein Unterstrich so hektisch, wie ein an Bluthochdruck leidender Pinscher mit seinem Stummelschwanz wedelt. Sonst nichts: Stillstand und Pinschergeblinke. Schweigen, Blinken, Fluchen.

"GRUB" und das Geblinke. That's all, Folks! Der Manager hat hier nichts erledigt - außer meinen Computer. (Foto: Foto: bgr)

Da hat die Menschheit 10000 Jahre Anlauf gebraucht, um so einen Hightech-Computer mit virtuellem Speicher, zentraler Recheneinheit, Festplatte, Grafikchips und überhaupt die gesamte Digitalisierung zu entwickeln. Da investiere ich ein kleines Vermögen, um mir diesen großen Schritt für die Menschheit in kleinen Ratenschritten leisten zu können. Und dann ist nichts mehr nach dem Einschalten des Geräts zu sehen außer dieser irre wedelnden Grabesruh in vier Buchstaben.

Ja doch! Bin selber schuld. Wenn es dem Esel zu bunt wird, dann geht er aufs Eis. Super. Geschieht mir doch ganz recht. Es lief ja alles. Ich hatte ja einen intakten, gut funktionierenden Computer. Nur: Er lief so, wie alle Computer laufen. Klein, doppelhaushälftig gediegen, unscheinbar, ein ungefährliches Vorortglück des Normalo-Users.

Und dann, ja doch!, ich muss auf die Idee kommen, ein neues Betriebssystem neben das alte zu installieren. Denn ich will ja das Wilde, Unbekannte, Riskante, Verwegene. Will Freiheit und Abenteuer jenseits der Bediener-Trampelpfade und des langweiligen Klickediklicke mit der Maus. Ich will Linux.

Weil ich mich nicht richtig traue, weil ich Neuland dann doch nur mit Sicherheitsgurt, kugelsicherer Weste, Reißleine, Sturzhelm und Auffangnetz betrete, darum habe ich mich entschieden, das gefährlich unbekannte Linux zusätzlich zu meinem Wald-und-Wiesen-Betriebssystem zu installieren. Denn, so die Idee, dann kann ich bei jedem Computerstart wählen, in welches Land mich das Gerät führen soll: Zurück ins Heim der Braven oder aber ins aufregend neue Home of the Brave. Und sollte das Neuland sich als nicht betretbar erweisen, ja dann hätte man es wenigstens versucht und wüsste, warum man sich im Kaminzimmer des Banalen nun endgültig einrichtet.

Das Optionsmenü, das mich beim Systemstart zwischen den Betriebssystem wählen lassen soll, so hatte ich in der Linux-Gebrauchsanweisung gelesen, heißt: GRUB. Man nennt es einen "Boot-Manager", weil es - vermutlich nach stets intensiven internen Verhandlungen, gewissermaßen B2B - den Computer auf die Spur bringt, ganz wie in Rio Reisers Manager-Song: "Mein Manager erledigt das für mich, ich hab'n Manager, 'n Manager."

"Grub" managt also, das ist sein Job. Daher ist es nicht völlig verwunderlich, dass sich der Computer nach dem Start dazu entschließt, auch einmal den Namen seines Verhandlungspartners aufzuführen. Warum auch nicht? Aber, Himmel!, dann hätte das Managen beginnen sollen. Quatsch: sollen - müssen! Doch es ist wie in der deutschen Wirtschaft: Der Manager erscheint pompös in Großbuchstaben, ein hektisches Gewusel und Geblinke setzt ein - und alles bleibt schwarz. Vermutlich die hohen Lohnnebenkosten oder der leidige Standort. Vielleicht sind alte Erlösmodelle weggebrochen oder man hat nicht genug Potenzial auf die Straße gebracht, um am Ende des Tages wenigstens wieder eine schwarze Null auf weißen Grund zu schreiben. Negativ. Egal: "Grub" hat hier nichts erledigt - außer meinen Computer.

Denn, auch das muss man sich nun klar machen: Das lieb gewonnene, einzig funktionierende Betriebssystem ist nun auch weg. Das heißt: Es ist bestimmt nicht weg, es liegt wie Dornröschen schlafend hinter unerreichbaren Schlossmauern auf meiner Festplatte und möchte bestimmt wach geküsst werden. Aber der Manager kommt ja nicht in die Puschen, sondern richtet sich die Krawatte am Burggraben. Pfft.

Was aber war bisher passiert?

Ich habe "Suse Linux 9.0 Professional" - drunter tue ich's ja nicht, auch wenn ich praktisch nichts von Linux weiß! - unter besagten Vorsichtsüberlegungen auf meinen Computer bringen wollen. Und habe mich erst einmal ziemlich gewundert. Denn die Installationsroutine hat ohne weiteres Zutun im Alleingang alle Bestandteile meines Computers sofort zuverlässig und korrekt erkannt: Maus, Grafikkarte, USB-Ports, Aufteilung der Festplatten usw. Das ist auch und gerade bei den Wald- und Wiesensystemen der kommerziellen Konkurrenz keine Selbstverständlichkeit.

Kommerzielle Konkurrenz? Ist Linux denn nicht auch ein kommerzielles Produkt? Ja und nein - mit starker Tendenz zu nein. Das ist es ja gerade: Linux ist ein so genanntes "Open Source"-Produkt und in aller Regel gratis. Es ist tatsächlich schwer zu begreifen, aber weltweit arbeiten täglich Tausende Programmierer kostenlos daran, Linux immer weiter aufzupäppeln, es einfacher und intuitiver bedienbar zu machen. Wobei Linux lediglich ein Oberbegriff ist für jede Art von Software: für das Betriebssystem, sicher. Aber auch für dazu passende Office-Anwendungen, Datenbanken, Bildbearbeitung, Music-Player. Open Source heißt dabei, dass der Quellcode jedes Programms offen liegt, also jeder Programmierer lesen, verstehen und verbessern kann, wie ein Programm funktioniert.

Gegründet von Linus Torvalds im Jahr 1991 steht Linux nun an, zu einer respektablen Alternative für die etablierten Produkte der Konkurrenz zu werden. So hat sich inzwischen die Stadt München entschieden, komplett auf Linux umzusteigen. Der Bundestag stand vor der Frage und entschied sie noch halbherzig, zahllose Anwender aber haben Linux inzwischen installiert. Vor allem seit der Entwicklung und Ausreifung des grafischen Desktops "KDE" sinken die Berührungsängste. Denn der lässt sich nun fast haargenau so bedienen, wie ein Normalnutzer gelernt hat, seinen Computer zu bedienen.

Ein weiteres Argument für Linux ist neben den geringen Kosten, dass die Linux-Programme auch auf die Daten aus anderen Betriebssystemen zugreifen, sie bearbeiten und in deren Format wieder abspeichern können. Außerdem steht Linux für Sicherheit: Keine Rechner-Abstürze, keine Computerviren, kein Datenverlust durch Angriffe aus dem Internet. Und darum hat sich gerade in den vergangenen Jahren der Reiz beträchtlich erhöht, eine der großen Linux-Distributionen, wie etwa die in Deutschland stark verbreitete von Suse, selber auszuprobieren.

Das also war der Plan: Mit Suse-Linux eröffne nun auch ich eine solche Parallelwelt in meinem Computer, die Daten des alten Systems und dessen Programmstruktur bleiben unangetastet, werden aber erkannt, bei Bedarf aufgerufen und verändert. Ansonsten lässt man sich in Ruhe. Aber ich wandere nach Lust und Laune zwischen den Welten.

Die Installation ließ ja dann auch nichts zu wünschen übrig: Linux erkannte meine Hardware geradezu fabelhaft, schrubbte während der Installation seine Daten auf die Festplatte und bat abschließend um einen Neustart zur endgültigen Fertigstellung. Was dann geschah, steht in vier dürren Buchstaben am Anfang dieses Textes...

Was aber tat ich dann? Mehr als "GRUB" war dem Rechner anfangs auch tatsächlich nicht mehr abzutrotzen. "GRUB" und das Geblinke. That's all, Folks! Ich habe also lernen müssen und habe in einer gar nicht mal so aufwändigen Operation hernach aus eigener Kraft den Master Boot Record reparieren können. Das heißt, dass ich gewissermaßen am krawattig nestelnden Manager vorbei wieder zu Dornröschen in die Doppelhaushälfte vorgestoßen bin. Dort aber konnte ich mich an der wieder gefundenen Ohrensessel-Gediegenheit noch immer nicht recht erfreuen. Alles funktionierte wieder - genauso zuverlässig wie langweilig.

Darum habe ich nach einer Weile - ja! - erneut die Installations-CD von Linux eingelegt, bereit und todesmutig genug, das Grub-Märtyrium zu wiederholen. Und siehe da: es geschah Folgendes: Ein neues Befehlsfenster erschien und fragte: "Auf diesem System scheint es bereits eine Linux-Installation zu geben. Wollen sie die nicht lieber starten?" Und wie ich wollte.

Auf dem Ticket reise ich nun seit ein paar Wochen relativ umständlich, aber immer erfolgreich: Ich locke das unsichtbare Linux mit der Drohung einer kompletten Neu-Installation aus seinem Versteck, es erschrickt offenbar beim Anblick der Installations-CD, lenkt dann - aber auch nur dann! - friedlich ein und bringt mich anschließend vor die Tore eines völlig intakten Systems. Und das läuft, surft, mailt, rumort im Netzwerk - alles tatsächlich so problemlos, dass ich mich gar nicht mehr wagemutig, sondern fast schon routiniert, daran gemacht, mit Linux zu arbeiten.

Dieser Text etwa ist, meine Mouse kann das bezeugen, mit "Open Office.org 1.1" unter Linux geschrieben. Eine tadellose Textverarbeitung mit heimeligem Look&Feel. Soviel ist sicher. Nur: Wo ist Manager Grub? Keine Ahnung. Hat sich aus dem Datenstaub gemacht. Ashes to Ashes. Verschwunden wie einst Major Tom. Man braucht ihn ja auch nicht - solange die Installations-CD hält. Und doch: Ab und an würde man gerne jemanden aus seiner Manager-Etage begrüßen. Denn, wie heißt es gleich bei BAP? "Do häss Ahnung vun dä Technik, vun der ich nix verstonn."

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