Enzensberger:Alles so schön bunt hier

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Hans Magnus Enzensberger klimpert mit Motiven der Geldtheorie. Und erfindet monetäre Geschichtsstunden mit Tante Fé.

Von Gustav Seibt

Man muss dran glauben, dann kann es, ganz wörtlich, Berge versetzen. Seit 2008 haben auch die Gebildeten unter seinen Verächtern neu gelernt, über die Menschheitserfindung des Geldes zu staunen. Sie ist ebenso alt und ebenso folgenreich wie die Erfindung von Göttern, und möglicherweise dauerhafter. Woher kommt es?

Für alle, die in den letzten Jahren keine Zeit hatten, die aktuellen einschlägigen Wälzer von Joseph Vogl oder Christoph Türcke zu lesen, hat Hans Magnus Enzensberger einen reich bebilderten Dialog-Roman geschrieben, der sich an einem Abend weglesen lässt und einen mit allen wichtigen Stichwörtern versorgt. Ob man danach am Ende alles verstanden hat, was die steinalte, humorvoll glaubenslose Erb- und Großtante Fé ihren Nichten und Neffen aus mittelständischem Beamtenhaushalt erklärt, ist nicht ganz sicher. Aber man kann ja Hausaufgaben machen - das verlangt nicht nur der deutsche Finanzminister von den Griechen, sondern auch Tante Fé von ihren jungen Verwandten.

Nein, das Geld kommt nicht vom Automaten oder vom Arbeitgeber

Sie erklärt, dass Geld nicht aus dem Automaten oder vom Arbeitgeber kommt, sondern das Resultat von Verabredungen ist, die nur durch millionenhafte Praxis Bestand haben, die ein abrupter Vertrauensverlust aber jeden Augenblick auch zusammenbrechen lassen kann; dass die Magie der Zahlen auf Marktsubjekte wirkt, die jeder Leidenschaft frönen, nur leider selten dem rationalen Kalkül. Mit spinetthafter Trockenheit klimpert Enzensberger die Leitmotive großer Theorien herunter, die eigentlich ein volles Orchester bräuchten, nämlich Definitionen und mathematische Formeln.

Das ist oft sehr lustig, etwa wenn die alte Tante Fé ihre jungen Verwandten zu einer Kunstauktion führt, bei der folgendes "Spitzenlos" den Höchstpreis erzielt: "Das war ein überlebensgroßer Schäferhund aus rosarotem Plexiglas. Er hatte vergoldete Ohren, und in seinem offenen Maul trug er eine kleine Gipsmadonna." Ist das nun ein "Sachwert" oder nur die passende Allegorie für die digitalen Fantastilliarden, die in der sogenannten "Finanzindustrie" ebenso blenderisch erzeugt werden wie auf dem Kunstmarkt? Das müssen wohl Jeff-Koons-Bewunderer unter sich ausmachen.

Das Buch selbst spielt in seiner äußeren Gestalt mit dieser Ästhetik des Bunten: Es ist auf schwerem Papier gedruckt wie ein Geschäftsbericht und als farbiges Bilderbuch angelegt, das die Verlockungen (und recht selten auch die Drohungen) des Geldes illustriert: Luxus und Leuchtreklamen, Schweizer Villen und Bankpaläste, Arbeitslose und Aktienpapiere flirren über die Seiten: Alles so schön bunt hier. Sollte es also kein Zufall sein, dass die Welt des Kommunismus so grau, so einfarbig war?

Den Tonfall greisenkindlicher Glaubenslosigkeit, den Enzensberger hier einmal mehr anschlägt, mag man aufklärerisch nennen oder als Anpassung an seinen Gegenstand empfinden, dem nichts heilig ist. Der ernste Kern des leichten Buchs ist lebensphilosophisch: Man soll sich nicht verrückt machen lassen vom Geld, auch der Erbtante, die selbst kurz in eine Finanzklemme gerät, nicht hinterherschleimen, sie bemerkt es ja doch.

Viele schöne Spruchweisheiten sammelt der Band in seinen grün gedruckten Marginalien, eine davon von Chamfort: "Das Geld verachten, heißt einen König absetzen, es gewährt Genuss." Der Trost ist aber schal für den, der gar keinen König zum Absetzen hat. Alle Versuche, soziale Gerechtigkeit zu erreichen, seien vergebens gewesen, weiß Tante Fé, und schon die Namen sind ein Argument dafür: von Spartacus bis Pol Pot. Gut also, dass dieses Buch geradezu geschenkt billig ist, zumindest für Reiche.

© SZ vom 27.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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