Elia Kazan:Das Leben fordern

Lesezeit: 4 min

Er war der Sündenbock, für immer und ewig, der Präzedenzfall. Er blieb im Fegefeuer der Öffentlichkeit, seiner Kritiker und seiner Kollegen - zum Tod des Filmemachers, Theaterregisseurs und Romanciers Elia Kazan.

Von Fritz Göttler

Es sollte keine Nachsicht für ihn geben, keine Möglichkeit einer echten Rehabilitation. Kein Vergeben und kein Vergessen, nicht mal die Gnade des Schweigens.

Elia Kazan (Foto: Foto: AP)

Ein Skandal von elementarer von biblischer Dimension: "Es muss ja Ärgernis kommen; doch weh dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!"

Elementar war auch, was Kazan auf die Leinwand brachte, Emotionen von einer Dichte und Unbedingtheit, wie man sie damals, Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger nicht mehr kannte.

Die Wucht dieser Filme, von "Streetcar Named Desire" und "On the Waterfront", von "East of Eden" und "Wild River", haben Amerika nach dem Krieg wieder geholfen, sein Gefühlsleben zu erneuern - die ganze Skala von Sehnsucht und Liebe und Verachtung und Hass.

Es ist diese Leistung, für die er den Dank seines Metiers, seines Landes verdient hat.

Die Neunziger waren noch einmal hart für Elia Kazan. 1996 hat er in Berlin einen Silbernen Bären ehrenhalber bekommen, 1997 hat man ihn wieder mal für den Life Achievement Award des American Film Institute in Erwägung gezogen, dann aber, moralischer Bedenken wegen, wieder ausgesondert.

1999 wurde ihm schließlich, nach einigem Zögern und trotz mancher Bedenken, der Ehren-Oscar für sein Lebenswerk zugedacht. Aber selbst die bestgemeinten Aktionen und Appelle, die Solidarität der jungen Generation, von Martin Scorsese bis Warren Beatty, ließen stets die alten Vorwürfe wieder hochkommen und das Glück der Anerkennung wurde vergällt durch den Hass der unversöhnlichen Gegner.

Viele wollten sich nicht erheben im Saal, als dem alten Mann am 21.März 1999 der Oscar überreicht wurde, verweigerten den Beifall. "Diese ganzen Vorwürfe gegen ihn!", meinte lakonisch einer, der ihn seit einem halben Jahrhundert kannte, Arthur Miller: "Sie sind zwar berechtigt, kommen aber viel zu spät."

Das Ärgernis, um das es ging, war am 10.April 1952 gekommen. An diesem Tag hatte Kazan vor dem Senatsausschuss für Unamerikanische Umtriebe ausgesagt, über seine relativ kurze Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei Amerikas in den Dreißigern.

Er hatte Namen genannt von Kollegen, von denen er wusste, dass sie Kommunisten waren - Namen, die in vielen Fällen den Behörden bereits bekannt waren.

Kazan konnte nach diesem Auftritt weiterarbeiten, während Freunde und Kollegen auf die Schwarze Liste kamen, gar - die Hollywood Ten - ins Gefängnis mussten.

Der Tag im April hat, so scheint es im nachhinein, das Ende vieler Hoffnungen in Hollywood markiert. Nicht dass er verraten hat, macht den Fall Kazan so singulär, sondern dass sein Werk bis dahin so unübersehbar dem Kampf um Aufrichtigkeit, Unbedingtheit, Treue sich selbst und den andern gegenüber verpflichtet war.

Dass seine jungen Helden - Marlon Brando, Warren Beatty, James Dean - sich aufrieben in dem Versuch, ihre Würde zu bewahren, sich nicht anzupassen an die elende prinzipienlose Gesellschaft.

Die Worte von Brando, der seine Zukunft als Boxer verraten hat in "On the Waterfront", klingen durch das gesamte Werk von Kazan (und Scorsese hat sie von De Niro wieder aufnehmen lassen am Ende von "Raging Bull)": "Ach Charlie, du verstehst nicht ... Ich hätte Klasse haben können. Ich hätte ein Herausforderer sein können. Ich hätte jemand werden können - und jetzt bin ich ein Nichtsnutz."

Kazan ist sehr schnell jemand geworden in der amerikanischen Gesellschaft, in die er sehr jung gekommen ist, geboren in der griechischen Familie Kazanjoglous in Konstantinopel - eine ethnische Minderheiten-Erfahrung.

Er hatte Erfolg am Broadway, war eine treibende Kraft im Actors' Studio in New York, wurde nach Hollywood gerufen für die Verfilmung der Stücke seines Freundes Tennessee Williams, die er am Broadway herausgebracht hatte, drehte "A Streetcar Named Desire" mit Brando und Vivien Leigh, "Baby Doll", mit Karl Malden und Carroll Baker.

1947 drehte er "Gentlemen's Agreement", eine kühle Abrechnung mit dem Antisemitismus in der amerikanischen Gesellschaft - und erhielt einen ersten Oscar dafür. Der zweite kam 1954 für "On the Waterfront", über Korruption in den Gewerkschaften, der in den Docks und über den Dächern von New York entstanden war.

Amerika bestraft all jene, die Erfolg haben, das ist eine bekannte Erfahrung - sie macht das free enterprise im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zum masochistisches Unterfangen.

Der Erfolg hat auch Kazan misstrauisch gemacht, den Bauernbub aus Anatolien, und er hat instinktiv sich gegen die Folgen des Erfolgs zu wappnen versucht.

Es ist schwierig, ins Innere dieses Werks zu gelangen, zu ahnen, was es bewegt, woraus es seine Kraft bezieht, und man tut sich ein wenig leichter, wenn man die angeblichen Nebenwerke betrachtet, wie "Splendor in the Grass" oder "Last Tycoon".

Überwältigend ist in diesen Filmen die Kraft der Liebe, eine Sinnlichkeit, die man sonst den großen Naiven Hollywoods zuschreibt. Auch wenn man ihn gern mit dem Drama assoziiert, als Filmemacher ist Kazan der Poesie verpflichtet, dem erinnerten Augenblick: "Though nothing can bring back the hour / Of splendour in the grass", wird in einem seiner Filme Wordsworth zitiert, "of glory in the flower, / We will grieve not, rather find / Strength in what remains behind ..."

Der splendor in the grass, das ist der Glanz des verlorenen Paradieses. Und das Paradies war für Kazan die Jugend, die Zeit der Unschuld, die er gesucht hat im Herzen von Amerika, in der Provinz: in Kansas und in Salinas, Kalifornien, und am Tennessee River.

Reiner und radikaler als er hat keiner die Tradition von Emerson, Inge, Fitzgerald gefunden - Kazan war einer der wenigen, die den letzten Tycoon Monroe Stahr verstanden.

Ich war nicht der Mann, der ich gern gewesen wäre, hat Kazan selbst einmal bekannt. Er hasste die Person, die er abgeben musste in der Öffentlichkeit. "The Anatolian Smile" hätte er seinen großen autobiografisch getönten Film "America, America" gern genannt - aber dieses Lächeln ist eine Fratze, hinter der man seine wahren Gefühle verbirgt.

Das Paradies von Kazan ist zugleich die Zeit von Amerikas gesellschaftlicher Depression - aber davon leben diese Filme, daraus gewinnen sie Überlebenskraft.

Die Geschichte sollte nicht ungeschrieben werden, hat Arthur Miller vor der Oscar-Verleihung zum Dilemma mit Kazan erklärt: "Was damals passierte, war wirklich eine Tragödie. Nun scheint man ein Melodram daraus machen zu wollen."

In diesem Genre-Wechsel könnte eine Erklärung liegen für die unversöhnlichen Vorwürfe gegen den Filmemacher, Theaterregisseur, Romancier Elia Kazan.

Und weshalb er diese Unversöhnlichkeit selber annehmen und erwidern musste. Am Sonntag ist er im Alter von 94 Jahren in New York gestorben.

© SZ vom 30.9.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: