Ein Verlag streikt:Heiße Luft im Digital-Regal

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Was es wirklich bedeutet, wenn Amazon keine Bücher von Diogenes verkauft.

LOTHAR MÜLLER

Einer stellt sich quer.

Der Diogenes Verlag in Zürich weigert sich, die Rabatt-Bedingungen des Online-Buchhändlers Amazon zu akzeptieren.

Amazon hat daraufhin die aktuellen Bücher von Diogenes aus dem Vertrieb genommen und verweist Kunden, die etwa einen Bestseller von Donna Leon oder Paolo Coelho anklicken, auf Zwischenhändler.

Und man kann den Unmut von Diogenes-Geschäftsführer Stefan Fritsch verstehen, wenn man im Branchen-Magazin "buchreport.express", das in seiner jüngsten Ausgabe den Fall publik gemacht hat, die Preisliste von Amazon liest.

Für die Präsentation "Autor des Monats" etwa berechnet Amazon 7500 Euro, für die "Neuheit der Woche" 5000 Euro, für "Themenartikel" 3500 Euro.

Das sind, so argumentiert Diogenes zurecht, Leistungen, wie sie jeder niedergelassene Buchhändler in seinem Schaufenster oder im Gespräch bietet, ohne sie eigens in Rechnung zu stellen.

Amazons Verwandlung von klassischen Selbstverständlichkeiten des Buchhandels in zu honorierende Sonderleistungen verbindet sich zudem mit einem immer stärkeren Verschärfung der Konditionen, unter denen Amazon den Verlagen die Bücher überhaupt abnimmt.

Die Rabatte, die Amazon als Großkunde verlangt, zielen auf die magische 50-Prozent Grenze.

Der Protest von Diogenes hat nun das große Verdienst, das Tauziehen zwischen Amazon und den Verlagen ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.

Ist Amazon tatsächlich in der Lage, immer härtere Konditionen durchzusetzen?

Das Internet-Handelsunternehmen Amazon ist der weltweit größte Online-Einzelhändler.

Das Unternehmen vertreibt nicht nur Bücher, sondern auch allerlei Produkte für Heim und Garten. Vor kurzem ist es auch in den Handel mit Schmuck eingestiegen.

Auf dem Buchmarkt gingen steigende Umsatzzahlen lange Zeit mit Verlusten in der Jahresbilanz einher.

Inzwischen erwirtschaftet Amazon auch beim Buchgeschäft Gewinne - in Deutschland bei insgesamt knapp sechs Prozent Marktanteil.

Dass sich der Online-Buchhandel auf einem schrumpfenden Markt so erfolgreich etablieren konnte, liegt nicht nur an der allgemein wachsenden Bedeutung des Internet.

Insbesondere der Marktführer Amazon lebt zudem von buchmarktspezifischen Voraussetzungen. Zu ihnen gehört die assoziative Verknüpfung des neuen, avanciert modernen Internet-Buchhandels mit der alten Vorstellung der Universalbibliothek.

In ihrer klassischen Gestalt lebte sie von der virtuellen Anwesenheit der Bücher aller Länder und Zeiten an einem einzigen Ort.

Im Internetauftritt von Amazon ist davon das Versprechen der schnellstmöglichen Beschaffung aller lieferbaren Bücher der Gegenwart und zunehmend auch der gebrauchten Bücher der jüngeren Vergangenheit geblieben.

Das verspricht der klassische Buchhandel zwar auch. Amazon aber kann eine Universalbibliothek simulieren, indem es auf Titel der Backlist verweist und das Einzelbuch mit seinen unmittelbaren (als Produkten desselben Autors) oder mittelbaren (thematisch verwandten) Geschwistern unmittelbar vernetzt.

Die Gefahr, die den Verlagen von immer schlechteren Rabatt-Konditionen seitens Amazon droht, ist offenkundig.

Wenn die Hälfte des Ladenpreises dem Handel zufällt, wird nicht nur der Spielraum in den Verhandlungen mit Autoren und Übersetzern enger.

Zugleich ist auf Dauer das berühmte System der "Mischkalkulation" betroffen, auf das die anspruchsvollen deutschsprachigen Literaturverlage zu Recht stolz sind.

Denn ein Effekt der immer höheren Rabattforderungen ist die allmähliche Zerstörung des inneren ökonomischen Ausgleichs zwischen den Büchern: Bislang bezahlen die Verkaufserfolge oder gar Bestseller das Minoritäre oder kalkulierbar Riskante mit.

Die Schmälerung von Eco-Erlösen lässt etwa beim Hanser Verlag die Verluste, die durch Lyrikbücher von Czeslaw Milosz oder Yves Bonnefoy entstehen, noch härter zu Buche schlagen.

Diogenes ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Literaturverlage mit einem breit gefächerten aktuellen Belletristik-Programm und modernene Klassikern von Tschechow über Georges Simenon bis Patricia Highsmith.

Donna Leon und Paolo Coelho sind Autoren mit eingebauter Bestsellergarantie.

Diogenes ist als Publikumsliebling eigentlich ein idealer Partner für Amazon, aber zugleich im traditionellen Buchhandel so umsatzstark, dass der Verlag es nun auf den Konflikt ankommen lassen kann.

Denn hier kämpft zwar ein mittelständischer Verlag gegen ein internationales Unternehmen. Doch stehen sich hier zwei gleichwertige Gegner gegenüber.

Denn zum einen kann auch Amazon einen Verlag, der dem Buchhandel dauerhaften Ertrag verspricht, nicht um seinen ganzen Gewinn bringen.

Zum anderen ist die Aura der Universalität und Allverfügbarkeit, mit der Amazon für seine Dienste wirbt, zugleich die Achillesferse des Unternehmens.

Amazon kann sich keine allzu auffälligen Lücken im Angebot leisten. Der Ausfall von Diogenes aber wäre auf Dauer ein unübersehbares Manko - und ein Versagen des gesamten Programms.

© SZ v. 02.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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