Eagles-Konzert in London:Als das Tote Meer nur krank war

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Glorreiche Rückkehr oder noch ein Altherren-Comeback, auf das man gut verzichten könnte? Das London-Konzert der Eagles, die gerade ihr erstes Studioalbum seit 28 Jahren veröffentlichten, sollte eigentlich Aufschluss geben. Eigentlich.

Irene Helmes, London

Wenn das musikgewordene Amerika der Siebziger nach London kommt, darf man gespannt sein. Vor allem, wenn es zum ersten Mal nach 28 Jahren wieder etwas Neues zu hören gibt. Die Eagles, eine der erfolgreichsten Bands ihrer Dekade, bringen nach großen privaten Querelen und rund sechsjähriger Bastelei im Studio ein neues Album heraus. Und haben zu diesem Anlass gestern Abend vor rund 1000 Fans und Journalisten in London gespielt.

(Foto: Foto: AP)

Ein kleiner Kulturschock kann da nicht ausbleiben, soviel wird schon am Eingang klar. Ein paar einheimische Seitenscheitel-Hipster, vom Alter potentielle Enkel der Musiker, haben sich zur Feier des Tages extra in Karohemden geworfen. Ansonsten macht der größte Teil der tausend Zuhörer einen recht gesetzten Eindruck - gelassene Vorfreude liegt in der Luft. Der futuristisch-bizarre Komplex um die O2-Arena dagegen ist neonblau beleuchtet und scheint die Einstimmung auf Good-Old-Country-Rock fast demonstrativ zu verweigern.

Dennoch - vom ersten Ton an stellt sich ein fast heimeliges Gefühl ein. Die Eagles, unverkennbar. Daran ändern auch die vier neuen Songs gleich zu Anfang nichts. "How Long", "Busy Being Fabulous", die Ballade "I Don't Want To Hear Any More" und "Guilty Of The Crime" - die Band bleibt sich treu, soviel steht fest.

Warum auch ein Erfolgsrezept ändern? 120 Millionen Tonträger sind im Laufe der Jahre verkauft worden. Fünf Alben haben es an Platz 1 der Charts geschafft und vier Grammys gingen an die Eagles, seit diese 1971 ihre erste Platte veröffentlichten. In ihren Songs ging es damals um staubige Straßen, Drinks und geheimnisvolle Frauen. Der Musikexpress sah in der Band nicht weniger als ein "Synonym für Amerika".

Vier Männer um die 60

Da sind sie nun wieder. Vier Männer um die 60. Don Henley, Glenn Frey, Joe Walsh und Timothy B. Schmit. Deutlich angeknittert vom Lauf der Zeit. Familienväter mittlerweile. Einige Tourneen haben sie seit Mitte der Neunziger zusammen absolviert, nun haben sie die Feuerprobe ihrer Versöhnung bestanden. Ihr Album ist fertig und sie haben sich nicht vorher gegenseitig umgebracht, wie Henley noch im Sommer medienwirksam im Interview mit E-Online in Aussicht gestellt hatte.

Eine Trompete leitet das unvermeidliche "Hotel California" ein. Mit diesem Lied können die Eagles nur gewinnen, und tatsächlich kommen aus dem Publikum die ersten hörbaren Jubelrufe. Immer weiter tauchen die Eagles in ihre musikalische Vergangenheit. Alte Erfolge wie "One Of These Nights" sind und bleiben Ohrwürmer. Doch auch die kritische Grenze zum unverbindlichen Gedudel ist nicht mehr weit.

Die Eagles tigern gemächlich über die Bühne, ohne Hast, ohne erkennbaren Drang, auch nur annähernd so etwas wie eine Show bieten zu wollen. Phasenweise stehen sie nebeneinander, als kämen sie auch ganz gut ohne die jeweils anderen zurecht.

Kommen sie schließlich auch, wie die diversen Splits und Solokarrieren der Bandgeschichte beweisen. Die Gründungsmitglieder Bernie Leadon und Randy Meisner verließen Mitte der siebziger Jahre die Band auf Nimmerwiedersehen, ihre Nachfolger wurden Joe Walsh und Timothy B. Schmit.1981 verkündeten die Eagles das Ende ihrer Zusammenarbeit. So duster war es geworden zwischen den "Sonnenschein-Rockern" ( Musikexpress), dass Henley versprach, eher werde "die Hölle zufrieren", als dass sich die Band wieder zusammenfinde.

Doch wie so oft: Aus viel Drama wurde - wenn auch erst nach 14 Jahren - eine nette Showbiz-Anekdote, als sich die Musiker irgendwann doch wieder ertragen konnten und 1995 konsequenterweise mit einem MTV-Konzert namens "Hell Freezes Over" ihr Comeback einleiteten.

Abgeklärt und gelassen

Von solch temperamentvollen Zeiten ist nicht mehr viel zu spüren in London. Abgeklärt und gelassen spielt die Band ihr Programm, als wäre nie etwas gewesen. Mit Henleys 1985er Solo-Hit "The Boys Of Summer" gerät das Publikum zum zweiten Mal in Fahrt, der Applaus scheint noch begeisterter als bei "Hotel California". Dann ufert das Konzert zusehends aus. Die Eagles singen in vielen wohlklingenden Akkorden Uuuhh und Aaahh, weiche Klangteppiche legen sich über den Raum. Schmit, Henley und Walsh stellen sich zur Abwechslung zu einer andächtig-kompakten Dreierformation zusammen.

Eine Einladung zum Mitklatschen bei "In The Long Run" verebbt relativ klanglos, umso theatralischer weist nun auf der Bühne der erhobene Zeigefinger des Sängers auf besonders gelungene Gitarrensoli von Joe Walsh hin, zeigt an die Decke, in die Luft.

Seit 2002 haben sie - mit Unterbrechungen - am neuen Doppelalbum "Long Road Out of Eden" gearbeitet. Der Rolling Stone lobt vor allem den zehnminütigen Titeltrack, der kritisch auf den Irakkrieg anspielt - "I can't tell wrong from right (...) Loaded on propaganda (...) The road to empire is a bloody stupid waste". Umweltzerstörung, das Klima, Gruppenzwang bei Teenagern - alles kommt dran in diesem Album. Mit Erfolg nicht nur beim Stone: Ein Kritiker der BBC befand immerhin, das Album sei "wesentlich besser als es verdient hat".

Späßlein unter Freunden

Doch sie sind nicht nur zurückgekommen, um zu predigen. Joe Walsh scheint auf der Bühne langsam aufzuwachen und verkündet fröhlich: "Wenn ich gewusst hätte, dass ich diesen Song den Rest meines Lebens spielen muss, hätte ich definitiv was anderes komponiert". Ein Späßlein unter Freunden, schon klar, denn das folgende "Life's Been Good To Me" ist sicherlich die originellste Darbietung des Abends.

Walshs Stimme ist verspielt, die Gitarre ziept und hüpft zwischen den Tönen, das Publikum freut sich, Walsh: "I'm Cool", Background: "He's Cool!"... Doch dann beugt sich Walsh bis in die Kniebeugen hinunter in die nächste monumentale Instrumentalpassage und da ist er wieder: der wohlbekannte Eagles-Sound. Ein paar kurze Minuten lang schien Variation möglich. Doch jetzt ist er wieder da.

Der Rest ist wenig überraschend. Die Band bedankt sich bei ihren zahlreichen Mitstreitern auf der Bühne. Vier Lieder weiter, darunter "Dirty Laundry", hat ein Herr in den hinteren Zuhörerreihen ein leidenschaftliches Luftgitarrensolo absolviert. An der Bar haben sich zwei Gestalten kurzzeitig zum Tanzen hinreißen lassen. Nach "Life In The Fast Lane" gibt es seltsam gefasst wirkende Standing Ovations. Fast anderthalb Stunden sind gespielt, als Dreingaben bietet die Band ihr unverwüstliches "Take It Easy" - garniert mit der wunderbaren Bemerkung "der Song ist so alt, damals war das Tote Meer nur krank". Beim letzten Lied gibt es mehrmals Zwischenapplaus, dann ein kräftiges Zuklatschen, und das Konzert ist vorbei.

Zurück bleibt eine gewisse Ratlosigkeit. 16 Songs plus zwei Zugaben, davon aber nur vier neue Songs vom großangekündigten neuen Album - das verwundert schon. Der Titel des neuen Songs "Business As Usual" scheint letztlich wie ein Omen: Treue Fans werden sowohl für das Konzert als auch für das neue Album dankbar sein. Aber auch Skeptiker bekommen ziemlich genau das, was sie erwarten.

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