"Dummy" sollte "Neger" heißen:"Natürlich ist das auch eine PR-Nummer"

Lesezeit: 4 min

Im Netz ist Wut: Das Magazin Dummy wollte seine Herbst-Ausgabe "Neger" nennen. Warum man nun zurückrudert - ein Interview mit Chefredakteur Oliver Gehrs.

Ruth Schneeberger

Darf ein Magazin "Neger" heißen? Die Chefredaktion von Dummy hat sich mit dieser Fragestellung ans Netz gewandt.

(Foto: Screenshot: blog.dummy-magazin.de)

"Wir hatten uns das nämlich so schön gedacht: Ein Magazin voller Geschichten über Schwarze, über Malcolm X, Obama, Hiphop, Roberto Blanco, den Sarotti-Mohr, über Rassismus und Afrika. 138 Seiten black power. Ein aufregendes, journalistisches Projekt. Wir wollten das Heft Dummy-"Neger" nennen, um gleich mal mit der Diskussion um inkriminierte Bezeichnungen loszulegen. Um Lust zu machen auf eine anregende Debatte fern einer beschränkten politischen Korrektheit. Wir recherchierten also, ob man denn überhaupt 'Neger' sagen darf. Und kamen zu dem Ergebnis: Man kann. Und mit einiger Hybris dachten wir sogar: Wenn, dann wir." Soweit Chefredakteur Oliver Gehrs im Dummy-Blog. Doch der Schuss ging nach hinten los.

Im Netz tobt seither der Bezeichnungskrieg. Dummy-Blog-Einträge voller Unverständnis, Hunderte E-Mails und Briefe, viele voller Wut. Und was macht Dummy? Zieht den Vorschlag zurück. Und stellt "Zehn Gründe, warum das Magazin nicht Neger heißen kann", ins Netz. Darunter: "Weil es wohl doch nur Helmut Schmidt nicht übel genommen wird, das Wort in den Mund zu nehmen", "Weil wir keine Lust auf weitere Hass-Mails haben". Oder: "Weil die beabsichtigte Dialektik, dass das Wort auf dem Cover eben nicht nur eine Personengruppe beschreibt, sondern den Diskurs um begriffliche Zuschreibung und Diskriminierung gleich mit, anscheinend von zu wenigen auf Anhieb verstanden wird".

War das wirklich nicht vorhersehbar? Ist das ganze vielleicht ein Akt von Aufmerksamkeits-Strategie? Nachgefragt bei Dummy-Chefredakteur Oliver Gehrs:

sueddeutsche.de: Herr Gehrs, wie kamen Sie auf die Idee, ihr Magazin "Neger" zu nennen?

Oliver Gehrs: Wir haben gedacht, das sei ein wichtiges Thema von gesellschaftlicher Relevanz - gerade in einem Land, das sich schwer tut mit der Einbürgerung von Fremden, und wo es noch viel unausgesprochene Diskriminierung gibt. Außerdem hat das Thema einen ganz hohen Glamour-Faktor. Black Power hat ja die Kultur ganz stark bereichert durch Film und Musik.

sueddeutsche.de: Haben Sie nicht mit einer Welle von Protest gerechnet?

Gehrs: Es wäre eine Lüge, zu sagen, wir hätten die Debatte nicht vorhergesehen. Wir wollten sie als Regulativ haben. Deshalb haben wir den Blog dazu benutzt, uns eines Besseren oder Schlechteren belehren zu lassen. Das Bild vom Journalisten hat sich ja gewandelt über das Mitspracherecht im Netz. Der Journalist ist nicht mehr der allwissende Fachmann. Erstaunlich ist aber das Maß an Verve, das wir in den Einträgen finden.

Lesen Sie weiter auf Seite 2 über Feindbilder und geschwärzte Titel.

sueddeutsche.de: Sie führen in den zehn Gründen, warum das Magazin nicht "Neger" heißen kann, als letzten an, dass Ihnen ein User "Angst gemacht" habe, weil er damit gedroht hat, dass "der Zeitpunkt kommen wird, an dem wir nicht mehr nur darum bitten, auf rassistische Bezeichnungen zu verzichten".

(Foto: Screenshot: blog.dummy-magazin.de)

Gehrs: Das war nur ein Scherz. Wir haben keine Angst. Wir sind allerdings erstaunt über das Drohpotential. Dieselben Leute, die für sich reklamieren, vor Rassismus warnen zu wollen, konterkarieren sich selbst mit ihren aggressiven Kommentaren und beschimpfen uns als Latte-Macchiato-trinkende Berlin-Mitte-Schreiber. Das scheint ein Feindbild zu sein. Ich hätte nicht gedacht, dass wir als links orientiertes Magazin einmal in den Verdacht geraten könnten, rassistisch zu sein. Wir dachten, dass jedem klar ist, dass wir eine politische Diskussion darüber anstoßen wollen, ob man "Neger" sagen darf. Im Blog haben wir es aber offenbar auch mit manchen recht soziopathischen Persönlichkeiten zu tun. Wer setzt sich denn von 16 bis 24 Uhr an den Computer und kommentiert wie wild? Teilweise ist das auch Verschwendung von Intellekt, denn das sind manchmal ganz luzide Kommentare. Und dann gibt es noch an die 100 Mails zu dem Thema, in denen die Leute teilweise noch mal ganz von vorne anfangen und uns fragen, ob wir denn gar nicht wussten, dass der Ausdruck "Neger" negativ konnotiert ist. Das empfinde ich schon fast als Frechheit.

sueddeutsche.de: Haben Sie auch positive Rückmeldungen bekommen?

Gehrs: Die Betroffenen waren am wenigsten in Aufruhr.

sueddeutsche.de: Sind Sie enttäuscht, dass das Projekt gescheitert ist?

Gehrs: Enttäuscht nicht. Es gab interessante Vorschläge, das Heft anders zu taufen. Beispielsweise, den Titel zu schwärzen.

sueddeutsche.de: Und der Vorschlag, das Heft "Kaffeebraun" zu nennen, den Sie nun auf Ihrer Homepage zeigen ...

Gehrs: War auch nur ein Spaß. Damit beziehen wir uns auf die Latte-Macchiato-trinkenden Berlin-Mitte-Journalisten.

sueddeutsche.de: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, das Ganze sei nur ein geschickter PR-Gag?

Gehrs: Das sehe ich eher als Lob denn als Vorwurf. Es stimmt auch zum Teil, dass wir unser Magazin über sowas ins Gespräch bringen. Natürlich ist das auch eine PR-Nummer, absolut. Wir fühlen uns aber gerechtfertigt. Das ist ein Thema, das unbehandelt und damit umso wichtiger bleibt, journalistisch herausragend. Es hat großen Spaß gemacht, sich dieser Herausforderung zu stellen. Und wir haben ein dickes Paket geschnürt: Wir haben eine Geschichte über die erste Schwarze, die eine weiße Schule besucht hat und von der US Army begleitet werden musste, eine Geschichte über den Sarotti-Mohr, der jetzt "Magier der Sinne" heißt, wir haben einen Gutmenschen-Fragebogen, ein Interview mit einem Genetiker über die Frage, ob die gesamte Menschheit von einem Schwarzafrikaner abstammt, eine Geschichte über 'White Niggers', über eine kenianische Modelagentur, und, und und ...

sueddeutsche.de: Aber wie das Heft nun heißen soll, wissen Sie noch nicht?

Gehrs: Nein, das steht in der Tat noch nicht fest. Es soll am 22. September erscheinen. Die Wortfindungsphase muss also bis zum 30. August abgeschlossen sein.

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