Düsseldorf: Ein Eklat und sein Ende:Das Spiel ist aus

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Peter Handke verzichtet auf den Heinrich-Heine-Preis: So erspart man sich ein Tribunal, veranstaltet auf Kosten des Dichters.

Thomas Steinfeld

Es kam, wie es kommen musste. Nachdem die Räte der Stadt Düsseldorf erklärt hatten, sie wollten die Vergabe des Heinrich-Heine-Preises an Peter Handke bei ihrer nächsten Sitzung dadurch verhindern, dass sie dem Oberbürgermeister die dafür erforderlichen 50000 Euro verweigerten, hat der Schriftsteller nun auf die Auszeichnung verzichtet: "Ich bitte Sie", schreibt er an Joachim Erwin, eben diesen Oberbürgermeister, der auch Sprecher der Jury gewesen war, "die Sitzung oder Veranstaltung auf den Nimmerleinstag zu verschieben". Niemand konnte erwarten, dass sich Peter Handke der Demütigung unterziehen würde, die Auszeichnung durch Verweigerung des Preisgeldes aberkannt zu bekommen. Die einzige Möglichkeit, sich dieser Quälerei zu entziehen, bestand für ihn darin, der Stadt diesen Beschluss zu ersparen.

"Niemand konnte erwarten, dass sich Peter Handke der Demütigung unterziehen würde." (Foto: Foto: AP)

Die letzte Idee, die dieser Stadtrat vor Peter Handkes Entscheidung hatte, war der Vorschlag gewesen, die Heinrich-Heine-Universität möge vor der Vergabe der Auszeichnung ein Symposium ausrichten, auf dem das Werk des Schriftstellers hätte diskutiert werden und er selbst Rede und Antwort hätte stehen sollen. Es wäre ein Tribunal geworden, veranstaltet auf Kosten des Dichters. Diese Idee hat etwas Bestürzendes: Kann es wirklich sein, dass die Düsseldorfer Kommunalpolitiker gar nichts gelernt haben aus den Auseinandersetzungen der vergangenen zehn Tage, dass sie nicht sehen, welches Unrecht sie begangen haben? Sie haben das Urteil der Jury faktisch kassiert und damit die Politik zur Richterin über die Literatur gemacht, was schon rein formell eine Anmaßung ist, weil die Statuten des Preises der Jury völlige Autonomie zusprechen: "Das Preisgericht trifft seine Entscheidung unabhängig und endgültig" - um von der sachlichen Anmaßung gar nicht erst anzufangen.

Wie konnte das geschehen? Der Skandal ist eingetreten, weil es in Deutschland einen moralischen Konsens gibt, der sich in seiner Bereitschaft zu hemmungslosem Selbstgenuss selbst dann für unwidersprechlich hält, wenn er von den Gegenständen, über die er urteilt, viel zu wenig weiß. Das gilt in erster Linie für diejenigen Stadträte, die Mitglied der Jury waren - wie unangemessen, wie peinlich war es, als sie inmitten der öffentlichen Auseinandersetzung um den Preis erklärten, sie hätten nie ein Buch von Peter Handke gelesen. Das gilt aber auch für Jürgen Rüttgers, den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, der bei sehr unpassender Gelegenheit, nämlich bei der Trauerfeier für Paul Spiegel erklärte, Peter Handke habe den Holocaust relativiert - dabei hätte er leicht wissen können, oder sich leicht sagen lassen können, dass der Schriftsteller die einzige, im Jahr 1999 gefallene Äußerung, die sich so hätte interpretieren lassen, sofort dementiert hat.

Und das gilt schließlich für die Schmähredner, die alle in große Schwierigkeiten kämen, würde man von ihnen verlangen, ihre Urteile zu belegen: für den Düsseldorfer Germanisten Gert Kaiser, der Peter Handke zu einem "Sänger des serbischen Großreichs" machte, wie für den Schriftsteller Günter Kunert, der seinen Kollegen in den "Barden eines Diktators" verwandelte. Es mag Passagen im Werk von Peter Handke, auch Äußerungen des Dichters selbst geben, mit denen man nicht einverstanden sein kann, aus sachlichen oder aus moralischen Gründen. Wenn man ihnen aber widersprechen will, sollte man sie vorher zumindest zur Kenntnis genommen haben. Zu Recht spricht Peter Handke in seinem Brief an den Oberbürgermeister davon, die Auseinandersetzung um den Preis gelte offenbar nicht ihm, sondern einem "durch die Öffentlichkeit geisternden Phantom". Das gute Gefühl, moralisch im Recht zu sein, ist ihm gegenüber offenbar so stark, dass es sich auch ohne Begründung zu großer Aggressivität berechtigt glaubt, dass es meint, von allen Legitimationspflichten befreit zu sein.

Kein Tauwetter in Sicht

Und was geschieht nun? Der Preis kann unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht weiter vergeben werden. Die Jury ist auseinander gebrochen. Es ist ausgeschlossen, dass im nächsten Jahr unter gleichen Voraussetzungen der nächste Preisträger gekürt wird. Und - welcher Dichter wäre noch bereit, sich diesen Stadträten auszuliefern? Mag sein, dass ein alter Streit hier ein Modell liefern kann: Im Jahr 1959 verweigerte der Bremer Senat die Zustimmung zum Literaturpreis der Stadt, der 1960 an Günter Grass hätte gehen sollen, für die "Blechtrommel". Nach großer Aufregung - weder 1960 noch 1961 wurde der Preis vergeben - wurde die Auszeichnung von 1962 an dem Zugriff der Politik entzogen und in die Hände einer Stiftung gelegt. Der Bremer Literaturpreis ist seit langem eine der ehrenwertesten Auszeichnungen im deutschen Kulturbetrieb.

Und wenn es so käme - der Schaden, der in diesem Jahr entstanden ist, kann nicht ersetzt werden, am allerwenigsten dem Dichter. Peter Handke spricht davon, er habe die Auszeichnung, solange ihr nicht widersprochen worden war, als Indiz für ein "allgemeines Auftauen" verstanden. Er selbst hätte sich daran beteiligt: Seine jüngsten Äußerungen zu Serbien, zu Milosevic und zu den jugoslawischen Sezessionskriegen (siehe SZ vom 1. Juni) sind keineswegs anstößig. In seinem Absagebrief an den Düsseldorfer Oberbürgermeister spricht er davon, er hätte bei der Preiszeremonie gerne vom "Unterschied zwischen journalistischer und literarischer Sprache" geredet. Daraus wird nun vorläufig nichts werden. Das ist bitter.

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