dpa-Chef Herlyn im Interview:Journalistische Sumpfblüten

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Wilm Herlyn, Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur, über den Umzug nach Berlin, die Zukunft des Nachrichtenjournalismus - und was die Abbestellung durch die WAZ finanziell bedeutet.

C. Keil u. H. W. Kilz

SZ: Herr Herlyn, die Deutsche Presse-Agentur soll mit ihrer Redaktion von Hamburg und Frankfurt nach Berlin umziehen, ein neuer Newsdesk alle Dienste zentralisieren. Die Mauer fiel vor zwanzig Jahren, warum erst jetzt der Wechsel in die Hauptstadt?

"Nachrichtenjournalisten sind naturgemäß flexibel": Wilm Herlyn, Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur. (Foto: Foto: SZ/lok)

Wilm Herlyn: Moment bitte - wir prüfen die guten Argumente, die für Berlin sprechen. Die Multimedialität des Marktes ist schneller gewachsen, als wir es erwartet haben. In den vergangenen drei, vier Jahren sind die Produkte der Medienhäuser zusammengewachsen und werden dort aus einer Hand bedient. Es ist höchste Zeit für uns, genau und seriös mit externen Beratern zu prüfen, wie wir unsere drei traditionellen Standorte - Bild in Frankfurt, Wort, Online und Grafik in Hamburg und unsere große Berliner Redaktion mit Audio, Video und Foto - zusammenführen können. Die Administration bleibt in Hamburg, dem Sitz der Gesellschaft. Aber für multimediale Prozesse sehe ich die Hauptstadt als einzig idealen Ort.

SZ: Warum?

Herlyn: In der Hauptstadt ist unser wichtigster Wort-Bereich: Politik Deutschland. Das ist aus Sicht unserer Kunden ein zentrales Qualitätsmerkmal unserer Dienste.

SZ: Was passiert mit denen, die nicht umziehen wollen?

Herlyn: Nachrichtenjournalisten sind naturgemäß flexibel. In unseren Arbeitsverträgen steht, dass wir jederzeit an jedem Ort eingesetzt werden können.

SZ: Wann genau und wohin in Berlin ziehen Sie um?

Herlyn: Wir prüfen etwa drei Monate. Dann entscheidet der Aufsichtsrat, und wir sprechen natürlich mit den Betriebsräten. Und die Redaktion sollte in der Nähe des Parlaments und der Bundespressekonferenz arbeiten, dem Hauptumschlagplatz der Nachrichten.

SZ: Mit einem Umzug sind immer Erneuerung und Perspektive verbunden, aber wer braucht heute eigentlich noch eine Nachrichtenagentur? Der Journalist, der die Zeitung macht, der Leser, der sich über das Weltgeschehen informieren will oder die deutschen Zeitungsverleger, die mit dpa-Nachrichten immerhin noch 4,4 Millionen Euro im vergangenen Jahr verdient haben?

Herlyn: Natürlich wird es immer schwieriger, mit Nachrichten Geld zu verdienen, weil diese Ware inzwischen überall wohlfeil zu erhalten ist. Das Agenturprinzip - einer für alle - ist beinahe überholt. Wir müssen uns zu Systemanbietern wandeln, wie in der Automobilindustrie. Früher hat ein Zulieferer den Tacho zum Hauptwerk gebracht, heute liefert er das ganze Armaturenbrett. Wir arbeiten bereits mit unseren Online-Angeboten nach dem Layout unserer Zeitungskunden direkt auf deren Internetseiten. Zeitungen sind dabei, sich von der klassischen Nachricht zu trennen. Sie sind täglich erscheinende Magazine, welche die News vom Vorabend noch aufnehmen, aber veredeln, dem Leser erklären, was sie bedeuten.

SZ: Was an Agenturberichten oft stört, sind die Pressereferenten-Floskeln, die vielen Metaphern, die Armut der Sprache. Ist es schwer, gute Agenturjournalisten zu bekommen?

Herlyn: Sie haben ja recht. Es ist unglaublich schwer, Nachrichtenjournalisten zum Beispiel beizubringen, ein Newsfeature zu schreiben. Ich komme von der Zeitung, mir sträuben sich auch oft die Haare. Dabei haben wir exzellente, kraftvolle Schreiber, leider verharren viele in einer schrecklich altbackenen Nachrichtensprache. Und: Wir schreiben ja für die Süddeutsche Zeitung genauso wie für Bild. Da müssen wir einen sprachlichen Mittelweg finden.

SZ: Warum versuchen Sie nicht als Agentur etwas zu liefern, was gerade kleine Zeitungen nur noch selten schaffen: investigativen Journalismus? Gründliche Recherche?

Herlyn: In der Tat wäre eine investigative Taskforce ein guter Weg für noch mehr exklusive Stoffe. Wir müssten dann aber unsere finanziellen Mittel umverteilen. Recherche ist grundsätzlich unsere Arbeit am Ort.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Wilm Herlyn über die WAZ-Gruppe denkt, die der dpa gekündigt hat.

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SZ: Einige Verlage haben der dpa gekündigt, zuletzt die WAZ-Gruppe. Was wollen Sie tun, damit der Nachrichtenjournalismus als Quelle nicht versiegt?

Herlyn: Mit der Kündigung des WAZ-Konzerns verlieren wir drei Millionen Euro Umsatz. Die Botschaft, die aus Essen kommt, heißt, wie es der Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, Peter Stefan Herbst, ausdrückte, eine Entsolidarisierung...

SZ: ... es ist die Abkehr von einem Gemeinschaftsunternehmen, auf das die Zeitungsverleger zu Recht stolz waren. Die WAZ gefährdet die wirtschaftliche Grundlage von dpa.

Herlyn: Ja, das ist bitter. Trotzdem wird die Nachricht unsere Basis bleiben, egal, wie Sie es drehen und wenden. Man muss erst mal berichten, was passiert ist. Und das mit Material aus Deutschland und aller Welt, denn die dpa ist eine international agierende Agentur mit drei fremdsprachigen Weltnachrichtendiensten. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal unter den deutschsprachigen Agenturen. Zu den Fakten kommt der Hintergrund, die Analyse, das Porträt, die Reportage. Nicht nur die Zeitung ist verpflichtet, Nachrichten zu veredeln und zu vertiefen. Unsere Kundschaft ist sehr heterogen. Wir können uns nicht von unserem Auftrag verabschieden: die Grundversorgung der deutschen Medien sicherzustellen.

SZ: WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz sagt, er könne auf dpa verzichten. Seine Redakteure würden ihm dafür danken, dass er ihnen den Journalismus zurückgegeben habe, sagt er. Das Grundfutter holt sich die WAZ aber weiterhin von dpa, das hat Reitz im NDR-Fernsehen auch zugegeben.

Herlyn: Herr Reitz sagt, er sei missverstanden worden.

SZ: Der NDR hat seine Aussage dokumentiert. Demnach hat Reitz gesagt: "So, wie wir Informationen von dpa benutzen oder weiter daran arbeiten, so machen wir es aber auch mit anderen Informationsquellen, ohne für diese Informationsquellen zu bezahlen. Vielleicht ist das ein Stück weit die neue Welt. Die Zahl der Quellen hat sich ja auch dramatisch vermehrt."

Herlyn: Ich bin mir sicher, dass er das auch genauso gemeint hat.

SZ: Herr Reitz spricht von der WAZ als einer "Autorenzeitung".

Herlyn: Das halte ich für eine Mogelpackung. Wir lesen die WAZ sehr genau und erkennen, wenn Zitate aus einem Exklusivinterview, das jemand nur mit uns geführt hat, plötzlich in einem Blatt der Gruppe auftauchen. Wir haben das auch gesehen, als wir die Schließung von Hertie-Kaufhäusern im Ruhrgebiet gemeldet haben. Die WAZ-Gruppe hatte erhebliche Mühe, diese Informationen ins Blatt und in ihren Online-Auftritt derwesten.de einfließen zu lassen.

SZ: Beschäftigen Sie deshalb Juristen?

Herlyn: Nein. In Essen wird zwar behauptet, wir würden ein Heer von Juristen dirigieren, um die WAZ beim Klauen zu ertappen. Aber dafür brauchen wir keine Juristen. Das macht eine Maschine, der Attributor, der dpa-Inhalte automatisch erkennt. Wir haben kein Interesse daran, den angestrengten Ton mit einem ebenso angestrengten Ton zu beantworten. Wir hoffen, dass die WAZ irgendwann wieder ein Kunde der dpa wird. Die Rheinische Post ist nach dem Weggang von Herrn Reitz auch wieder Bezieher des dpa-Bilderdienstes geworden.

SZ: Redaktionsmanager wie Reitz bedrohen die Geschäftsgrundlage der dpa, wenn sie das Internet als urheberrechtsfreien Raum begreifen. Wie wollen Sie verhindern, dass andere Gesellschafter dem Beispiel der WAZ folgen?

Herlyn: Es gibt öffentliche Solidaritätsbekundungen mit der dpa von Verlegern.

SZ: Steht der Axel-Springer-Konzern als Gesellschafter treu an Ihrer Seite?

Herlyn: Ja.

SZ: Den Dienst Ihres Konkurrenten Agence France Press (AFP) hat die WAZ behalten. Der ist billiger.

Herlyn: Ich will nichts gegen die Kollegen von AFP sagen, die machen in Deutschland eine sehr gute Berichterstattung. Aber sie haben nicht unseren Auftrag der Grundversorgung. Und AFP wird von Frankreich staatlich subventioniert.

SZ: Was bestritten wird.

Herlyn: Pierre Louette (Präsident von AFP) hat nicht bestritten, dass er 108 Millionen Euro für seinen Gesamthaushalt von 260 Millionen Euro bekommen hat. Er sagt, das sei normal im französischen Staat, dass heimische Unternehmen unterstützt würden. Wenn AFP ein Multimedia-Projekt aufbaut, geht die Geschäftsführung zum Staat und sagt, sie hätte gerne 20 Millionen Euro. "Das ist zu viel", hört sie dann, "ihr kriegt nur 19 Millionen." Louette sagt uns: "Was regt ihr euch auf? Ihr werdet doch auch subventioniert." Natürlich, wir bekommen von der Bundesregierung Geld für Dienste-Verträge, weil das Bundespresseamt und das Außenministerium Kunden sind. Das ist aber nur ein niedriger einstelliger Millionenbetrag. Das ist also keine Subvention, sondern ein Lieferanten-Kunden-Verhältnis.

SZ: Warum hat dpa beim Thema Bewegtbilder fürs Internet, dem Gold der multimedialen, digitalen Zukunft, bisher so zögerlich reagiert? AFP, AP und Reuters sind viel weiter.

Herlyn: Sie haben recht. Wir sind sehr spät gestartet. Wir haben einen einjährigen Test vom Aufsichtsrat genehmigt bekommen...

SZ: ... einen Test mit einer Abteilung, bestehend aus drei Mitarbeitern...

Herlyn: ... der verlängert worden ist. Wir sind auf einen Markt gekommen, auf dem Videostreams schnell, überall und kostenlos zu haben sind. Da ist es schwer, ein neues Produkt durchzusetzen. Natürlich ist ein multimediales Angebot ohne Video undenkbar. Ich glaube allerdings, dass es bei wichtigen Ereignissen reicht, einfach ein paar bewegte Bilder zu haben. Siehe YouTube. Eine ausgekochte Szene mit Regie und Licht ist gar nicht nötig. Unsere Kunden sagen uns, dass für sie vor allem regionale und lokale Bewegtbilder interessant sind. Nationale und internationale Aufnahmen kriegen wir schon ganz gut von AP und von Reuters, sagen sie. Was hindert uns also, das Geschehen regional zu filmen: Wenn ein Unfall passiert, wenn irgendwo gestreikt wird?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Journalismus heute besser ist als vor 20 Jahren.

SZ: Das fehlende Geld hindert Sie. Sie müssten kräftig investieren.

Herlyn: Das werden wir machen.

SZ: Sie sind jetzt seit 18 Jahren Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur. Der Aufsichtsrat sucht intensiv einen Nachfolger. Wann hören Sie auf?

Herlyn: In elf Monaten erreiche ich die Altersgrenze.

SZ: Wie fällt Ihre Bilanz aus? Ist das Nachrichtengeschäft schwieriger, härter geworden?

Herlyn: Als ich Ende 1990 zu dpa gekommen bin, gab es den völlig unumstrittenen Basisdienst, die Landesdienste und den Fotodienst, der aber überhaupt nicht mit dem harmonisierte, was wir bei Wort gemacht haben. Und es gab eine Tochter, die Graphik. Heute haben wir sieben Tochterfirmen, die journalistisch arbeiten - und für alle Inhalte ist der Chefredakteur verantwortlich. Das ist de facto fast nicht zu stemmen. Auch die Meldungsmenge hat drastisch zugenommen. Vor zwanzig Jahren wurden täglich 120 Meldungen verschickt, jetzt sind es mehr als 600, nur im Basisdienst. Dazu in den zwölf Landesdiensten mindestens je 100 Meldungen. Und etwa 700 Bilder täglich.

SZ: War die Qualität früher besser?

Herlyn: Nein, die ist heute besser, weil unsere Nachrichten mehr Tiefe und mehr Hintergrund enthalten.

SZ: Wie sichern die verantwortlichen dpa-Redakteure die Qualität?

Herlyn: Wir haben das Vier-Augen-Prinzip, oft schaut auch ein Dritter über einen Text. Faktentreu sind wir sicher. An der Sprache müssen wir, wie gesagt, noch feilen.

SZ: Lesen Sie, was "Bürgerjournalisten" und Blogger so schreiben?

Herlyn: Ich beobachte das. Es gibt Sumpfblüten, die schnell wieder verschwinden, und es gibt ein paar wichtige Blogs. Aber ich würde all das nicht als Journalismus bezeichnen.

SZ: Wie hat sich der Journalismus verändert in den 18 Jahren, die Sie an der Spitze von dpa stehen?

Herlyn: Er ist aufgeregter geworden, weniger gründlich. Als ich jung war, war die Zeitung jeden Tag ein Strauß voller Überraschungen. Das ist heute nicht mehr so, oft gehen Geschichten zu schnell, zu schmutzig ins Blatt.

SZ: Geschichten, die keine Nachrichten sind?

Herlyn: Eindeutig. Das liegt wohl auch an der Hast, mit der Redakteure heute arbeiten. Nehmen Sie Berlin mit seinen etwa 30 Rundfunksendern. Die müssen wir im Prinzip alle beobachten. Es kann ja jederzeit passieren, dass irgendein Mikrophonhalter einem Minister auflauert, und der etwas sagt, was man nicht erwartet hat. Wir haben häufig nicht den Mut, zu sortieren und etwas wegzulassen.

SZ: Ist auch etwas besser geworden?

Herlyn: Die Vielfalt.

SZ: Was ist mit den Zeitungen? Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft der Zeitungen?

Herlyn: Sorgen ja, aber mir ist nicht bang, ich bin auch davon überzeugt, dass das deutsche System überlebensfähig ist. Wir haben einen grundsätzlich anderen Medienmarkt als die USA oder andere europäische Staaten. Eine Zeitung, wenn sie richtig gemacht wird, bietet einen Mehrwert, auf den man von einem bestimmten Alter an nicht mehr verzichten will. Nachrichten, die Sie im Radio hören, gehen rein ins Ohr und raus. Im Fernsehen weiß ein Zuschauer eine halbe Stunde später gerade noch, welche Farbe die Krawatte des Sprechers hatte. Das Internet ist noch flüchtiger. Nein, den richtigen und wichtigen Gesprächs- und Diskussionsstoff liefert die Zeitung.

SZ: Im Aufsichtsrat der dpa, der über Ihr berufliches Schicksal und das der Agentur entscheidet, sitzen sehr verschiedene Leute: Journalisten, Verleger, Familienunternehmer - und immer mehr angestellte Manager. Ist es beklagenswert, dass Zeitungen zunehmend in die Hände angestellter Manager fallen und sich die Verlegerfamilien zurückziehen?

Herlyn: Da habe ich zwiespältige Gefühle. Verleger waren und sind auch heute noch mit viel mehr Herzblut und Wärme für ihre Zeitung da. Aber es geht ja nicht nur um Wärme. Es ist gut, konzise und betriebswirtschaftlich orientierte Geschäftsführer im Aufsichtsrat zu haben. Auch bei der dpa haben wir durch deren Rat das eine oder andere besser gemacht.

SZ: Journalistisch besser?

Herlyn: Wenn uns der Aufsichtsrat vor vier Jahren gesagt hat, bündelt eure Rücklagen nicht in Risiken, sondern verzichtet notfalls auf Rendite und macht es konservativ, dann war das ein sehr guter Rat. Wir sind bislang gut durch die weltweite Finanzkrise gekommen. Und gute journalistische Ratschläge bekommen wir vom Redaktionsausschuss - von Kennern des Marktes und von Journalisten, die da drin sitzen.

SZ: Stellen Sie sich vor, Sie wären noch einmal um die 40. Was würden Sie am liebsten sein: Anchorman im Fernsehen, Chefredakteur der Bild-Zeitung oder Leiter einer Journalistenschule?

Herlyn: Eindeutig - Leiter einer Journalistenschule.

Mitarbeit: Marc Felix Serrao

© SZ vom 11.02.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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