Doppelkritik:Rachetod, Wahnsinnstod

Lesezeit: 3 min

Zweimal Verdi: In Nürnberg gibt man einen sich immer steigernden "Maskenball", in Augsburg einen mitreißenden "Macbeth"

Von Klaus Kalchschmid, Nürnberg/Augsburg

Wann, wenn nicht beim Maskenball kann Modeschöpfer Christian Lacroix auftrumpfen und seine Choristen im letzten Bild von Verdis "Un ballo in maschera" in hipper, hochbarocker Manier einkleiden und mit irren Frisuren ausstatten. Nur einer entledigt sich schließlich Perücke und sogar Weste: Riccardo, Gouverneur von Boston, will die Aufmerksamkeit seines Freundes und Beraters Renato auf sich zu ziehen, der ihn des Ehebruchs verdächtigt. Und der ihn schließlich auch von hinten erschießt.

Eigentlich sollte die Hauptfigur der berühmte "Theater-König" Gustav III. von Schweden sein, aber einen Herrscher-Mord auf offener Bühne erlaubte die Zensur nicht. Mit Vincent Boussards Version hätte sie wohl keine Probleme gehabt, so zwischen den Zeiten wechseln die Kostüme: mal Halskrause der Renaissance, mal schwarzer Anzug mit Krawatte, einerseits blau-grün changierender Freizeitlook, andererseits raffinierte Stoffe und Schnitte.

Abstrakt dagegen die Räume Vincent Lemaires: schwarze oder graue mobile Wände, dominiert von der Ahnung eines riesigen Porträts mit Allonge-Perücke, dessen Augen weinen können: Tränen rot wie das seltsame irreale Spielzeugauto, das Riccardos Geliebte Amelia - und Gattin Renatos - wie das Symbol für ihren Sohn herzt, den sie noch umarmen will, bevor der Ehemann Rache an ihr nimmt, und das plötzlich wie von Geisterhand zu fahren beginnt und die Attentäter irritiert.

Leider schwächelt die Aufführung im ersten Akt, was am Stück liegt, denn das Brimborium um Wahrsagerin Ulrica (Chariklia Mavropoulou) ist letztlich Vorgeplänkel, am zu lauten Orchester, den Wacklern mit der Bühne und der Unentschiedenheit von Ausstattern und Regisseur. Nach der Pause legt sich bei den Sängern die Premierennervosität, spielt die Staatsphilharmonie Nürnberg unter Marcus Bosch dynamischer, nimmt die Handlung Fahrt auf und ist Verdis Partitur ausdrucksstärker bis hin zur genialen Bühnenmusik des Finales und der Apotheose der letzten Minuten.

Irina Oknina ist eine Amelia mit großer Bühnenpräsenz, in deren Stimme Schmerz und Zärtlichkeit, Furcht und Mut Ausdruck finden. Julia Novikova als Oscar vermag stimmlich und darstellerisch zu schillern und darf hier als attraktives weibliches Wesen in Hosen aus Lack zum erotischen Mittelpunkt werden. Mikolaj Zalasinski kommt als Renato stimmgewaltig und viril, aber auch ein wenig grob daher. David Yim mimt als Riccardo den Strahlemann, müsste bei seinem leuchtenden Tenor freilich oft gar nicht so viel geben.

Tags darauf beim "Macbeth" in Augsburg eine ganz andere Ästhetik von Komponist, Regisseur und Ausstattern. Die wilde, schmutzige Tragödie Shakespeares von Machtbesessenheit und Zerstörungskraft hat auch bei Verdi eine enorme Sprengkraft, ist grell, überdreht und erschreckend nah am Geschehen. Stoff und Vertonung verlangen nach Drastik, und die liefert Lorenzo Fioroni schon in der eröffnenden Hexen-Szene. So entfesselt à la Offenbach getanzt und gesungen - aber auch gekreischt und gejohlt - hat man diese Szene noch nicht erlebt. Der grandiose Damenchor des Augsburger Theaters hat einen Mords-Spaß und läuft auch in der Szene mit dem schon wahnsinnigen Macbeth des dritten Akts zu Hochform auf: Jetzt zu täuschend echten Männern im Frack mutiert (Kostüme: Annette Braun), vergewaltigt eine nach der anderen Macbeth, der im Glitzerfummel vor sich hin deliriert.

In der dritten Vorstellung konnte der junge, drahtige Matias Tosi - immer noch gehandicapt von einem Autounfall - nur den ersten Akt singen und spielte auf der Bühne, während der Mexikaner Riccardo Lopez (vorgesehen für die Vorstellungen im Herbst) immer intensiver von der Seite sang. Sally du Randt war eine großartige Lady: glühend vor Machtgeilheit und später - wenn sie Arzt und Kammerfrau als Weihnachtsmänner und eine Tanne aus Glühbirnen imaginiert - eine gebrochene Frau mit Tönen wie aus einer anderen Welt. Die spießig grüne Hölle eines 70er-Jahre-Hotelzimmers mit der Fototapete einer schottischen Burg ist beider Rückzugsort, der immer mehr zerstört wird, während die andere Seite der Drehbühne einen unwirtlichen, zugigen Versammlungsort darstellt (Bühne: Ralf Käselau).

Während es auf der Bühne manchmal betont schrill und derb zugeht, gelingt Lancelot Fuhry am Pult der exzellenten Augsburger Philharmoniker die Quadratur des Kreises. Jede Phrase und jeder Klang ist scharf geschnitten oder schwebt in irrlichternder Fahlheit. Nie lärmt es pauschal, vielmehr herrscht eine flexible Spannung, ist jeder Takt sehnig gespannt, leuchtet jeder Akkord aus sich selbst heraus.

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: