Diskussion:Geharkte Beete

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"Wie viel Szene braucht die Stadt?"

Von SILVIA STAMMEN, München

Es überrascht immer wieder, wie viele Fürsorger, Pfleger und Begleiter sich inzwischen um diejenigen scharen, die früher einmal explizit unabhängig dazu angetreten waren, außerhalb dramaturgisch betreuter Spielpläne, also "frei", Theater zu machen. Mittlerweile erhoffen sich Institutionen wie Stadt- und Staatstheater eine Relevanzsteigerung durch Koproduktionen, und gleichzeitig sucht die Kulturpolitik nach Zwischeninstanzen, um die kontrollierte Abgabe von Fördermitteln an freie Künstler möglichst risikolos zu gestalten. Von Wildwuchs spricht da schon lang keiner mehr, stattdessen werden Pflänzlein und Knospen gehegt und gepflegt, dass das Gärtnerherz lacht.

Eine Runde von Kuratoren, Spielstättenleitern und Festivalmachern traf sich am vergangenen Sonntag aus Anlass des von den Kammerspielen, dem Pathos und dem Hoch X neu in die Stadt geholten Nachwuchs-Festivals "Freischwimmer" in der Kammer 2, um die Frage zu klären: "Wie viel Szene braucht die Stadt?" Die lässt allerdings schon in der Formulierung mehr an Ertragsoptimierung als an offene Prozesse denken und entsprechend erscheint es fast wie ein reflexhafter Abwehrzauber, wenn Susanne Traub, die Leiterin des Bereichs Tanz und Theater des Goethe-Instituts und Moderatorin des Gesprächs, grundsätzlich von "Szene" und "Szenen" spricht, an denen gearbeitet werden müsse, um sie im Sinne von Produktionshäusern und Festivals nutzbar zu machen.

Zum Glück legt Tilmann Broszat, der langjährige Leiter des Spielart-Festivals, da gleich zu Beginn mal einen Besenstiel quer ins Beet, indem er zu bedenken gibt, dass der Szene-Begriff ein deutsches Denkmodell und beispielsweise in Belgien jeder Künstler freie Szene sei. Matthias Pees, Intendant des Mousonturms in Frankfurt, bestätigte, dass sein Haus nur existiere, weil es vorher freie Künstler gab, wobei er jetzt manchmal überlegen müsse, wie er manche davon wieder loswerde. Überhaupt scheint der Hunger auf Nachwuchs im Vergleich zum Interesse an langfristigen künstlerischen Prozessen bei den Machern im Vordergrund zu stehen, auch ein Open-Call-Konzept wie "Freischwimmer" dient schließlich dazu, Newcomer gleich von ihren ersten Arbeiten an mit den Produktionshäusern in Kontakt zu bringen.

Wie es dann weitergeht, ist oft ungewiss. Immerhin hat in Frankfurt kürzlich die Verdoppelung des Etats zu einer deutlichen Belebung geführt. Marc Gegenfurtner vom Kulturreferat sieht da in München vor allem den Freistaat in der Verantwortung, Landesmittel endlich auch für die Landeshauptstadt zugänglich zu machen. Derzeit bestreiten die Kammerspiele ein von Dramaturg Christoph Gurk kuratiertes Gastspiel- und Koproduktionsprogramm mit 500 000 Euro Eigenmitteln angeblich als Interimsmaßnahme bis zur Eröffnung des neuen Produktionshauses im Kreativquartier. Doch das kann, da sind sich Rodeo-Kuratorin Sarah Israel, Angelika Fink vom Pathos Theater und Ute Gröbel vom Hoch X einig, eine Aufstockung der direkten Subventionen für freies Produzieren nicht ersetzen. "München wird in dem Maße tonangebend werden, in dem die Produktionsmittel für freies Theater erhöht werden," bekräftigt auch Gurk.

Dass die "Szene" dann noch frei bleibt und nicht als fünfte Sparte an die Institutionen angeschlossen wird, dabei kann sich der jüngst gegründete Verein Netzwerk freie Szene München, dem auch Gröbel im Vorstand angehört, dann gleich erste Sporen verdienen.

© SZ vom 11.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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