Diskussion:Brandgefährlich

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Ein lebhaftes Gespräch über die Veränderung unserer Sprache

Von Antje Weber, München

Wie soll man einen geflüchteten Menschen bezeichnen - als Flüchtling, Asylbewerber, Geflüchteten, Asylant, Schutzsuchenden? Wer jetzt meint, diese Art von Diskussion könnten wir doch bitte allmählich hinter uns lassen, irrt gewaltig. Eine "Hilflosigkeit im Sprachgebrauch" in solchen Fällen stellt nicht nur Birgit Schmitz-Lenders fest, als Leiterin der Europäischen Akademie Bayern um die politische Bildung der Jugend bemüht. Eine von dieser Akademie organisierte Diskussion machte vielmehr überdeutlich, wie sehr das Thema "Sprache in unserer Demokratie" immer noch und mehr polarisiert.

Um eine "Verrohung der Sprache" auf der einen Seite, "Sprechverbote" und womöglich übertriebene politische Korrektheit auf der anderen Seite sollte es im Literaturhaus gehen. Und man kann wirklich nicht behaupten, dass die von Christoph Huber befragte Männer-Runde (Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, hatte kurzfristig abgesagt) mit Harmonie langweilte: Insbesondere der Berliner FU-Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch und der Münchner Kabarettist Christian Springer widersprachen einander leidenschaftlich, jeweils mal von der einen Hälfte des Publikums beklatscht, mal von der anderen.

Doch zunächst erklärte Aaron Buck, was Sache in der Sprache ist. "Die Art, sich zu artikulieren, hat sich geändert", konstatierte der Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der IKG. Zwar sei die Kultusgemeinde schon immer mit Hass-Mails und -Anrufen konfrontiert. Neu aber sei, dass dies zum Teil "nicht mehr anonymisiert" geschehe, sondern mit Stolz, insgesamt zunehmend "enthemmt". Der Berliner Sprachwissenschaftler André Meinunger stellte ergänzend fest, solche Hass-Reden seien vielleicht gar nicht mehr geworden, sondern nur sichtbarer. Sein Kollege Stefanowitsch sah jedenfalls eine "qualitative Verschiebung": "Sachen, die man früher heimlich sagte, sagt man heute offen." Als mediale Vorbilder dienten dabei die sprachlich radikalisierten AFD-Politiker.

Offen war auch Christian Springer, der an diesem Abend den Part des Polterers übernahm. Sprache sei für ihn Ausdruck der Gesellschaft, sagte er und geißelte eine übertriebene Sensibilität insbesondere der Jungen in unserer "Spießergesellschaft". Wenn ein Mal das Wort "Neger" oder "Nazi" falle, sei gleich Alarm: "Wir halten nichts mehr aus, wir leben in einer fürchterlichen Watte-Welt." Woraufhin Stefanowitsch entgegnete: "Das Aushalten ist nicht gleich verteilt." Mit Begriffen, die andere diskriminierten, müsse man eben sensibel umgehen und Stereotype möglichst nicht weitergeben. Denn: "Sprache schafft auch gesellschaftliche Wirklichkeit!"

Zwischendurch kaute man an den alten Fragen, ob man ein "Zigeunerschnitzel" noch in den Mund nehmen soll (Springer ist dafür) oder "Pippi Langstrumpf" politisch korrekt umschreiben (Stefanowitsch ist dafür). Letztlich jedoch steckt dahinter, wie unter anderem Buck klarmachte, viel Wichtigeres: "Wenn man reale Phänomene nur überdeckt, indem man Begriffe sanktioniert, schafft man erst eine Situation wie heute." Will heißen: Die Realität ist schwierig, und euphemistische oder aber verrohende Sprache machen sie nicht gerade einfacher. Denn, wie selbstredend auch Kabarettist Springer weiß: "Sprache kann brandgefährlich sein."

© SZ vom 13.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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