Die Traditionsmarke aus Köln wird zum Ladenhüter:4711 verduftet

Lesezeit: 2 min

Éin verblasster Mythos: Das Kölnisch Wasser, das klassische "Eau de Cologne", kann und will gegen die Designer-Konkurrenz nicht anstinken. Nun verschwindet es - so unauffällig wie die Damen mit den Blaustich-Haaren.

Gerhard Matzig

Dies ist ein Nachruf auf die ältere Dame als solche. Auf die sowohl ältere als auch reizende Dame, die den Exzessen des Lebens abhold ist. Allerhöchstens wäre sie geneigt, ihr kunstvoll drapiertes Haar ins Bläuliche spielen zu lassen.

"In allen zivilisierten Ländern" zu haben und der Standard der Wohlgerüche: Alte Werbung für das Traditionsparfüm. (Foto: N/A)

Ein Beispiel. Wir befinden uns im Duftdiscounter. So genannte junge Dinger hüpfen kichernd vor den üblichen Duftzerstäubern herum, um sich mit "Glow" (von Jennifer Lopez), "Fantasy" (Britney Spears) oder "Naomagic" (Naomi Campbell) einzunebeln. Da schiebt sich die sowohl ältere als auch reizende Dame heran. Schmallippig und mit verachtungsvoll gewölbten Brauen herrscht sie den Duftdiscountdiensthabenden an, ob er denn außer diesem olfaktorischen Popunsinn auch ein vernünftiges Fläschchen "Eau de Cologne" führe. "Odewas?"

Eau de Cologne. Kölnisch Wasser. 4711. Schon das "Eau" hört sich so distanziert an, als machte man sich keine Illusionen mehr über ein glühendes, fantasievolles oder auch nur naomagisches Leben aus dem Parfumflakon. Als wüsste man, dass all die konsumistischen Jennifer-Imitate, Britney-Klone oder Naomi-Varianten kaum den Unterschied zwischen einem Toilettewasser und dem Toilettenwasser benennen könnten. Aber das ist der Parfumindustrie egal, solange die jungen Dinger wenigstens imstande sind, die Labeldifferenz zwischen "Eternity" und "Euphoria" zu bezahlen.

Der US-Konsumgüterkonzern Procter & Gamble, vermelden die Wirtschaftsinformanten soeben, will die Duftwassermarke 4711 loswerden, weil sie sich zum "Ladenhüter" entwickelt habe. Weil die "vorwiegend ältere Kundschaft langsam ausstirbt". Kölnisch Wasser: ein Ladenhüter? Blaue Damen: eine aussterbende Gattung? Ein Parfum, das es seit 1792 gibt. Ein deutsches Markenzeichen. Ja, ein Kulturgut, ein Mythos. Ist euch Managern denn gar nichts heilig? Elende Jungdingerhinterherriecher. Glow-Anbeter. Fantasy-Fans. Naomagic-Tölpel.

Noch stehen die letzten angestaubten Zerstäuber und Fläschchen mit dem charakteristischen, schnörkelhaften, garantiert designfreien, blautürkisgoldenen 4711-Emblem in den Regalen. Vermutlich irgendwo zwischen "Irisch Moos" und "Tosca", die auch schon bessere Tage gesehen haben. Noch ist das 4711-Glöckchen als Signet des, nun ja, etwas süßlichen, etwas behäbigen, etwas damenhandtaschenhaften Duftwassers also nicht ganz verklungen, das typischerweise aus 70 Prozent Alkohol, zwei bis vier Prozent ätherischer Öle (Zitrone, Bergamotte, Lavendel, Rosmarin, Petitgrain und/oder Neroli) sowie destilliertem Wasser besteht.

Aber sogar das Stammhaus von 4711 in der Kölner Glockengasse, auf welches die Schnörkelglocke zeichenhaft hinweist, wird jetzt verramscht. Während der Besatzung gegen Ende des 18. Jahrhunderts soll der französische Stadtkommandant befohlen haben, die Kölner Häuser - mit dem Dom beginnend - exakt durchzunummerieren. Das Haus in der Glockengasse, in dem nach der überlieferten Rezeptur eines Karthäusermönchs ein geheimnisvolles "aqua mirabilis" gebraut wurde, erhielt die Nummer 4711. Es war, vom Dom aus gesehen, einfach nur das viertausendsiebenhundertundelfte Haus.

Den deutschesten aller Düfte verdanken wir demnach der napoleonisch-militärischen Bürokratie. Auch deshalb, weil das Wunderwasser ursprünglich ein Medikament war. Erst die Forderung der Besatzer im Jahr 1810, sämtliche Rezepturen für pharmazeutische Produkte öffentlich zu machen, brachte den findigen Fabrikanten auf die Idee, sein Eau de Cologne als Duftwasser zu deklarieren. Eine ähnliche Karriere - von der Arznei zum Appeal - hat eigentlich nur noch Coca Cola aufzuweisen. Früher trank man braune Brause gegen Kopfschmerzen. Heute, um dabei zu sein oder zu bleiben.

Genau das hat 4711 nicht geschafft. Schon seit Jahren wird es kaum mehr beworben. Was vielleicht auch gut ist. Der Slogan "Schenke von Herzen, doch was es auch sei, 4711 ist immer dabei" hat vielleicht doch nicht das Zeug, auf Dauer gegen Chacharel ("Eden. Der verbotene Duft.") oder gegen "Le Parfum Du Succès" (Yves Saint Laurent) zu bestehen.

Tröstlich ist aber, dass es das 4711-Logo mittlerweile auch als trendgerechtes Funshirt gibt: Für 22,95 Euro kann man das "Cologne Girlie Shirt" im Internet bestellen. Als "Gruppe 4711" hat der Schriftsteller Martin Hecht einmal jene Subkultur-Gemeinde bezeichnet, die mit Rentner-Trevira, Pepita-Käppis und James-Last-LPs satirische Mimikry betreiben. Das wäre dann allerdings die Pointe der Procter-und-Gamble-Trauermeldung: Es gibt nicht zu wenig blaue Damen - sondern nur zu wenig jugendliche Subkultur.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: