Die "Times" und die gefälschte Mail:Aufs Knie gefallen

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Dass die New York Times sich für die gefälschte Mail über den Kennedy-Clan entschuldigt, beweist einmal mehr Rückgrat in Sachen Selbstkritik.

Hans Leyendecker

Der Sozialist Bertrand Delanoë, seit 2001 Bürgermeister von Paris, ließ stets wenig Zweifel an seinem Ehrgeiz, einmal ganz große Politik zu machen. Warum also sollte der Vorsteher einer der wichtigsten Metropolen der Welt nicht an die New York Times schreiben, um Grundsätzliches loszuwerden? Unter der Überschrift "Kennedy, von Paris aus betrachtet", erschien am Montag eine vermeintliche E-Mail des Bürgermeisters, die sich aber bald als Fälschung herausstellte.

Caroline Kennedy - im Hintergrund John F. Kennedy - versuche, die Polit-Dynastie des untergehenden Kennedy-Clans aufzuhalten, verlautbarte die Mail. Allein - sie war gefälscht. (Foto: Foto: ap)

Der angebliche Delanoë hatte gefragt, mit welchem Recht Caroline Kennedy, die Tochter des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy, für den frei werdenden Senatsposten von Hillary Clinton in New York kandidieren wolle. Die Franzosen, hieß es in der Mail vom 18. Dezember, sähen darin einen Versuch "des untergehenden Kennedy-Clans", die Polit-Dynastie aufrechtzuerhalten. Dies sei "befremdend und unmöglich". Können "wir von einem amerikanischen Niedergang sprechen?"

Kurz nach Erscheinen des Briefes entschuldigte sich die New York Times in der Online-Ausgabe und bei Delanoë und am Dienstag dann in der Zeitung bei den Lesern für die Panne. Die Chefredaktion stellte fest, die Redaktion habe ihre eigenen Standards verletzt und vor der Veröffentlichung die Authentizität des Schreibens nicht überprüft. Ein solcher Fehler dürfe sich nicht wiederholen.

Die Rubrik für Selbstkritik

Der Vorgang ist auch bemerkenswert, weil er zeigt, zu welcher Selbstkritik die New York Times, die den wohl höchsten journalistischen Standard aller Blätter hat, immer wieder fähig ist. Und öffentliche Kniefälle können reichlich Aufklärung liefern.

Meist unter der Rubrik "Corrections" (Korrekturen), aber auch an anderer Stelle, gesteht das Blatt seine Fehler ein. Das können sehr grundsätzliche Bekenntnisse sein, wie 2003 nach einer Geschichte über die Geschäfte eines Plattenproduzenten. Die Korrektur begann auf der Aufmacherseite des Wirtschaftsteils und setzte sich im Innenteil fort: Exakt 2142 Worte, die alle Mea Culpa meinten. Der vorgebliche Enthüllungsartikel sei im Tenor "nicht fair" gewesen, habe "fundamentale Missverständnisse" enthalten und "inakkurate" Angaben.

Ein Jahr später hat sich die Zeitung für die Berichterstattung im Vorfeld des Irak-Krieges entschuldigt, weil die damalige Starreporterin und Mit-Pulitzer-Preisträgerin Judith Miller fleißig an der Legende von den Massenvernichtungswaffen mitgestrickt und sich von der Bush-Regierung hatte einspannen lassen. Miller verließ das Blatt.

Das eigene Desaster

Oder da war der junge Redakteur, der auffällig oft bei seinen Geschichten die schönsten Anfänge und die besten Zitate hatte. Sowas gibt es auch anderswo, führt aber meist nur zu heimlichem Kollegen-Spott; anders bei dem Klassenprimus der Zeitungswelt: Nachdem der junge Journalist endlich als Fälscher enttarnt worden war, berichtete das Blatt auf vier Zeitungsseiten über das eigene Desaster.

Manchmal wirken die Korrekturen auch verspielt. Im August dieses Jahres gab die Zeitung zu, am 28. April 1960 bei der Aufführung der West Side Story den Namen eines Darstellers mit George Johnson statt mit George Liker angegeben zu haben. Den Hinweis habe der alte Schauspieler jetzt gegeben. Für den früheren deutschen Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping verwendete das Blatt mal die seltene Zeile "A noncorrection". Scharping hatte behauptet, ein Bericht über eine Versammlung in Hamburg sei falsch gewesen. Der Alt-Kommentator William Safire, mit dem sich schon Rudolf Augstein Schlachten geliefert hatte, behauptete: "Ich habe drei Quellen, die anwesend waren und meine Darstellung stützen, und ich glaube ihnen".

Das quälende Gewissen

Zur Welt der Korrekturen gehören vor allem in den USA die Presse-Ombudsleute, die sich in ihren Kolumnen mit Kritik an der eigenen Zeitung auseinandersetzen. Eine Studie des European Journalism Observatory der Universität Lugano kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass es weltweit rund 90 solcher Ombudsleute gibt, 35 in den USA. Einige der amerikanischen Ombudsleute wie auch Clark Hoyt von der New York Times sind, wie der Kommunikationswissenschaftler Stephan Russ-Mohl schrieb, "das öffentliche Gewissen" ihrer Zeitung.

Manchmal kann das quälend sein. Hoyts Vorgänger Byron Calame legte dem Chefredakteur der New York Times, Bill Keller, und dem Verleger Arthur Sulzberger schriftlich 28 Fragen zu einem Problem vor, das nur er sah. Er beklagte sich dann in seiner Kolumne, dass ihm die beiden die Antworten verweigert hätten.

© SZ vom 24.12.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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