Die teuersten Bücher:Schlag nach mit Nachschlag!

Lesezeit: 4 min

"Goat" ist der Titel des teuersten Sportbuchs aller Zeiten. Es ist dem "Größten aller Zeiten", Muhammad Ali, gewidmet. Aber es gibt auch noch andere Rekorde auf dem Bilderbuchmarkt. Von Ulrich Raulff

Als vor einigen Jahren die ersten e-books auf den Markt kamen, lautete ein Haupteinwand gegen das neue Texttransportsystem, man könne es nicht mit in die Badewanne nehmen: Das könnte gefährlich werden. Auch gegen den PC als Buchersatz wurden Argumente des Lesekomforts ins Feld geführt, so etwa: zu unbequem im Bett. Und immer wieder das Argument der Unhandlichkeit. Kontrastiert vom Lob des Buchs als ständiger Begleiter, als guter Freund auf Reisen, am Strand und in der Straßenbahn. Natürlich greift man in instabilen Lagen gern zum Duodezbändchen und vollzieht am eigenen Leibe nach, was ehedem, vor mehr als hundert Jahren, den Erfolg der Reclam-Bändchen mitbegründet hat. Der günstige Preis war's ja nicht allein, Handlichkeit und Reisefreude des Buches kamen als überraschender Reiz hinzu: Bücher sind dufte Begleiter. Es war wie später beim Übergang vom voluminösen Kofferradio zum Walkman.

(Foto: N/A)

Allerdings erfinden die Menschen zum einen Extrem immer gern das andere hinzu; außerdem zeigen sie wenig Neigung, als schön zu empfinden, was sich zuvor als praktisch erwiesen hat. Deshalb wurde die Geburt des modernen preiswerten und reisefreudigen Taschenbuchs kongenial begleitet von der Geburt des teuren und immobilen Prachtbandes. Neben das zierliche Tischchen mit den Reclam-Bändchen schoben sich in der Morgenröte des wilhelminischen Deutschland plötzlich schwere eichene Pulte, auf denen Prachtbände der populären Naturwissenschaften (unter so neckischen Titeln wie "Insektenbelustigungen") oder wackersteinschwere Klassiker-Gesamtausgaben in Maroquain mit Troddeln, Quasten und Emblemen Platz nahmen.

Was passierte mit diesen bibliophilen Mammuten? Wurden sie wirklich gelesen? Und wenn ja, wie? Die einschlägige Literatur kennt Rezeptionsszenen wie diese: "Das Buch, das ich lesen wollte, wurde an die Wand gelehnt. Ich stieg zuerst auf die oberste Stufe der Leiter, wandte mein Gesicht dem Buch zu, begann beim oberen Ende der Seite und ging so etwa acht bis zehn Schritte, je nach der Länge der Zeilen, nach rechts und links, bis ich ein wenig unter meine Augenhöhe gelangt war; dann stieg ich stufenweise tiefer, bis ich an das untere Ende kam. . ." Die Szene ist, der Leser hat es bemerkt, satirisch und stammt aus Jonathan Swifts Erzählungen von Gulliver, den es auf seinen Reisen in das Riesenreich Brobdingnag verschlagen hat.

Natürlich ist niemand im Traum darauf verfallen, die elefantösen Bände des 19. Jahrhunderts zu lesen oder gar (mit Hilfe von Domestiken) im Bette über sich zu stemmen - auch das hätte bös ausgehen können. Die großen gründerzeitlichen Prachtwerke dienten einzig und allein dem Ausweis der Zugehörigkeit zum Besitz- und Bildungsbürgertum. In der Sprache der Werbung galten sie als "schönster Schmuck eines gepflegten Herrenzimmers".

Bei den Formaten wurde das traditionelle Folio zunächst vom Groß-Folio und dann vom Imperial-Folio überboten: Auch der Buchhandel des wilhelminischen Deutschland ließ jetzt seine Schlachtschiffe zu Wasser.

Die derzeit weltweit führende Werft für bibliophile Schlachtschiffe der Extraklasse ist der Kölner Taschen Verlag. Mit "Goat", dem gigantischen Bildband über die lebende Boxlegende Muhammad Ali, hat er soeben auf der Frankfurter Buchmesse die Wellen hoch schäumen lassen.

"Goat" ist ein Buch der absoluten Superlative - so wie es vier Jahre zuvor "Sumo" war, der gigantische Bildband über den Fotografen Helmut Newton, ebenfalls bei Taschen erschienen. Bevor über den (ebenfalls nicht unspektakulären) Inhalt von "Goat" geredet wird, gehen erst einmal Zahlen über den Tisch, die die Gewichtsklasse des Bandes beschreiben, so als handelte es sich tatsächlich nicht um ein Buch, sondern um ein Häuschen am Sunset Boulevard oder den neusten Aston Martin. 830 Seiten, 18 Autoren, 3000 Fotos, das ist schon beeindruckend, aber alles nichts gegen die äußeren Dimensionen: 50 mal 50 Zentimeter, 34 Kilogramm und, last not least, 3000 Euro Stückpreis.

Da vollzieht sich der dialektische Umschlag von Quantität in Qualität, hätte Hegel gesagt.

Und nun passiert das Eigentümliche, was schon angesichts der Prachtausgaben der Wilhelminer niemand erwartet hätte: Die Dinger verkaufen sich tatsächlich. Der vor wenigen Monaten präsentierte Band über Leonardo da Vinci (von Frank Zöllner), ebenfalls ein - wie es in einer Rezension hieß - "gewöhnungsbedürftiges Einrichtungsstück" von elf Kilo Lebendgewicht und dem Umfang eines kleinen Corbusiersessels (die Italiener sprechen sehr zierlich von einem formato atlantico) war im deutschen Sprachraum nach vier Tagen ausverkauft.

"Sumo" (Baujahr 1999, 70 mal 50 Zentimeter, 30 Kilo) ist beim Verlag vergriffen. Und das neue Werk über Muhammad Ali in einer Auflage von immerhin 10 000 Stück ist schon vor der Auslieferung so gut wie weg. Das, wie gesagt, bei einem Stückpreis von 3000 Euro: "Goat" ist das teuerste Sportbuch aller Zeiten, wie der Verlag stolz verkündet.

"Goat", hört man ebenfalls aus dem Verlag, sei kein gewöhnliches Buch. Sondern ein Denkmal für Muhammad Ali. Selten war eine Metapher so vom harten Holz der Wirklichkeit erfüllt. Tatsächlich hat die neue S-Klasse der Bildbände mit der bescheidenen, broschierten und halbledernen Realität der bisherigen Bücherwelt nicht mehr viel zu schaffen. Formal betrachtet sind diese Schwergewichtler auf dem Weg zum Möbelstück, mit dem sich die Lofts der eminenten Wilhelminer und Viktorianer unserer Tage angemessen einrichten lassen - eine Art bebilderter, bedruckter Eames Chair.

Auch ihrer Rezeption nach erinnern sie an die Prachtbände des 19. Jahrhunderts: Obwohl sie durchaus noch Text enthalten - "Goat" bietet Texte der renommiertesten Autoren, die über Ali geschrieben haben -, zielen sie auf ein Publikum, das die Mühen der Leseebene hinter sich gelassen hat.

Nicht nur seinen Produktions- und Werbekosten nach bewegt sich "Goat" - mit mehr als 10 Millionen Euro - in einer Höhe, in der sonst Filme, europäische jedenfalls, produziert werden. Bücher wie "Sumo", "Goat" und "Leonardo" wenden sich an ein Publikum, das in der Bilderwelt sozialisiert wurde: Es sind die ersten Bücher, die deutlich jenseits der Gutenberg-Ära stehen. "Ich kenne Bezirke", schreibt Jorge Luis Borges in "Die Bibliothek von Babel", "in denen die Jungen sich vor den Büchern niederwerfen und mit ungezügelter Wildheit die Seiten küssen, aber nicht einen Buchstaben verstehen."

Auch die neuen Bildbände der S-Klasse wollen geküsst und geliebt werden. Gelesen werden wollen sie nicht unbedingt. Wie ein gut gemachter Film oder ein starker Sound soll das Buch emotionalisieren: es ist Objekt der Rührung, des Staunens und kein Vehikel der Erkenntnis mehr. Bleibt die Ästhetik und ihr Versprechen, Bildung des Herzens und des Auges zu leisten.

Lassen wir die Herzen Herzen sein.

Dem Auge aber wird gelegentlich ein Reichtum vorgegaukelt, von dem genaue Prüfung wenig übriglässt. Die Layouter des "Leonardo" etwa haben, um mit gigantischen Detailaufnahmen wuchern zu können, ein weibliches Porträt derart auf eine Doppelseite gesetzt, dass die markanten Elemente des Gesichts, Nase und Mund, komplett im Falz des dicken Bandes verschwanden. Die Dame war entstellt, keine Frage; ob sich die Emotion trotzdem einstellte?

"Das Format", hat Jacob Burckhardt geschrieben, "ist die Abgrenzung des Schönen gegen den ganzen übrigen Raum." Die Sprengung der klassischen Buchformate hat einen hohen Preis. Aber anders als der der neuen Rekordbücher lässt er sich nicht mehr in Euro und Dollar beziffern.

© SZ v. 17.10.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: