Die Geschichte brauner Web-Aktivitäten:Das Netz als Volksempfänger

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Die Öffentlichkeit erschrickt immer wieder erneut, wenn sie auf nazistische Internetseiten aufmerksam wird. Doch Neonazis zählen seit je zur Avantgarde der Netzaktivisten, die längst gelernt haben, das Web als Vehikel für ihre Propaganda zu missbrauchen. Hier ist der historische Abriss.

Toralf Staud

Es gibt auch Neonazis, die mit Computern umgehen können. Das ist banal, aber man muss offenbar darauf hinweisen angesichts der empörten Überraschung, die sich immer wieder breitmacht, wenn die Öffentlichkeit von scheinbar neuen Propaganda-Mitteln der extremen Rechten erfährt. Vergangene Woche wurde publik, dass die NPD eine eigene Wochenschau auf der Internetplattform YouTube plane, zwei Testsendungen gab es bereits.

Ausschnitt aus dem Logo der heidnischen "Artgemeinschaft" des Hamburger Anwalts Jürgen Rieger. (Foto: N/A)

Nur wer glaubt, alle Neonazis seien tumbe, arbeitslose, desorientierte Jugendliche, konnte über die NPD-Filmchen überrascht sein. Denn die Nutzung der jeweils neuesten Medien durch Rechtsextremisten ist nicht neu.

Der Aufstieg der NSDAP gelang einst auch dank moderner Kommunikationstechniken, das Dritte Reich hätte ohne Volksempfänger und Propagandafilme kaum funktioniert. Und die frühe NPD überraschte bei ihrer ersten Erfolgswelle Ende der sechziger Jahre die Konkurrenzparteien und Beobachter durch hochprofessionelle Wahlkämpfe und Werbeaktionen.

Nach dem knapp verpassten Einzug in den Bundestag 1969 aber sank sie zur Splitterpartei hinab, und in der liberaler werdenden Bundesrepublik verlor sie völlig den Anschluss an den kulturellen Zeitgeist. Als Pop, Blues und Rock"n"Roll die Hitparaden stürmten, galt dies der NPD nur als amerikanische Unkultur. Sie pflegte das deutschvölkische Erbe, das Wander- und Volkslieder, Marschmusik und Wagner-Opern umfasste.

Damals beschimpfte die Parteizeitung Beat und Pop "als akustisches Rauschgift" - "der Tiefpunkt eines Verfalls, der mit Schönbergs atonalen Experimenten begonnen hat". Auch der NPD-Nachwuchs Junge Nationaldemokraten war nicht weiter, er wollte damals die Jugend mit Schallplatten begeistern, auf denen der "JN-Chor NRW" Lieder im Arbeitskampfstil schmetterte, begleitet von der "Fanfarengruppe des Spielmannszuges Albert-Leo Schlageter" und dem heutigen DVU-Pressesprecher Bernd Dröse an Klavier und Heimorgel.

Doch das ist lange her. Im Laufe der neunziger Jahre hat sich die NPD rundum modernisiert, unter anderem entdeckte sie - wie zuvor bereits andere Neonazi-Gruppen - den aus England kommenden Skinhead-Rock als Rekrutierungsinstrument für die Jugend. Bereits auf ihrem Parteitag 1991 gründete die NPD einen "Arbeitskreis Medien und Technik", im Januar 1992 startete sie einen Info-Dienst im Btx-Service der Deutschen Post. Der Bundesvorsitzende Udo Voigt erklärte sofort nach seinem Amtsantritt vor zehn Jahren "die verstärkte Nutzung des Kommunikationssystems Internet" zu einem "Hauptziel der Partei". Kurz danach ging die NPD als erste rechtsextremistische Partei Deutschlands mit einer Homepage ins World Wide Web.

Trotzdem erschrickt die Öffentlichkeit immer wieder, wenn sie auf rechtsextreme Technikfreaks aufmerksam wird. Focus berichtete 1993 als erstes Magazin über das so genannte "Thule-Netz", den Verbund eines Dutzends simpler Computer-Mailboxen, in die Rechtsextreme sich mit Modems zum Datenaustausch einwählen konnten; irgendwo lag da auch eine Anleitung zum Bombenbau, abgeschrieben aus einem in der Schweiz frei verkäuflichen Buch. Der Verfassungsschutz sah durch die Mobiltelefone und Verschlüsselungssoftware die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung in Gefahr. Die bayerische Landesregierung forderte eine Ausweitung der Abhörbefugnisse. Und in Bonn überlegte das Innenministerium, "höhere Ebenen der Kommunikationstechnik" zu verbieten - so der damalige Staatssekretär Eduard Lintner (CSU).

An der Nutzung technischer Innovationen durch Rechtsextremisten änderte sich dadurch nichts. Anfang der neunziger Jahre entstand ein Netz von Nationalen Infotelefonen - Ansagedienste für Termine und Informationen auf der Basis von Anrufbeantwortern. Mitte der neunziger Jahre gründeten Berliner Rechtsextremisten im Offenen Kanal der Hauptstadt ein "Radio Germania", und als die Ausstrahlung von der zuständigen Medienanstalt untersagt wurde, wechselten sie ins Internet. Ende der Neunziger nahm die Zahl rechtsextremer Homepages schließlich stark zu, was wiederum für alarmierte Medienberichte und Reaktionen des Verfassungsschutzes sorgte. "Rechtsextremismus im Internet - Die neue Gefahr" lautet der Titel eines Buches im Jahr 2001. Dass das Internet insgesamt explosionsartig wuchs und die Steigerungsraten bei den rechtsextremistischen Homepages sogar unterproportional blieben, wurde ausgeblendet.

Und auch als Neonazis das beliebte Computerspiel "Moorhuhnjagd" abwandelten oder erstmals in das Gewand von HipHoppern schlüpften, waren die leicht hysterischen Reaktionen immer dieselben: Die Öffentlichkeit will Entwicklungen erst nicht wahrhaben, dann schreckt sie plötzlich auf - und nimmt gern vollmundige Ankündigungen rechter Kader für bare Münze. Doch deren Projekte dümpeln wegen handwerklichen Dilettantismus, Geldmangel oder interner Streitereien oft vor sich hin - oder scheitern ganz. Seit langem gibt es auf rechtsextremen Homepages Audiodateien, die NPD zum Beispiel stellt seit Jahren ihre Wahlwerbespots ins Internet - da waren rechtsextreme PodCasts nur eine Frage der Zeit. Die NPD-Wochenschau wurde von YouTube zwar sofort gelöscht, aber weiterhin finden sich dort Musikvideos der in Deutschland verbotenen Neonazi-Band Landser oder Filmchen von Sommersonnenwendfeiern der heidnisch-rassistischen "Artgemeinschaft" des Hamburger Anwalts Jürgen Rieger.

Am Internet stören die Rechtsextremisten lediglich die Anglizismen. Deshalb nennen sie es lieber "Weltnetz" und versenden "E-Post", ihre "Heimatseiten" lassen sie nicht von Webmastern pflegen, sondern von "Netzmeistern". Angesichts einer "übermächtig erscheinenden gleichgeschalteten Presse", schrieb die NPD-Zeitung Deutsche Stimme im September 2000, sei das Internet der "Schwerpunkt der nationalen Gegenöffentlichkeit" und ein "wichtiger Gegenpol zum herrschenden Zeitgeist". Seit Jahren ist das Netz der wichtigste Vertriebsweg für rechtes Propagandamaterial, aber auch für Musik und Szenekleidung. Ähnlich wie bei Sex-Shops ist der anonyme Zugang für die Kunden von entscheidendem Vorteil. Und durch die Ansiedlung von Versandhäusern in Skandinavien oder den USA lässt sich das deutsche Strafgesetzbuch umgehen.

Außerdem verbilligt das Internet die Kommunikation erheblich. Die Internetseite der NPD verzeichnet nach Parteiangaben rund drei Millionen Besucher pro Jahr. "So viele Flugblätter könnten wir niemals drucken oder verteilen", frohlockt ihr Pressesprecher Klaus Beier. Vor ein paar Monaten hat die Partei ihren Netzauftritt komplett überarbeitet, er kommt jetzt mit freundlichen Kinderfotos daher und ist erheblich gekonnter gegliedert. Die Zahl der Zugriffe habe sich seit dem Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag vor zwei Jahren fast verzehnfacht, 80 Prozent der Anfragen und Materialbestellungen kämen heute auf elektronischem Weg in der Parteizentrale in Berlin an. Zum Jahresende, kündigt Beier an, solle die Wochenschau trotz des Rausschmisses bei YouTube starten.

Der größte Vorteil des Internets ist, dass sich dort versprengte Einzelkämpfer zusammenfinden können - und nichts anderes sind Rechtsextremisten im größten Teil der Bundesrepublik noch immer. Das Netz vermittelt Gemeinschaftssinn, wo man sich früher auf einsamen Posten fühlte. Für jede Spielart des Rechtsextremismus finden sich Seiten im Netz, nationalbolschewistische Pamphlete werden dort ebenso diskutiert wie die Sorgen von Skingirls mit dem Milchschorf ihrer Babies. Die Kehrseite aus ihrer Sicht ist, dass es nach wie vor keine zentrale Plattform der Szene gibt. Und schaut man sich die Foren an, wird auch dort vor allem getratscht und geplappert wie in typischen Chatrooms.

In den vergangenen zwei Jahren haben linke Hacker Dutzende Nazi-Seiten geknackt und beispielsweise Adresslisten von Versandhäusern und die Inhalte interner Foren öffentlich ins Netz gestellt. "Da geht es vor allem darum, welche Band auf dem letzten Konzert besonders toll war oder wie das Besäufnis am vergangenen Wochenende verlief", erklärt Ulli Jentsch, der beim Berliner Archiv "apabiz" arbeitet. Das Niveau sei meist "wie am Biertisch oder Montagfrüh auf dem Schulhof". Jedenfalls wird die Bedeutung des Internets von vielen Beobachtern überschätzt. Wirkliche Strategiedebatten finden nach wie vor eher bei persönlichen Treffen statt oder in den gedruckten Medien, etwa in der Deutschen Stimme, die heute dank eines angeschlossenen Versandhauses erstmals in der NPD-Geschichte profitabel arbeitet und nicht zuletzt durch die Aufsätze der staatlich finanzierten Fachreferenten der sächsischen Landtagsfraktion deutlich anspruchsvoller geworden ist.

Aber auch immer mehr Homepages von militanten Neonazi-Kameradschaften haben einen attraktiven Stil gefunden, sie kopieren Logos und Slogans linker Autonomer, längst bieten auch sie Grafitti-Schablonen und Aufkleber mit originellen Sprüchen und schickem Layout an. Und auch technisch rüstet die Szene auf: der stellvertretende NPD-Landeschef in Thüringen, Ralf Wohlleben, werkelt an einem eigenen Internetprovider, um künftig das Abschalten rechter Homepages durch die großen Telekom-Anbieter zu verhindern. Wohlleben hat eine Ausbildung als Fachinformatiker, doch auch er versteht nicht genug von Datensicherheit, sein Server wurde bereits von Netz-Antifaschisten geknackt. Bisher fehlen den rechten Netzjüngern meist Kompetenz, Disziplin und Geduld oder schlicht genügend Gleichgesinnte, um voneinander lernen können.

Es gibt Neonazis, die mit Computern umgehen können, aber viele sind es nicht. Noch nicht.

Von Toralf Staud erschien zuletzt "Moderne Nazis - Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD" (Kiepenheuer und Witsch).

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.229, Donnerstag, den 05. Oktober 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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