Die Droge der schwarzen Popkultur:Der Stoff, aus dem die Reime sind

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Viele Hip-Hop-Künstler rühmen sich ihrer Erfahrungen mit harten Drogen. Kokain-Rap glorifiziert die Ghettofigur des Dealers - um dessen Opfer schert er sich nur selten.

Jonathan Fischer

Es heißt ki, brick, snow, yayo oder ice cream, und es gibt kaum ein Rap-Album, das sich nicht darauf reimt: Kokain und dessen Ghetto-Variante Crack. Eine Droge, die chancenlosen schwarzen Jugendlichen einen rasanten Weg zu Ruhm, Reichtum, Rausch verspricht. Und deshalb in der Mythologie des Hip-Hop eine ähnliche Rolle spielt wie der Schwarzgebrannte im Gangsterfilm der Prohibitionszeit.

Jay-Z gibt den Hustler im weißen Anzug. (Foto: Foto: Sony/BMG)

Tatsächlich rühmen sich immer mehr Rapper auf Platte ihrer Erfahrungen mit harten Drogen. Stars wie DMX, der 2004 an einer Überdosis verstorbene Ol' Dirty Bastard oder Smoke von Field Mob wurden wegen Crack-Besitzes wiederholt festgenommen. Selbst "White Lines", der berühmte Lasst-die-Nasen-vom-Kokain-Rap von 1983, wurde, wie man heute weiß, von Melle Mel im zugekoksten Zustand aufgenommen.

Die Drogenschwemme hat seit den frühen sechziger Jahren in den schwarzen Ghettos Amerikas Verheerendes angerichtet, sie ist mitverantwortlich dafür, dass die traditionellen Familienstrukturen dort heute weitgehend zerstört sind und die von Mord und Totschlag begleiteten Verteilungskämpfe der Gangs immer weiter angeheizt wurden.

Die Droge zeigt Wirkung

Und doch ist ihr Gebrauch auch bei Musikern Realität und hat Einfluss auf ihre Kunst: Charlie Parker benutzte Marihuana oder Heroin, um sich von herkömmlichen Bewusstseinsschranken zu lösen, Soulsänger wie Marvin Gaye oder O.V. Wright koksten, um nicht am selben Schmerz, den sie in ihre Songs packten, zugrunde zu gehen. Und ohne weißes Pulver im Tank wären die psychedelischen Raumschiffe von George Clinton wohl nie richtig abgehoben.

Tatsächlich sind Anti-Drogen-Messages im schwarzen Pop dünn gesät. Oder das Leben hat sie längst grauenhaft persifliert: Gil-Scott Heron warnte einst vorm "Angel Dust", heute gibt er ein lebendes Mahnmal als Drogen-Wrack ab.

Im Hip-Hop aber hat eine wesentliche Verschiebung stattgefunden, ging der Drogenkult vom Konsumenten zum Dealer über. Dessen Tun ist Thema vieler Lyrics, er selbst Vorbild vieler Selbstinszenierungen von Rappern. Tatsächlich genießt der dope man in der afro-amerikanischen Folklore seit den Blaxploitation-Filmen der siebziger Jahre eine zumindest heimliche Bewunderung, im Hip-Hop nun befeuert die romantisierte Dealer-Figur unzählige Tracks, von Notorious B.I.G.s "Ten Commandments Of Crack" bis zu den neuesten Straßenhymnen von MCs wie Juelz Santana alias "The Human Crack In The Flesh".

Realität ist nicht mehr real

Der Kokain-Rap hat sich dabei längst von der Sozialreportage zur Hipness-Selbstdarstellung gewandelt. Selbst ein Party-Rapper wie Busta Rhymes will da nicht zurückstehen und blies erst jüngst auf "The Big Bang" seine Vergangenheit als Kleindealer zu epischer Größe auf: "We like drugs overdose niggaz every time", tönt er in "Cocaina", "wit money like a thousand coke deals from here to Panama..."

Dass Abertausende, wegen Crack-Straftaten verurteilte Jugendliche die amerikanische Gefängnisse überfüllen, bleibt unerwähnt.

Zwar ist die Crackwelle längst abgeebbt, hat sich die Mordrate innerhalb eines Jahrzehnts halbiert, ähneln die schwarzen Inner Cities kaum noch den blutigen Drogenkriegsschauplätzen, die Filme wie "New Jack City" noch Anfang der neunziger Jahre suggerierten. Alleinerziehende Mütter auf Stütze und vaterlose Jugendliche aber gibt es immer noch unzählige.

Sozialrealistische Erzählungen über deren Schicksale aber kommen im Mainstream-Hip-Hop kaum mehr vor, statt verzweifelter Leben werden vergoldete Felgen gezählt. Nicht die realste, sondern die gewalttätigste Geschichte verkauft sich. So rauscht man auf den neuen Alben von The Game, Rick Ross oder Young Jeezy hinein in eine herbeifantasierte Abenteuerwelt, wo die Crack-Küchen dampfen, sich Dealer mit halbnackten Girls amüsieren und Drive-By-Shootings zum Freizeitvergnügen gehören - crack nostalgia. Märchen, die sich aus dem Mythos des Drogendealers speisen. Er bietet im Ghetto oft das einzig sichtbare Vorbild für materiellen Erfolg, Selbstbestimmung, Autorität.

Florierende Crack-Industrie

Tatsächlich lässt sich Kokain-Rap also nur schwer in moralischen Kategorien beurteilen. Schließlich hängen die Parallelökonomie des Drogenhandels und der Hip-Hop-Boom noch immer eng zusammen. Beide blühten in Folge der Vernachlässigung der Inner Cities seit den siebziger Jahren auf: Erst das schnelle Crack-Geld und die damit einhergehende Gewalt boten Erzählstoff für Hip-Hop-Meilensteine wie "Niggaz For Life" von NWA, "It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back" von Public Enemy oder "The Blueprint" von Jay-Z.

Allein in New York, heißt es, sollen Anfang der neunziger Jahre zeitweise rund 150000 Menschen in der Crack-Industrie gearbeitet haben. Das Wohlergehen ganzer Stadtteile hing direkt oder indirekt an den Einkünften der Dealer. The Clipse, deren paranoid-gehetzte Tracks auf ihrem Album "Lord Willin'" wie ein Soundtrack zum Crack-Boom wirkten, brachten die Alternative auf den Punkt: "Either rap or unwrap". Entweder du rappst - oder du packst den Stoff aus.

"Der mit den Crack-Millionen einhergehende Materialismus", beklagte der Hip-Hop-Theoretiker Greg Tate bereits vor zehn Jahren, "hat die Spiritualität als Maßstab für den Wert des Lebens ersetzt." Und dennoch gibt es heute auch Rapper wie Ghostface Killah, der auf seiner gerade erschienenen Crack-Oper "More Fish" dem drug game so beklemmende wie hypnotische Geschichten abgewinnt.

Und Mos Def erschüttert den Crackmythos auf seinem neuen Album "True Magic", indem er den Spieß einfach umdreht und die Dealerphantasien als die eigentliche Droge entlarvt: "Thug Is A Drug". Zu stotternden Beats und düster grollendem Klavier zerrt er an der Maske der Möchtegern-Paten, hält ihm die Perspektive seiner Opfer vor: "You ever felt ugly enough to cry, you ever bet for mercy and wished to die...?"

Das Bild des sich nur noch nach der Erlösung im Tod sehnenden Crack-Süchtigen - der Kokain-Rap kennt es nicht. Er zählt weiter all die vergoldeten Felgen, die sich mit Märchen über Dealer verdienen lassen.

© SZ v. 20.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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