Deutschlands erster Schwulen-Sender:Wir lieben Männer

Lesezeit: 3 min

Lieber Haider als Finanzkrise: Seit Samstag ist Deutschlands erster deutscher TV-Kanal für Schwule auf Sendung.

Christian Deker

Als Frank Lukas seinen neuen Fernsehkanal vergangene Woche in Hamburg vorstellte, scherzte er, der Begriff "schwuler Sender" stehe in den Berliner Redaktionsgebäuden unter Strafe.

Premierenparty, da darf Berlins Regierender Bürgermeister nicht fehlen: Klaus Wowereit und Programmdirektor Frank Lukas. (Foto: Foto: ddp)

"Es gibt weder schwule Kühlschränke noch schwule Autos", erklärt er. Deshalb könne Timm auch kein schwuler Sender sein. Lukas spricht lieber von einem "Sender für schwule Männer". 3,6 Millionen gibt es davon in Deutschland, rechnet er vor. Das sind 3,6 Millionen potenzielle Zuschauer für den Spartenkanal Timm, der am vergangenen Samstag auf Sendung ging.

Timm ist der erste Free-TV-Kanal, der ein Programm speziell für Schwule ausstrahlt. Der Sender-Slogan bringt es knapp auf den Punkt: "Wir lieben Männer." Aber auch deren Umfeld will Timm erreichen, "die beste Freundin, Eltern schwuler Kinder, den heterosexuellen Freundeskreis". Die Zielgruppe ist klein, dafür angeblich für Werbekunden besonders interessant:

Schwule Männer sollen über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen und besonders konsumfreudig sein. Frank Lukas, Geschäftsführer und Programmdirektor in einer Person, ist dieser Zielgruppe wohlbekannt: Von 2001 bis 2006 moderierte er das schwule RTL-Magazin andersTREND.

Der erste neue Vollblut-Sender

Vergleichbare Sender starteten bereits in Kanada, Italien und Frankreich. Die Versuche in Deutschland, einen Sender für Schwule zu gründen, scheiterten bislang an der Finanzierung. Über das Budget schweigen die Macher von Timm, Frank Lukas und seine eigene Produktionsfirma "South & Browse" haben aber mit der Verlagsgruppe Madsack ( Hannoversche Allgemeine Zeitung) einen finanzstarken Partner im Rücken. Die Verlagsgruppe hält rund 15 Prozent an den Deutschen Fernseh-Werken, die Timm produzieren.

Der Sender strahlt ein so genanntes Vollprogramm aus, laut Rundfunkstaatsvertrag muss dem Zuschauer dabei Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung geboten werden. Der letzte Start eines Vollprogramm-Senders liegt mehr als 15 Jahre zurück, damals gingen Vox und RTL 2 auf Sendung.

Timm sendet wochentags von 18 Uhr bis Mitternacht, am Wochenende schon ab dem frühen Nachmittag. Zu sehen sind zunächst vor allem Fremdproduktionen: US-Serien, Spielfilme und Dokumentationen, darunter schwul-lesbische Klassiker wie Queer as Folk und The L-Word, die zuletzt bei Pro Sieben zu sehen waren. Später will Timm sein Programm ausbauen, vor allem der Anteil von Eigenproduktionen soll steigen. Ab Mitte November soll es mit "Timmtoday" ein tägliches Nachrichtenmagazin zur Primetime geben. In der 15-minütigen Sendung möchte man aktuelle Themen "serviceorientiert und kurzweilig" aufgreifen, Relevanz für schwule Zuschauer ist dabei Voraussetzung.

"Über die Bankenkrise würden wir eher selten berichten", sagt Lukas. "Über den Fall Haider schon öfter." Mit weiteren Eigenproduktionen wie dem Taxi-Talk Timmousine oder der Datingshow Homecheck hofft Timm auf Quote. Eine schwule Ausgabe der Kuppelshow "Der Bachelor" ist in Planung.

Erfrischend anders

Der eigentliche Verdienst des Berliner Pioniersenders ist es, Stoffe nach Deutschland zu holen, die im Mainstream-Fernsehen niemals zu sehen wären: die animierte Sitcom Rick & Steve, in der ein Playmobil-Pärchen schwule Klischees in Simpsons-Manier durchleuchtet. Oder die erfrischende Comedyserie Noah's Arc, in der vier schwule Schwarze durch Los Angeles tingeln.

Flankiert wird das Fernsehprogramm von Internet- und Radioangeboten. Außerdem erscheint eine Programmzeitschrift (Startauflage: 450.000), die bundesweit als Beilage von schwulen Stadt- und Kaufmagazinen vertrieben wird.

Timm ist im digitalen Kabelnetz und via Satellit über Astra digital zu empfangen. Rund 95 Prozent aller digitalen Haushalte können das Programm verfolgen. Das ist mit rund 15 Millionen aber nicht einmal die Hälfte aller deutschen Fernsehhaushalte. Allerdings ist Timm auch über das Internet zu sehen, sowohl auf der sendereigenen Webseite als auch im Internet-Fernsehen "Zattoo". In der Anfangsphase will man zur Primetime 30.000 Zuschauer erreichen. "In den nächsten Jahren können das auch gerne mal mehr als 100.000 sein", sagt Lukas.

Beim Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) begrüßt man den neuen Sender zwar. Man erwarte aber, dass auch die Öffentlich-Rechtlichen und die anderen privaten Sender noch viel selbstverständlicher über Lesben und Schwule berichten, sagt LSVD-Sprecherin Renate Rampf. "Unsere Sorge ist, dass die gesellschaftliche Aufgabe, Respekt gegenüber Lesben und Schwulen aufzubringen, in einen Spartenkanal abrutscht."

Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, sieht auch Chancen: "Wenn der Spartensender gut gemacht ist, dann fällt den anderen Sendern vielleicht auf, wie vielfältig das Thema ist", sagt er.

Die Befürchtung, der Schwulen-Sender würde zu einer Ghettoisierung der Minderheit beitragen, hat Frank Lukas nicht. Timm sei schließlich frei empfangbar. "Jeder kann uns sehen", sagt er. "Aber niemand muss."

© SZ vom 5.11.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: