Deutsches Theater:Eingesperrt und ausgesperrt

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Antonia Welke als "The Girl" möchte heiraten - damit sie bleiben darf. (Foto: Mark Noormann)

Das Musical ist in Deutschland verkannt, findet der Regisseur Martin Berger. Mit seiner Inszenierung von "Tell Me on a Sunday" will er das ändern

Von Christiane Lutz

Martin Berger ist Regisseur und hat keine Lust auf Musicals. Zumindest nicht auf die Art von Musicalinszenierungen, wie er sie an beinahe allen deutschen Musicalhäusern sehen muss. "Musical ist so oft nur Musiktheater mit Tanz und ein bisschen Schauspiel und vor allem mit dem Zwang, irgendwie lustig zu sein", sagt Martin Berger, 28 Jahre, ein rosiger, energiegeladener Typ. Deshalb ist seine Mission: Musical irgendwie anders machen. Beweisen will er das in seiner neuen Produktion "Tell Me on a Sunday", einem Musical von Andrew Lloyd Webber, für das ihn die Theaterakademie August Everding nach München bestellt hat.

"Ich will meine europäisch geprägte Vorstellung von Regie und Theater mit dem Genre Musical zusammenbringen", sagt Martin Berger in einem Probenraum der Akademie. "In vielen dieser scheinbar harmlosen Stoffe stecken echte Konflikte, die möchte ich verhandeln." Berger, aufgewachsen in Berlin, tingelte als Regieassistent von einem großen Haus zum nächsten, ehe er an der Staatsoper in Hannover landete, wo sein Opernregie-Debüt "Die Fledermaus" gleich mit einer Nominierung für den Götz-Friedrich-Preis gewürdigt wurde. "Tell Me on a Sunday" ist ein Musical von Andrew Lloyd Webber für nur eine weibliche Rolle. Diese übernimmt Antonia Welke. Welke ist Studierende der Masterclass für Musical an der Akademie, dies ist also eine ihrer ersten, richtig großen Auftritte.

Um den Musical-Studierenden den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern, besteht seit einiger Zeit eine Zusammenarbeit zwischen der Theaterakademie August Everding und dem Deutschen Theater. So sind seit dieser Spielzeit Musicalproduktionen im Silbersaal zu sehen. "Tell Me on a Sunday" wird die zweite sein, nachdem Ende Oktober bereits "Into the Woods" gespielt wurde.

Die Geschichte ist so einfach wie altbacken: Eine junge Frau geht nach New York und sucht die Liebe. Nach mehreren gescheiterten Beziehungen und Enttäuschungen besinnt sie sich auf sich selbst und beschließt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Viel zu langweilig für einen Regisseur wie Martin Berger. Er hat aus der jungen Frau kurzerhand eine junge Geflüchtete gemacht, die in Deutschland ankommt und einen Mann braucht, der sie heiratet, damit sie nicht abgeschoben wird. Die Musik und die Songs, sagt Berger, ließen sich erstaunlich gut übertragen auf den von ihm erdachten Konflikt. So steckt Darstellerin Antonia Welke nun mit Kopftuch in einem Quader aus Plexiglas und singt. Der Quader wird im Spiegelsaal in der Mitte platziert sein, so dass die Zuschauer um ihn herum gehen können. Jegliche Form von Rückzug ist der Frau dadurch untersagt. Sie ist ausgesperrt und eingesperrt zugleich. Sie gerät in Panik, versucht auszubrechen, bevor sie wieder Webbers liebliche Musik anstimmt.

"Ich finde es spannender, wenn eine Sängerin zu einer Andrew-Lloyd-Webber-Ballade ausbricht, als zu einer Musik, die an sich schon gefährlicher und komplizierter ist", sagt Berger. "Ich möchte immer den Kontrast suchen". Und dabei am Image des Genre Musicals arbeiten. "Uns Deutschen fehlt ein selbstverständlicherer Umgang mit dem Genre. Wir rennen in der Ästhetik den Amerikanern hinterher und können diese aber niemals erreichen. Eine High-School-Musical Produktion ist in den USA besser als die meisten Musical-Inszenierungen an deutschen Stadttheatern", sagt Martin Berger. Er arbeitet hart daran, dass sich das ändert.

Tell me on a Sunday , Donnerstag bis Samstag., 26. bis 28. November, Deutsches Theater, Silbersaal, Schwanthalerstr. 13

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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