Deutsches Desinteresse an Italien:Grob von Seele

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Im Senat gehen alte Herren mit Fäusten aufeinander los, die Gesellschaft entsolidarisiert sich und die Müll-Mafia regiert - ach, Italia! Wie Deutschland sich entliebt.

Gustav Seibt

Für Lessing waren die Italiener nur die Schmeißfliegen, die sich vom Kadaver des antiken Rom ernährten. Zweihundert Jahre spätet schilderte Rolf Dieter Brinkmann das Rom der siebziger Jahre als einen schmierigen Ort des Verfalls, beherrscht von Lärm, Gestank und Reklame; auf den Plätzen allgegenwärtig die Männer, die sich unentwegt herausfordernd am Sack kratzen.

Sinnbild Italiens: Gina "La Lollo" Lollobrigida 1947. (Foto: Foto: AP)

Entgegen einem in ganz Europa verbreiteten Gerücht waren Italien und die Italiener keineswegs immer beliebt. "Das kälteste Volk der Welt" nannte sie Martin Mosebach, damit einen Gedanken Rudolf Borchardts aufgreifend, der vom ausgeträumten Innern einer seit unvordenklichen Zeiten festgewordenen Rasse sprach, die vor allem eines sei: "deutlich, ja grob von Seele". Und damit sind die nichtdeutschen Zeugen, beispielsweise Hippolyte Taine oder Charles Dickens, noch gar nicht genannt, die sich übereinstimmend vor der Grausamkeit der Italiener gegen Tiere oder bei öffentlichen Hinrichtungen entsetzten.

Fürs Erkalten der Liebe zu Italien gibt es derzeit wieder viele Anlässe. Da glaubt der neugewählte Bürgermeister Roms, die Volksstimmung zu seinen Gunsten lenken zu können, indem er das einzige gelungene zeitgenössische Bauwerk im Zentrum der Stadt, Richard Meiers Museum zum augusteischen Friedensaltar, abzureißen droht. Schon dass der Vertreter einer postfaschistischen Partei, die rechts vom österreichischen Populisten Haider steht, das Rathaus einer Millionenstadt erobern konnte - und nicht etwa einen hinterwäldlerischen Alpenkanton -, stimmt bedenklich. Silvio Berlusconi wurde zum dritten Mal an die Regierung gewählt, bei hellem Licht über allen seinen politischen Misserfolgen, gebrochenen Versprechen und Durchstechereien zum eigenen Vorteil.

Ohne Schwung und Basis

Die Auguren des deutsch-italienischen Verhältnisses, beispielsweise der redliche und wohlinformierte Turiner Historiker Gian Enrico Rusconi, fragen besorgt, warum die deutsch-italienische Freundschaft derzeit so schwunglos bleibe. Die Antwort lautet: Sie findet keine Basis mehr in der deutschen Gesellschaft, jedenfalls nicht bei den Gebildeten und der kritischen Intelligenz. Die Deutschen interessieren sich jenseits des Tourismus kaum noch für ihre wichtigste Schwesternation am Mittelmeer.

Die Zeiten, da die Buchläden voll von den Werken italienischer Schriftsteller und Historiker waren und Namen wie Umberto Eco oder Carlo Ginzburg auch hier die Debatten prägten, sind seit mehr als einem Jahrzehnt vorbei. Ein wichtiger Italien-Verlag wie Wagenbach publiziert inzwischen auffällig viele Bücher aus Spanien und Lateinamerika.

Vom italienischen Kino dringt wenig mehr ins Ausland als die vollkommen internen Lamentationen eines sympathischen Zausels wie Nanni Moretti. Giorgio Agamben, der einzige italienische Theoretiker von internationaler Ausstrahlung, arbeitet sich nicht zuletzt an deutschsprachigen Denkern wie Carl Schmitt oder Walter Benjamin ab.

Aktuelle Lustlosigkeit

Aber das sind nur Symptome. Jede Nationalkultur hat ihre Schwächephasen. Im Falle Italiens kann ein solches Tief gar nichts an den ewigen Gründen ändern, die italienische Sprache zu erlernen; sie heißen Dante, Machiavelli oder Leopardi. Und immer werden intensive Italien-Erfahrungen zur ästhetischen Erziehung jedes bewussten Europäers gehören. Die aktuelle - vielleicht nicht nur deutsche - Lustlosigkeit an Italien hat politische Gründe, die wiederum den moralischen, nämlich demoralisierten Zustand der italienischen Gesellschaft anzeigen.

Denn die kulturelle Attraktivität von Nationen hat auch eine politische Seite; jedenfalls war dies in Europa immer so. Die Völker beobachteten einander wechselseitig beim bürgerlichen Kampf um ein besseres Leben. Ihre Bestrebungen fanden Neugier und Sympathie auch bei den Nachbarn. So haben viele Deutsche bei der Schaffung der italienischen Nation im 19. Jahrhundert mitgefiebert; dass Italien eine Lehrmeisterin sei, galt bei Rechten wie Linken in der Ära des Faschismus als ausgemacht.

Auf der nächsten Seite: Kaltschnäuzigkeit, private Mülldeponien und ungenierter Sexismus - was heute noch aus Italien kommt.

Italien schuf den politischen Katholizismus und damit die solideste Brücke vom alten, agrarischen Europa in die moderne Industriegesellschaft. Zugleich entwickelte es eine besonders durchdachte Version des Liberalismus, der beispielsweise die Diskussion der Rechtswissenschaften in ganz Europa beeinflusste.

In den sechziger und siebziger Jahren kamen durch Pier Paolo Pasolini und Umberto Eco zwei radikal entgegengesetzte, aber gleichermaßen wirksame Versionen moderner Kulturkritik in die Welt, die Verdammung des Konsumismus einerseits, die semiotische Konzeption einer postavantgardistischen Massenkultur andererseits. Solche Überlegungen begleiteten den dramatischen, am Ende erfolglosen Kampf der kommunistischen Partei um politische Teilhabe in der blockierten italienischen Nachkriegsdemokratie. All das zeigte Krisen und Konflikte an, aber es bewies eine prinzipielle Fruchtbarkeit, die exemplarisch auf die Öffentlichkeiten anderer Nationen wirken konnte.

Unterwäsche-Models für den ungenierten Sexismus

Was kommt heute aus Italien? Wir sehen Bilder aus einem Senat, wo alte Herren mit Fäusten aufeinander losgehen und dann Prosecco-Flaschen auf den roten Teppich sprühen lassen. Der wichtigste Oppositionelle ist ein feister Komiker, der vor allem Witze ad personam reißt. Und das drängendste politische Problem ist die Unfähigkeit von Großstadtverwaltungen, ihren Müll von den Straßen zu holen. Das Mitleid mit den geplagten Bürgern wäre größer, hätte man nicht auf Italienreisen Hunderte von privaten Mülldeponien gesehen, wo einfache Bürger an den schönsten Punkten ihres Landes Fernseher, Matrazen und Kühlschränke abladen.

Italienische Hooligans sind genauso rassistisch und eher noch gewaltbereiter als ihre Kollegen aus Sachsen oder Brandenburg. Der italienische Fußball, diese riesige Geldmaschine, verharrt nicht zuletzt dank einer skrupellosen, unspielerischen Brutalität an der Weltspitze. Seine Protagonisten lassen sich als Unterwäsche-Models für den ungenierten Sexismus einspannen, der die italienische Mode-Industrie ganz allgemein beherrscht. Man sähe das gelassener, würde der Regierungschef nicht selbst mit primitiver machinistischer Anmache auf sich aufmerksam machen.

Hinter all der Kaltschnäuzigkeit auf der sozialen Oberfläche steht die fundamentale Entsolidarisierung in der italienischen Gesellschaft, die nicht nur das überkommene, weltanschaulich gegliederte Parteiensystem zugunsten von Klientel-, Regional- und Steuersparparteien zerfallen ließ, sondern inzwischen sogar den Zusammenhalt Italiens als Nation in Frage stellt.

Das Mafia-Problem

Die Erbschaft des Risorgimento wird heute nur noch von den Postfaschisten, wenn auch einseitig verteidigt, verkürzt um seine libertären Züge. Und mit dem Verschwinden einer überregionalen politischen Idee von Italien verliert sich auch die traditionelle Begeisterung der Italiener für Europa. In der europäischen Politik spielt Italien keine vorantreibende Rolle mehr wie noch in den neunziger Jahren.

Als vor einem Jahr die Mafia-Morde von Duisburg Aufsehen erregten, riefen italienische Journalisten besorgt bei deutschen Kollegen an, ob sich das Image Italiens denn jetzt wieder verschlechtere. Die Antwort musste lauten: Ein wiedererkennbares Italien-Image gibt es kaum noch. Ach ja, die haben ihr Mafia-Problem immer noch nicht gelöst, während aus Polen kaum noch Autodiebe kommen - das dürfte die achselzuckende Wahrnehmung bei vielen sein. Ein Land ohne politische Ideen, in dem die Mafia die Entsorgung des Mülls blockiert: Da hat man das Bild, das die dramatische Entliebung zwischen Deutschland und Italien erklärt.

Für die Zukunft Italiens wird es nicht nur im Inneren entscheidend sein, ob die um Walter Veltroni neu gesammelte Linke sich behaupten kann oder den Weg ihrer Vorgängerparteien geht. Dass nicht einmal die Tenöre mehr aus Italien kommen, sondern eher aus Südamerika, ist demgegenüber fast nachrangig.

© SZ vom 13.5.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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