Deutsche Sprache in der EU:Wir sind uns recht peinlich

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Deutsche Bürokraten in Brüssel kämpfen für die deutsche Sprache. Allerdings setzen sie im Alltag auf Englisch. Sogar beim Flüstern untereinander!

Martin Winter

Der Papierstapel wächst immens, den die deutsche Präsidentschaft der Europäischen Union auf meinen Schreibtisch häuft. Manchmal blättere ich darin herum. Es gibt schönere Beschäftigungen. Zum Beispiel in einer Brüsseler Kneipe ein Bier zu trinken. Oder in der Maison Antoine auf der Place Jourdan Fritten zu essen. Aber der ständige Begleiter des Korrespondenten in Brüssel ist die Angst, etwas zu übersehen. Also noch einmal durch den Papierberg.

"Ich kaufe ein gutes deutsches ß": Hella von Sinnen in der Sendung "Glücksrad". (Foto: Foto: ddp)

Plötzlich fällt mir eine schon etwas angegilbte Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes vom 6.Februar in die Finger. Darauf steht: "Deutsch in der EU stärken".

Oh Gott! Schwächelt die Sprache Goethes? Lieben unsere Freunde zwar deutsche Netto-Zahlungen, aber nicht unsere wunderbare deutsche Sprache?

In den Köpfen der Großen Koalition in Berlin spukt diese Furcht herum, sonst hätten sie nicht in ihrem Koalitionsvertrag folgendes festgehalten: "Wir werden dafür sorgen, dass die Stellung der deutschen Sprache in Europa ihrer Bedeutung entsprechend berücksichtigt wird." Das nun ist so ein Satz, der einem das Deutsche verleiden kann. Mindestens unelegant. Wenn nicht sinnlos. Aber soviel lässt sich erkennen: Berlin macht sich Sorgen, dass Deutsch in Brüssel immer mehr an Bedeutung verliert.

Der baden-württembergische Europaminister Willi Stächele, der aus dem Land kommt, das sich rühmt, alles zu können außer Hochdeutsch, klagt, Deutsch komme zu kurz. Sein hessischer Kollege Volker Hoff beschuldigt die EU-Kommission, die Sprache der Deutschen zu diskriminieren. Er redet von "willkürlicher Ungleichbehandlung". Deutschland fühlt sich zurückgesetzt von französischer Spracharroganz und englischem Sprachimperialismus. Die Meldung freilich "EU schafft Deutsch ab" musste Bild Mitte 2005 widerrufen.

Nun ist es in Brüssel kein Geheimnis, dass von den drei Arbeitssprachen in der Kommission und im Ministerrat Deutsch die am wenigstens genutzte ist. Englisch liegt weit vorn, gefolgt vom Französischen. Es ist auch kein Geheimnis, dass die überwiegend in Englisch oder Französisch denkenden Beamtenapparate gelegentlich verdächtig lange brauchen, Dokumente oder Websites ins Deutsche zu übertragen. Und es kommt in der Tat vor, dass die Verwaltung versucht, ohne eine deutsche Fassung durchzukommen. Was seit Jahren zu Demarchen deutscher Diplomaten führt. Aber eine Verschwörung gegen das Deutsche? Ach nein.

Die Brüsseler Wirklichkeit ist banaler. Wir Deutsche unterliegen nicht den Franzosen und den Briten im Kampf um die Sprachen, wir verlieren eher gegen uns selbst: Das Problem des Deutschen in der EU sind die Deutschen, die kein Deutsch reden.

Angela Merkel hat wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder die Bundesminister und alle Beamten verpflichtet, in Brüssel nur Deutsch zu reden und an keiner Sitzung teilzunehmen, die nicht ins Deutsche gedolmetscht wird. Wofür ihr die Brüsseler Berichterstatter dankbar sind, weil ihnen das Radebrechen deutscher Politiker in fremden Zungen nicht selten auf die Nerven geht. Aber wer wirklich wissen will, wo das Problem liegt, der kann schon auf einem der täglichen Brüsseler Empfänge fündig werden.

Da stelle er sich zu einer Gruppe aus, sagen wir, vier Deutschen, zwei Franzosen, einem Briten und einem Spanier. Die Runde spricht englisch, weil das alle (irgendwie) können. Dann geht der eine Franzose. Dann der Engländer und der zweite Franzose. Dann der Spanier. Was tun die Deutschen? Sie reden in Englisch weiter, bis einer merkt, dass das eigentlich blöd ist. In ihren vier Jahren als Kommissarin ist Monika Wulf-Mathies erst erstaunt, dann amüsiert auf dem Brüsseler Parkett immer wieder über Deutsche gestolpert, die eine andere der eigenen Sprache vorzogen, selbst wenn es nicht zwingend war. Es gebe, sagt sie, "eine deutsche Eigenart, sich eilfertig einer fremden Sprache zu bedienen".

Das nimmt nicht selten absurde Züge an. Da gibt es deutsche EU-Beamte, die einem deutschen Kommissar Vorlagen auf Französisch schreiben. Oder die auf einer Konferenz selbst eine geflüsterte Unterhaltung mit einer deutschen Journalistin auf Englisch führen. Und wo wir schon bei Geständnissen sind: auch deutsche Journalisten neigen in Brüssel dazu, sich in fremden Sprachen zu spreizen. Selbst wenn es im Pressesaal der Kommission, wo alltags nur französisch und englisch geredet wird, ausnahmsweise eine Übersetzung in alle Sprachen gibt, radebrechen einige ihre Fragen lieber auf Englisch oder Französisch, als den Künsten der Dolmetscher zu trauen. Einem Italiener oder Spanier würde das im Traum nicht einfallen.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die deutsche Sprache in der Welt eine Nebenrolle spielt.

Was immer ihn dazu treibt, der Deutsche in Brüssel will bei jeder Gelegenheit zeigen, dass er kein Piefke, sondern ein weltgewandter Bürger ist, der sich sicher in fremden Kulturen und Sprachen bewegt. Darum guckt er auch scheel nach Berlin, wenn dort eine Debatte über die Stellung des Deutschen in der EU vom Zaune gebrochen wird. Es könnte sich die Rückkehr des Provinziellen in Deutschland anbahnen oder - noch schlimmer - alte Großmannssucht.

Die Zweidrittelsprache

Dabei entgeht den Deutschen übrigens einiges. Würden sie ihre Gegenüber öfter und hartnäckiger auf deren Fähigkeiten in der Sprache der Dichter und Denker testen, eröffneten sich ihnen ganz neue Einblicke in die europäische Sprachenlandschaft. Es ist nämlich so, dass viel mehr Journalisten, Beamte, Diplomaten und Lobbyisten in Brüssel deutsch sprechen, als wir glauben.

Dann hätte ich zum Beispiel auch viel früher herausgefunden, dass Emma Udwin ziemlich gut Deutsch spricht. Zwei Jahre hat es am Ende gedauert, und warum sie denn nie einen Ton gesagt habe? Ach, ihr sprecht doch alle so gut Englisch, sagte da die britische Kollegin, die der Kommission einige Jahre als Pressesprecherin diente.

Daraus könnte man etwas lernen.

Zum Beispiel, dass die gelegentliche Unterdrückung des Deutschen durch einen europäischen Beamten ein Kinkerlitzchen ist im Vergleich zu dem Schaden, den das Unbehagen am Gebrauch der eigenen Sprache anrichtet. Natürlich lässt sich das Deutschreden nicht anordnen. Sprache gehört immer noch zur Kultur, und offiziell ist jede der nationalen Sprachen in der EU zugleich Amtssprache der EU. Da kann eben jeder reden, wie er es kann und es ihm gefällt. Völlig abwegig sind da Berechnungen wie die von Ulrich Ammon, einem Professor für Germanistische Linguistik an der Mercator-Universität Duisburg, der mit der Erstellung eines Bündels von Parametern die Bedeutung des Deutschen untermauern und so beweisen will, dass Sprachgerechtigkeit erst herrscht, wenn Deutsch von "mindestens zwei Drittel der Beamten" beherrscht wird.

Bonjour und auf Wiedersehen

Selbst wenn Berlin das eines Tages mit Druck und Drohungen durchsetzen sollte, wäre das eine von vornherein verlorene und damit sinnlose Schlacht. Es lässt sich kaum verordnen, dass zwei Drittel der Arbeit in Brüssel auf Deutsch getan werden. Es lässt sich auch nicht an der Stellung der Lingua Franca Englisch rütteln. Selbst die Franzosen mit ihren weithin gefürchteten Kampftruppen von der Académie Française im Rücken haben sich mit ihrem Platz zwei auf der internen Hitliste der Sprachen in den europäischen Institutionen abgefunden.

Für Paris war das ein langer und schmerzhafter Weg. Denn über Jahrzehnte dominierte Französisch die Europäische Union. Das hatte einen Grund, an den sich die Herren Stächele und Hoff erinnern sollten, bevor sie erneut in Wehklagen ausbrechen. Es waren die Deutschen, es waren Kanzler Konrad Adenauer und seine Nachfolger bis hin zu Helmut Kohl, die Frankreich in dem sich vereinigenden Europa den Vortritt ließen. Das war klug, denn es war Teil des großen europäischen Vereinigungsspiels, das Deutschland in den Kreis der zivilisierten Völker zurückführen und dort fest verankern sollte. Dass ein Preis dafür eine französisch beherrschte und für lange Jahre fast ausschließlich französischsprachige Verwaltung in Brüssel war, wiegt da nicht so schwer.

Die Deutschen haben für ihre Sprache nie eine oder gar die zentrale Rolle in der EU gefordert. Wenn sie heute damit anfingen, wäre das ein absurdes Unterfangen. Englisch ist als Weltsprache in Politik, Wirtschaft und Forschung so etabliert, dass es einer Don Quichotterie gleichkäme, ihm seinen Platz streitig machen zu wollen. In der Praxis der europäischen Institutionen sind die Entscheidungen unter dem Zwang der europäischen Geschichte und dem der Ausbreitung des Englischen durch die Weltmacht USA längst gefallen. Deutsch ist nicht untergegangen, aber es spielt eine Nebenrolle, weil es die Hauptrolle nie gewollt hat.

Beim weiteren Blättern im deutschen Papierberg fällt mir eine Hintergrundinformation des Auswärtigen Amtes über "Deutsch als Regionalsprache" in die Finger. Darüber könnte auch stehen: Keine Panik! Wenn sich die Statistiker nicht verrechnet haben, dann ist Deutsch demnach eine bedeutende europäische Sprache. Rechnet man zusammen, wer Deutsch als Muttersprache und als Zweitsprache in der EU beherrscht, kommt man auf 32 Prozent aller EU-Bürger. Englisch liegt bei 51 Prozent, während sich Französisch mit 26 und die Weltsprache Spanisch gar mit 15 Prozent begnügen müssen.

Anlass zur Gelassenheit also. Und nicht vergessen, je mehr eine Sprache gesprochen wird, desto schöner blüht sie. Et maintenant, une bière . . .

© SZ v. 16./17.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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