Der Teleprompter:Schrift ist Gift

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Der Teleprompter soll Moderatoren eigentlich die Arbeit erleichtern. Wehe aber demjenigen, der sich zu sehr auf ihn verlässt.

Johan Schloemann

Die Schrift ist das Gift der Rede. Immer wenn Redner nicht einfach informieren, sondern überzeugen wollen, dann müssen sie den Eindruck tunlichst vermeiden, dass sie von etwas Geschriebenem abhängen.

Marc Bator in der Tagesschau um 20 Uhr - der einzigen Nachrichtensendung ohne Telepromptereinsatz. (Foto: Foto: dpa)

Ein Stück Papier vor der Nase macht den Redner nämlich zum Bürokraten. Das Papier verhindert den freien Augenkontakt zum Publikum, es mindert die persönliche Glaubwürdigkeit.

Deshalb haben Kanzeln in der Kirche oder Rednerpulte nicht nur die Funktion, die Bedeutung des Redners architektonisch in Szene zu setzen, sondern sie sollen zugleich das Manuskript verstecken, von dem die Rede abgelesen wird. Und deshalb hat man auch den Teleprompter erfunden.

Der Teleprompter wurde in den fünfziger Jahren in den USA fürs Fernsehen geschaffen. Ein Monitor lässt den zu verlesenden Text langsam zeilenweise von unten nach oben laufen, spiegelverkehrt, und dieser laufende Text wird etwa auf eine transparente Scheibe projiziert, die zwischen dem Sprecher und dem Objektiv der Fernsehkamera angebracht ist. Der Sprecher kann den Text von dieser Scheibe ablesen und gleichzeitig direkt in die Kamera blicken, was, wenn er geübt ist, so aussieht, als spräche er frei.

Aus der umgekehrten Richtung, also für die Kamera und damit den Zuschauer, bleibt der Text unsichtbar; aber wenn man ganz genau hinschaut oder die Augenpartie mit einer Zoom-Funktion vergrößert, dann erkennt man, dass sich die Pupillen des Vorlesers hin- und herbewegen.

Ein Assistent reguliert dabei das Tempo des beweglichen Textes, je nachdem, ob schneller oder langsamer abgelesen wird. Der Text wird zwischendurch angehalten, wenn der Sprecher sich verspricht, oder wenn er - bei der Teleprompter-Variante für Auftritte vor Publikum - wegen Publikumsreaktionen wie Applaus oder Gelächter innehalten muss.

Man kann das auf Internetseiten wie freeprompter.com oder cueprompter.com selbst ausprobieren.

Momentgeburten

Es ist diese Maschine, die den Zuschauer denken lassen soll, Marietta Slomka hätte sich ihre Einordnungen des Tagesgeschehens im "heute-journal" soeben spontan ausgedacht. Und es ist diese Maschine, die im zu Ende gehenden amerikanischen Wahlkampf eine nicht geringe Rolle gespielt hat.

Wenn Barack Obama seine begeisternden Reden hält, liest er sie meistens von der Maschine ab, und oft sind dabei gleich zwei Teleprompter-Spiegel neben ihm installiert, damit er beim Sprechen nach links und nach rechts schauen und seine Botschaft des Wandels auf diese Weise "from coast to coast", von Küste zu Küste, verbreiten kann.

Eigentlich müssten die Zuschauer wissen, dass seine hohen Hoffnungsworte ebenso wie die konkreten Politikvorschläge nicht aus dem Moment geboren werden, aber Obama spielt die Rolle des Inspirierten sehr gut. Und selbstverständlich verwendet er den Teleprompter in öffentlichen Versammlungen nicht in erster Linie, um vor den Anwesenden eine besonders gute Figur zu machen, sondern für die Fernsehkameras.

Um so mehr kann es auffallen, wenn die Hilfe der präparierten Rede nicht zur Verfügung steht. Als Obama am 5. Juni dieses Jahres in einer Halle in Bristol, Virginia, auftrat, da hatte er gegen Ende eines längeren Auftritts zwei komplette Aussetzer. Einmal bei einem finanzpolitischen Thema, einmal, als er eine Asthma-Behandlung als gesundheitspolitisches Beispiel brachte - Obama stotterte hilflos vor sich hin.

Er war völlig aus dem Konzept gekommen, es tat weh, ihm zuzuhören. Mit der Bemerkung: "Ich hatte nicht viel Schlaf in den letzten 48 Stunden", versuchte Obama, die Situation mit Sympathie zu retten, aber es dauerte dennoch lange, bis er vom rhetorischen Glatteis wieder auf festen Boden gelangte.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Teleprompter eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit eines Redners sein können - auch bei der US-Präsidentschaftswahl.

Obamas Gegner stellten diesen Fauxpas genüsslich heraus, und seitdem kursiert das Video mit der Szene aus Bristol, Virginia, auf YouTube. Der Clip ist im Internet meistens mit der Behauptung überschrieben, es sei ein "Ausfall des Teleprompters" gewesen, der Obama ins Schwimmen gebracht hätte.

Das stimmt zwar nicht - Amateur-Mitschnitte des gesamten Auftritts zeigen nämlich, dass Obama am 5. Juni gerade keinen Teleprompter, sondern ein Manuskript sowie Stichwort-Karteikarten benutzte, und dass er nicht während der eigentlichen Rede ins Stammeln kam, sondern nachher bei der Antwort auf Fragen einzelner Bürger. Aber die Episode zeigte dennoch: Wer sich viel auf den Teleprompter verlässt, dessen Risiko wächst, in Situationen ohne Hilfsmittel, also in freier Rede, in Schwierigkeiten zu kommen.

Und das ist keineswegs nur eine mediale, technische Frage - im Sommer wurde in den USA diskutiert, ob Obama nicht doch bloß ein Schauspieler sei, der ohne vorgefertigten Text nicht viel zu bieten habe.

Die Technik, die eigentlich Spontaneität vortäuschen soll, kann also im schlimmsten Fall die Glaubwürdigkeit bedrohen. In der Tat ist Barack Obama in dialogischen Situationen manchmal unsicherer als in seinen Reden, sagt ziemlich oft "ähm" oder bringt Wortwiederholungen.

Im Dialog wirkt Obama zwar sehr vernünftig und auch immer souveräner - aber nicht wie ein Charismatiker. Umgekehrt geht es John McCain: Während er sich im informellen Setting der Town Hall, beim spontanen Antworten in Bürgerversammlungen, heimischer fühlt und gerne auch mal einen blöden Witz macht, ist ihm bei Auftritten auf der großen nationalen TV-Bühne sichtlich unwohl.

Der Teleprompter ist nicht McCains Freund. Er verkrampft, wenn er die Technik benutzen soll; vor seiner Nominierungsrede beim republikanischen Parteitag soll McCain das Teleprompter-Ablesen eifrig geübt haben, um sich dann bei seiner Rede doch fast so oft zu versprechen wie Ulrich Wickert in seinen müdesten Tagesthemen-Stunden. Bundespräsident Horst Köhler war übrigens in seinen ersten Teleprompter-Ansprachen auch nicht gerade der lockerste. Seine Augen wirkten wie die eines aufgescheuchten Rehs.

In den Nachrichtensendungen im Fernsehen wird die Spannung zwischen vorbereitetem Text und Glaubwürdigkeit besonders deutlich. Wenn es ums reine Verlesen "objektiver" Nachrichten geht, dann vertraut der Zuschauer gerne der Autorität der schriftlichen Quelle.

Glaubwürdigkeit

Die ARD-"Tagesschau" um 20 Uhr ist die einzige Sendung, in der die Nachrichten auch heute noch alle vom Papier abgelesen werden. "Der Zuschauer sieht, dass der Sprecher etwas in der Hand hält. Das wirkt doch viel glaubwürdiger", sagte Dagmar Berghoff bei ihrem Abschied von der Sendung 1999. Daran hält man bis heute buchstäblich fest, und die Nachrichten haben nicht zuletzt deswegen ihren verlässlichen, quasi amtlichen Charakter.

Ganz anders indes ist es beim Anchorman der Spätnachrichten. Hier tritt die Persönlichkeit in den Vordergrund. Man sieht keine Hände, die Papier halten, sondern ein näher gerücktes Gesicht. Dieses Gesicht gehört, viel eher als beim reinen Nachrichtensprecher, einer unterscheidbaren Person, die das Weltgeschehen möglichst mit eigenen Gedanken, mit eigenen Worten erklären soll.

Die Unabhängigkeit vom Text demonstriert hier die Unmittelbarkeit des Engagements. In den "Tagesthemen" oder im "heute-journal" will man einem Menschen glauben, nicht einer gedruckten Nachricht. Weil das in freier Rede (nicht mehr?) leistbar erscheint, wird beim Anchorman der Teleprompter eingesetzt. "Denn", so sagte es einmal der ZDF-Moderator Wolf von Lojewski, "über die Verfassungspläne in Usbekistan redet es sich nicht so, dass es aus der Seele sprudelt."

Der Teleprompter folgt einer alten Tradition in der Geschichte der Rhetorik: der Suggestion improvisierter Rede, die in Wahrheit auf schriftlicher Vorbereitung beruht.

Der Kontrast zwischen persönlichem Moderator und faktischem Verleser wird frappant spürbar, wenn in den Spätnachrichten zum Nachrichtenblock hinübergeschaltet wird. Dann wird der Bildausschnitt wieder vergrößert, und die Sprache wird wieder formeller. Besonders hübsch ist es im "heute-journal": Heinz Wolf oder Gundula Gause lesen die Nachrichten vom Teleprompter ab - in der Hand halten sie dabei aber ein Stück Papier wie in der "Tagesschau".

Die gedruckte Depesche als Echtheitszertifikat, auf das der Sprecher aber kein einziges Mal mehr herunterblickt: Besser lässt sich das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Mediengesellschaft wohl kaum verbildlichen.

© SZ vom 04.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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