"Der Tag, an dem die Erde stillstand":Der Denkfehler der Aliens

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Seltsam geliebter Klassiker, jetzt mit Umweltsiegel: Hollywoods verlässlichstes Milchpokerface Keanu Reeves will als Außerirdischer die Welt retten - und muss dazu die Menschheit vernichten.

T. Kniebe

Am Ende, als die größten Wissenschaftler und Religionsführer der Welt auf Gartenstühlen sitzen und der Außerirdische seine Rede beginnt, entfaltet er vor seinen Zuhörern eine Utopie: Keine Gewalt mehr, nirgendwo; es gibt Sicherheit für alle, oder es gibt gar keine Sicherheit; niemand muss Freiheit aufgeben - außer der Freiheit, unverantwortlich zu handeln.

Alien Klaatu (Kenau Reeves) kommt mit dem vollen Außerirdischen-Brimborium auf die Erde. (Foto: Foto: ap)

Eine "neue Rasse von Robotern" patrouilliert die Welt, ausgestattet mit unwiderruflichem Gewaltmonopol: Beim kleinsten Zeichen der Aggression vernichten sie jeden Aggressor - wie auch die Erde vernichtet werden wird, wenn sie diesem "Friedenssystem" nicht schnell beitritt. "Die Wahl liegt ganz bei Ihnen", sagt der hochgewachsene Alien Klaatu mit den traurigen Augen. Dann nickt er seinem Kampfroboter zu - und die beiden schweben erst einmal davon.

Sinistre Polizeistaatsphantasie

Schöne Wahl, das - dieses Ultimatum aus dem Jahr 1951. Entweder für oder gegen uns, das kennen wir doch. Totale Sicherheit für alle, die angeblich keine Freiheit kostet? Och nee, bitte nicht. Und schon mal dran gedacht, dass Roboter auch manchmal nicht funktionieren - besonders dann, wenn man sie mit unwiderruflicher Macht ausgestattet hat?

Offenbar nicht. Es gehört zu den großen Rätseln von Filmgeschichte und Popmythologie, wie Robert Wises "Der Tag, an dem die Erde stillstand" mit dieser sinistren Botschaft zu dem allseits geliebten Science-Fiction-Klassiker werden konnte, der er bis heute ist. Außerirdische, die mal nicht sofort auf Ausbeutung und Vernichtung aus sind - das ist der erste, offensichtliche Grund. Aber sonst?

Der gutaussehende Fremde im silbernen Raumanzug, der mitten in Washington landet, sein metallischer Kumpan mit der großen Vernichtungskraft, der nur durch die Worte "Klaatu barada nikto" vorübergehend deaktiviert werden kann, die schöne alleinerziehende Witwe, die für die gefühlvolle Seite der Erdenbewohner steht - sie alle waren nur vor dem dominierenden Denkhorizont von McCarthyismus und Kaltem Krieg überhaupt denkbar.

Wie schwer muss die Angst vor der atomaren Selbstvernichtung, vor dem scheinbar für alle Zukunft festgeschriebenen Ost-West-Konflikt, damals auf den Gemütern gelastet haben? Nur unter dem atmosphärischen Druck der politischen Großwetterlage war es möglich, in diesem Alien überhaupt einen friedliebenden Heilsbringer zu sehen - und nicht etwa die totalitäre Polizeistaatsphantasie, die er tatsächlich verkörpert. Ronald Reagan, so berichtet Colin Powell, in den Achtzigern dessen National Security Advisor, war ein großer Fan dieses alten Films.

Weltfriedhofsruhe

Erst heute begreift man allmählich, warum: Die Idee der unausweichlichen, dank überlegender Technologie erzwungenen Weltfriedhofsruhe war damals ein Wunschtraum - und sie ist erst jetzt, mit George W. Bush, an ihr jämmerliches Ende gekommen. Die einzig denkbare, aber leider auch gültige Antwort darauf heißt heute: Weltterrorismus.

Spannend also, dass der unergründliche Ratschluss Hollywoods gerade jetzt ein Remake des Films in die Multiplexe bringt. Wovor sollen wir diesmal gerettet werden? Welch neue Großutopie bahnt sich an? Weniger darf es nicht sein, da steht schon das Erste Gesetz aller Neuverfilmung entgegen: Du sollst auf das Original noch eins draufsetzen.

Das Draufsetzen sieht hier so aus, dass man ganz unmittelbar den Verlust der Unschuld begreift, den das Kino in den letzten fünfzig Jahren verkraften musste. Damals berichteten Radioreporter mit pathetisch bebender Stimme, ein unbekannter Flugkörper rase mit "viertausend Meilen pro Stunde" auf die Erde zu. Heute rast er mit "dreimal zehn hoch sieben Meilen pro Sekunde". Also wesentlich, wesentlich schneller. Aber warum? Was ist der Unterschied?

Ein gewisser Mut zur Ehrlichkeit, wenn man so will: Damals bekannte man sich ganz simpel zu dem Versuch, eine komplett phantastische Geschichte zu erzählen, und hoffte auf die freundliche Teilnahme der Zuschauer - heute geht sowas nicht ohne Tonnen von pseudowissenschaftlichem Bullshit ab.

Dazu kommt das ganze Brimborium aus schwarzen Minivan-Karavanen, allseits quäkende Headsets, Kommandozentralen, Hubschrauberflottillen und Militärkolonnen: Der feuchten Rapid-Response-Traum der Katastrophenlogistik, die Lieblingsfiktion des amerikanischen Blockbusters - real dauert es ja dann doch zwei volle Tage, bis die angeforderte Nationalgarde zum Beispiel im überfluteten New Orleans eintrifft.

Es geht gleich um Vernichtung

Inmitten der ganzen Aufregung entsteigt dann der neue Klaatu seinem leuchtenden, kugelförmigen Flugkörper: Keanu Reeves, Hollywoods verlässlichstes Milchpokerface. Er wird gleich von einem Soldaten angeschossen und operiert, ganz wie damals, sucht Kontakt zu den "Führern der Erde", findet aber nur eine grimmige Verteidigungsministerin, entkommt mit der schönen alleinerziehenden Witwe, die diesmal Astrobiologin ist, und lernt die menschliche Rasse näher kennen. Welche Botschaft aber bringt er diesmal?

Es geht gar nicht mehr um das kriegerische Wesen des Menschen, soviel wird schnell klar - oder doch nur in einer Beziehung: "Es gibt nur eine Handvoll Planeten, auf denen komplexes Leben möglich ist. Die Erde darf nicht sterben", deklamiert Klaatu, nun also ein Rächer der bedrohten Natur. Die aggressive Spezies, die alles kaputtmacht, muss daher beseitigt werden, inklusive ihrer Bauten und Maschinen.

Von einer Art Öko-Diktatur ist gar nicht mehr die Rede, es geht gleich um Vernichtung. Bald setzt sich zu diesem Zweck ein Milliarden-Schwarm von winzigen, alles pulverisierenden Roboterinsekten in Bewegung, der nicht von ungefähr an eine biblische Heuschreckenplage erinnert . . .

Leider sitzen hier die Aliens, oder besser gesagt die Macher des Films, einem gewissen Denkfehler auf. Unser aktuelles Umweltproblem besteht ja darin, dass wir die Erde für uns selbst unbewohnbar machen - während das Ökosystem als solches uns locker überleben wird. Jede außerirdische Intelligenz könnte sich diesen Prozess der Selbstvernichtung in Ruhe anschauen und erstmal ein Bier aufmachen - Hektik ist nur für die Menschen angebracht.

So entlarvt sich der Film als aufgeregte, oft lachhafte, letztlich hohle Anbiederung an den Zeitgeist, der sicher nicht zum geliebten Klassiker reifen wird - nicht einmal aus den falschen Gründen.

The Day The Earth Stood Still, USA 2008 - Regie: Scott Derrickson. Buch: David Scarpa. Kamera: David Tatersall. Mit Keanu Reeves, Jennifer Conelly, Kathy Bates, Jon Hamm. Verleih: Fox, 103 Minuten.

© SZ vom 10.12.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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