Der neue Prada-Store in Tokio:Eine Kathedrale für Schlappen

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Der Prada-Shop in Tokio, entworfen von den Basler Architketen Herzog & de Meuron, ist kein Verkaufsraum mehr, sondern ein Licht-Fest für die Sinne. Wie ein gleißender Eiswürfel mit Dachschräge ragt er aus dem Shoppingviertel Aoyama. Ach so: Die üblichen Schuhe und Täschchen kann man tatsächlich auch dort kaufen.

JÖRG HÄNTZSCHEL

Krise? Welche Krise? - In Japan, dessen Dauerrezession seit Monaten offizieller deutscher Alptraum ist, befindet sich die Krise, wenn man sie sucht, immer gerade woanders. "Sehen sie außerhalb Tokios nach!", heißt es. "Kommen Sie in zwei Jahren wieder, dann wird es wirklich schlimm sein." Auf bewundernswerte Art scheint es den Japanern zu gelingen, die sichtbare Manifestation ihres ökonomischen Debakels von sich fern zu halten. Weg vom eigenen Körper, lautet das wichtigste Prinzip dieser Verschiebung. Während die Deutschen sich selbst und ihren Bauch bei der leisesten wirtschaftlichen Eintrübung auf heroisch-masochistische Weise zum Schauplatz der Krise machen - als erstes wird bei Kleidung und Essen gespart - setzen die Japaner auf Selbsterhaltung durch Selbstinszenierung und vertrauen darauf, dass sich der Reichtum schon einstellen wird, wenn sie nur weiter reichlich ausgeben.

SZ v. 10.06.2003 (Foto: N/A)

Das Modelabel Prada, eine der am tiefsten in den Sehnsuchtszentren junger japanischer Gehirne verankerten Marken, hat diese Haltung der Konsumenten, der es zur Zeit ihr Überleben verdankt, nun auch für ihr eigenes Operieren übernommen. Nach dem 11.September, dem Aktiencrash, SARS und einem übereilten Expansionskurs ist der Konzern, dem auch Helmut Lang, Jil Sander und Church's angehören, hoch verschuldet. Dreimal schon musste der Börsengang verschoben werden. Und die Erregung, die noch Ende der Neunziger von den Kleidern ausging, hat merklich nachgelassen. Das hat Prada nicht davon abgehalten, sich von den Basler Architekten Herzog & de Meuron, die schon die US-Firmenzentrale in New York gebaut haben und an zwei weiteren Prada- Projekten in Italien arbeiten, in Tokio ein spektakuläres neues Outfit verpassen zu lassen, das als "Laden" zu bezeichnen ein Understatement bedeuten würde.

Man sieht den Prada-Tower schon von weitem aus dem geduckten Durcheinander des Shoppingviertels Aoyama aufragen: ein gleißender Eiswürfel mit angesplitterter Dachschräge: die radikale Abstraktion der Grundform eines Hauses. Herzog & de Meuron haben das Gebäude höher und schlanker aufragen lassen als die der Umgebung, um Platz zu gewinnen für eine öffentliche Plaza nach europäischem Vorbild. Das geschah nicht nur den Passanten zuliebe, denen in Tokio sonst wenig mehr als eine Sitzstange an der Bushaltestelle zugestanden wird, sondern auch, um das mit 2800 Quadratmetern riesige Gebäude von den Grundstücksgrenzen zu befreien.

Wie eine riesige Skulptur steht es nun auf dieser Fläche und darf von allen Seiten bewundert werden. Doch jedes Statement das dieses Gebäude macht, enthält auch seine Gegenaussage. Kommt man dem kristallinen Findling nur nahe genug, bricht die scheinbar so glatte Fassade in transparente Facetten auf wie das Auge eines Insekts. Hunderte von Glasromben, die teils plan sind, teils nach außen und teils nach innen gewölbt, bilden die Außenhaut. Sie wirkt nun eher wie ein Stück Plastikfolie, die sich auf einer heißen Herdplatte in unregelmäßigen Kontraktionsmustern verformt hat. Während überall sonst in Tokio Videoscreens vor die Fassaden gehängt werden, um das vertikale Land als Werbefläche zu bespielen, variiert die Prada-Fassade mit ihren analogen Mega- Pixeln das Spiel des Ver- und Enthüllens, das man von der Mode kennt, für die Präsentation von Waren. Und statt wie bei den üblichen Curtainwall-Fassaden bloß zu dosieren, wieviel vom Inneren der Passant durch die Scheiben zu sehen bekommt, verwickelt sie diesen in Zweifel: Sieht er durch die Fish-Eye-Linsen wirklich noch das Innere oder dessen unzuverlässige und fragmentierte Repräsentation? Auch in umgekehrter Sehrichtung, beim Blick aus dem Laden auf die Stadt, stellt sich diese Frage. Das Gebäude "unterminiert jedes feste oder endgültige Bild der Welt", verkünden die Architekten mit gesundem Pathos.

Die Dialektik von Zeigen und Verhüllen, Sprechen und Sich-Widersprechen, die den Bau so faszinierend macht, betrifft auch die Architektur selbst. Das Muster der Fassade gibt keinerlei Aufschluss über die Stockwerkaufteilung und verrät doch mehr über die Konstruktion als man ahnt. Die diagonalen Streben der Außenhaut, denen man auf den ersten Blick lediglich dekorative Funktion zutraut, tragen - gemeinsam mit einem schlanken vertikalen Kern und drei horizontalen "Röhren" - das Gebäude.

Tritt man durch die einzige kleine Öffnung im Fassadenraster hinein, sind alle Zweifel an seiner Materialität, die das Gebäude von außen geweckt hatte, vergessen. Wirkt es von weitem kalt und unnahbar, verwickelt es einen innen in eine atemberaubende Intimität. Es ist die Geschichte einer erotischen Verführung, augenzwinkernd erzählt und gleichzeitig nach allen Regeln der Kunst praktiziert. Es beginnt schon bei den Räumen des Erdgeschosses, die wie alle frei von rechten Winkeln sind, und setzt sich fort bei dem spiralartigen Weg durch die sechs Stockwerke und hinein in die höhlenartigen Sackgassen - Umkleideräume und VIP-Bereiche - in denen man sich fühlt wie im Bauch einer dekadenten Privatyacht. Herzog & de Meuron, die noch den letzten Lichtschalter selbst entworfen haben - die Details sind wie bei ihnen üblich von höchster Qualität - , haben eine völlig gelöste Formensprache aus wolllüstigen Rundungen und atemberaubenden Diagonalen gefunden. Doch am aufreizendsten sind die verwendeten Materialien. Immer schon große Erforscher des Stofflichen, experimentierten sie in Pradas Diensten freier denn je. Und so trainieren sie nach dem Sehsinn der Kunden nun den anderen Sinn, der für die Perzeption von Mode zuständig ist, den Tastsinn. Die knöcheltiefen Teppiche sind die konventionellsten Elemente dieses Parcours haptischer Stimulation. Es folgen Bänke aus verleimten Schaumstoffflocken, Lampen mit knautschigen Silikonschirmen, Fiberglasvitrinen, die an die Tabletts im Flugzeug erinnern, aufgeraute Eichenbohlen und fellbesetzte Kleiderständer. Auf den ausgegliederten Lagerraum neben dem Gebäude sind sogar Moosmatten aufgenäht.

HdMs Prada-Sensorama stellt den Versuch dar, in einem Milieu, in dem Marmor, Spiegel, Edelhölzer durch grassierende Inflation dramatisch an Wert verloren haben, neue, harte Währungen des Luxuriösen und Exklusiven auszugeben. Das können die Materialien sein, das kann Information sein: etwas verspielte, direkt von den Teletubbies übernommene "Schnorchel" erlauben via Touchscreen Zugang zu den "Prada-Archiven". Oder eben der ironische Grundton des Gebäudes.

Der Zweck der Übung ist klar: Über den Nebenkanal der Bilder und Diskurse, die Prada von sich in die Welt setzt, die Gefahr abzuwenden, die der Marke durch erlahmendes Interesse beim Publikum und Banalität infolge inflationärer Präsenz droht. Würde man das über das Medium der Kleider tun, gefährdete man die Umsätze. Schon mit dem ersten der neuen "Epicenter-Stores", dem von Rem Koolhaas entworfenen Laden in New York, ging diese Kalkulation auf. Doch während Koolhaas in SoHo mit perfekt inszenierter Unfertigkeit kokettierte, mit einer spröden, barackenhaften Armut (die dennoch 40 Millionen Dollar kostete), beharren HdM auf Schönheit als Überlebensstrategie: für die Kunden, für die Marke - und für das Gebäude selbst im Land der Wegwerf- Hochhäuser: "Schönheit garantiert Permanenz", gab Jacques Herzogs als Devise aus.

Während Koolhaas intellektuelle Gymnastik anbietet, verführen HdM den Kunden dazu, sich wie Barbarella auf dem Teppich zu räkeln. Während der Kunde in SoHo zum stolpernden Akteur einer dekonstruktivistischen Narration gemacht wird, darf er auf der Plaza, auf den Aussichtsplattformen und in den Höhlen von HdMs verglastem Reich der Sinne nicht nur Kleider anprobieren sondern, ganz ohne Kaufzwang, auch testen, wie sich die drei Perversionen anfühlen, deren modi operandi das Anziehen, Umziehen und Ausziehen sind: Exhibitionismus, Voyeurismus und Fetischismus. Es ist im besten Sinne Architektur als amoralische Anstalt.

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