Der Marktplatztest:Was Bush liest

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"Ich möchte, dass Sie ein gutes Buch lesen", sagte Präsident Bush neulich Reportern, "es wird Ihnen deutlich machen, worüber ich rede". Um welches Buch es geht.

CLAUS LEGGEWIE

Der Buchtipp von höchster Stelle galt einem 300 Seiten starken Essay aus der Feder des israelischen Ministers ohne Geschäftsbereich, Natan Sharansky.

(Foto: N/A)

Synopsen mit der Bush-Rede zur Lage der Nation vom Januar 2005 belegen, dass wenigstens Bushs Redenschreiber "The Case for Democracy" gelesen haben müssen - ganze Passagen sind fast wörtlich in die Ansprache übernommen worden, in welcher Bush die "Freiheitsdoktrin" für seine zweite Amtsperiode dargelegt hat.

Bush hat den Autor kurz nach seiner Wiederwahl im Weißen Haus empfangen, Außenministerin Condoleeza Rice zitierte Sharansky bei ihrer Brandrede wider die "Außenposten der Tyrannei" vor dem Senat: "Die Welt sollte anwenden, was Natan Sharansky den 'Marktplatztest' nennt: Wenn man sich nicht mitten auf den Marktplatz stellen und ohne Angst vor Festnahme, Inhaftierung oder körperlichen Schaden seine Meinung äußern kann, dann lebt man in einer Gesellschaft der Angst und nicht in einer freien Gesellschaft. Wir dürfen nicht ruhen bis jeder, der in einer Gesellschaft der Angst lebt, die Freiheit endlich errungen hat."

Man hat viel über intellektuelle Einflüsse auf Bush und seine Administration spekuliert - der jüdische Emigrant Leo Strauss wurde ebenso genannt wie Carl Schmitt. Doch deren Schriften sind viel zu komplex, als dass sie einen Rumsfeld oder Bush jr. hätten anleiten können, während Sharansky jene Variante von Politikberatung liefert, die ein manichäisches Weltbild untermauert.

Sharansky unterscheidet nur zwischen Gut und Böse, zwischen freien und Furchtgesellschaften, zwischen Tyrannei und Demokratie, und solche Weltanschauungen sind (in Bushs eigenen Worten) "Teil der Präsidenten-DNA".

Natan Sharansky ist die Steigerung von Ariel Sharon; der für Jerusalem und die jüdische Diaspora zuständige Minister opponiert strikt gegen die Räumung des Gaza-Streifens und erklärt die Wahlen in Palästina für "nicht wirklich frei", das heißt: Er macht Front gegen die einzige Hoffnung auf Mäßigung, die im israelisch-arabischen Konflikt derzeit zu sehen ist. Sharansky repräsentiert als Vorsitzender der Partei Yisrael B'Aliyah die harte Rechte im Kabinett.

Seine Umarmung durch das Weiße Haus ist ein irritierendes Signal. In Europa wird sein Verleger deshalb kaum einen Partner für eine Übersetzung finden.

Interessant ist die kompromisslose Freiheitsfibel vor allem durch den Verfasser und dessen Biografie. Geboren 1948 als Anatoly Shcharansky im ukrainischen Donezk, stellte der Mathematiker 1973 einen Ausreiseantrag nach Israel.

Als ihm dieser verweigert wurde, arbeitete er als Übersetzer für Andrej Sacharow und wirkte bei den jüdischen Refuzniks um Yuri Orlov und die Helsinki Watch Group mit. Das brachte ihm eine Anklage als US-Spion ein, 1978 wurde er für acht Jahre in Zuchthaus und Gulag geworfen.

1986 wurde Sharansky gegen einen echten Sowjetspion ausgetauscht und wanderte nach Israel aus. Noch am Flughafen telefonierte er mit Präsident Ronald Reagan, den er als seinen Befreier bezeichnete und aus dessen Hand er später die Freiheitsmedaille erhielt.

Genau dieser Plot - Freiheitskämpfer kommt dank der kompromisslosen Haltung Amerikas frei - macht Sharansky heute zum Rollenmodell für das Weiße Haus. Der ehemalige Dissident ist weniger Bushs Vordenker als sein Sprachrohr, denn wieder erklärt ein Präsident, der Tyrannei nicht weichen zu wollen, wieder ruft er die Völker der Welt auf, sich gegen ihre Unterdrücker zu erheben, und verspricht Unterstützung für die Freiheitskämpfer.

Bush jr. ist ein erklärter Wiedergänger Ronald Reagans, dessen konservative Revolution er zu Ende bringen will, und die Achse Washington -- Tel Aviv soll Alteuropa als Kollaborationsregime mit den Despoten in Teheran und anderswo vorführen. Amerika, lautet die Botschaft, hat sich nicht Stalin und seinen Nachfolgern gebeugt, es wird sich auch den Schurken von heute nicht unterwerfen.

Sharansky machte Bush zu seinem Helden, als dieser Yassir Arafat zum Hindernis für die Demokratisierung des Mittleren Ostens erklärte und damit faktisch abservierte, und auch, als er stur daran festhielt, der Irak könne genauso demokratisch werden wie die faschistischen Achsenmächte nach 1945.

"Realpolitik" à la Nixon/Kissinger (damals) oder Chirac/Schröder (heute) zahlt sich nicht aus, der demokratische Internationalismus geht weiter -- diese Lektüre der Weltpolitik enthält durchaus Sprengstoff für Washington selbst.

Sharansky attackiert die despotischen und fundamentalistischen Regime, die von den USA noch "realpolitisch" gestützt oder toleriert werden, allen voran Saudi-Arabien und Ägypten.

So gesehen, wird Bush noch Abstriche an seiner Dissidentenpose machen müssen, und was weder er noch sein Lieblingsautor einsehen mögen, ist, wie wenig die israelisch-amerikanische Achse Frieden und Demokratie in der besagten Region befördert.

Dieses Argument würde Sharansky gewiss als Ausdruck des "neuen Antisemitismus" geißeln, eine rhetorische Figur, die berechtigte Kritik an Amerika und Israel mundtot machen soll. Sharanskys Kampf-Organisation "Ein Jerusalem" ist zugleich eine Drehscheibe zu neokonservativen Denkfabriken, die heute eine Art christlichen Zionismus propagieren.

Häufig tourt Sharansky durch US-Universitäten, das von ihm ins Leben gerufene "Hasbara-Programm" soll dem angeblichen Übergewicht arabisch-islamischer Einflüsse auf dem Campus entgegenwirken. Sharansky spricht für eine neue Generation von Einwanderern, die andere Lebenserfahrungen bewegen als frühere Zionisten oder die Überlebenden des Holocaust, jetzt geben Überlebende des Gulag und die Exilanten aus arabischen Ländern den Ton an.

Die Gleichsetzung von Israel-Kritik mit Antisemitismus ist eine Immunisierungsstrategie des rechten Likud-Flügels, die jüdische wie nicht-jüdische Liberale in Israel, in den USA und in Europa entschieden zurückweisen.

Der ultimative Gestus erinnert an den Kalten Krieg, aber auch daran, dass Dissidenten wie Sharansky oder Solschenizyn seinerzeit nicht ernst genommen worden sind, weil sie womöglich "Beifall von der falschen Seite" auslösten. Wer dem manichäischen Weltbild George Bushs etwas entgegensetzen möchte, muss also erklären, welcher bessere Weg zu Freiheit und Demokratie in der Welt führt.

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