Der Grenzgang:Utopie wird Realität wird Party

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Die philharmonischen Profis zeigen die Grenzenlosigkeit der Musik

Von Rita Argauer, München

Musikvermittlung ist ein fieses Wort. Denn da wird suggeriert, dass eine Partei der anderen etwas nahebringen muss. Der Samstag des Fest-Wochenendes der Münchner Philharmoniker steht nun aber ganz im Sinne einer grenzüberschreitenden Vermittlungsarbeit, die ohne Hierarchien verschiedene Annäherungen an Musik austauscht. Es geht ums gemeinsame Musizieren und darum, es mit der Musik einfach mal auszuprobieren. Ein musikpädagogisches Prinzip, das man auch "Community Music" nennt. Wobei man am späten Abend dieses Samstags auch eine ganz andere Definition von Community, eine sehr hippe.

Zwölf Stunden also, in denen am Samstag von 11 Uhr an in sämtlichen Sälen des Gasteigs Musik gespielt wird. Konzerte und Projektwerkschauen im Fokus der Gemeinsamkeit. Wie etwa in "Der Rattenfänger von Hameln" mit Grundschülernschülern: "Auch wir studierte Musiker lernen etwas dabei", erklärt Kontrabassist Ulrich Zeller, der auch bei einem zweiten Schulprojekt beteiligt war. Als Berufsmusiker im Orchester sei man gewohnt nach Noten zu spielen. Dass es ebenfalls zum Musizieren gehöre, zu improvisieren und etwas eigenes zu finden, zeige sich verstärkt in solchen Projekten; und für die Musiker, die den Orchester-Alltag gewohnt sind, sei das erst einmal ungewöhnlich. So wird also Musik hin und her vermittelt, etwa wenn Wolfi Schlick, Musiker in der Münchner Express Brass Band, zusammen mit Wolfgang Berg, Bratscher und Vorstand der Philharmoniker, eine Truppe mit Laien aller Altersstufen und Flüchtlingen gründete. Dabei entsteht Musik, die jeder spielen kann; und genau das ist Sinn und Zweck.

Am akademischen Thron rüttelt auch der experimentelle Pianist Hauschka. Mit dem taten sich Musiker des Orchesters schon Anfang des Jahres zusammen. Hier ist zwar wieder mehr musikalische Kunstfertigkeit gefragt, wenn Musik zwischen klassischem Hintergrund und aktueller Pop-Ästhetik geschaffen wird. Aber auch hier wird beidseitig vermittelt, mit anspruchsvoller Pop-Ästhetik für Klassik-Hörer genauso wie für Orchester-Musiker.

Der Anspruch "Musik für alle", der diesem Fest als Motto dient, vollzieht sich auch darin, dass alle Vorführungen bei freiem Eintritt stattfinden. Es gibt zeitgenössischen Potpourri-Jazz von Tin Men and the Telephon und gegenwärtige Gitarren-Klassik des montenegrinischen Musikers Miloš Karadaglić. Es gibt reine Klassik, wie etwa von den Kammermusikensembles der Philharmoniker und des Mariinsky-Orchesters, und ein Jazz-Klassik-Gemisch mit Till Brönner. Und zum Abschluss steigt auf dem Schlachthofgelände in der Zenettistraße eine Pop-Party, die Überraschungsauftritte der klassischen Musiker verspricht - das haben die Philharmoniker ja bereits in den Postgaragen erprobt. Einen Tag lang lebt das Orchester eine Utopie, in der Grenzen keine Rolle mehr spielen sollen. Dass diese Haltung im normalen Konzertbetrieb noch nicht angekommen ist, ist dabei ebenso klar, wie dass Utopien am ehesten zur Wirklichkeit werden, wenn man sie einfach mal in der Realität ausprobiert. So wie das Musizieren in der Community Music.

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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