Der Ackermann-Prozess:Warum hast Du so große Zähne?

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Irrtum: Es geht gar nicht darum, ob ein Spitzenmanager arrogant sein darf. Das setzt man ohnehin voraus. Die Victory-Geste, die den Ackermann-Prozess schon gleich zu Beginn so bitter gemacht hat, dokumentiert vielmehr den Geist des wild gewordenen Kleinbürgers.

JULIA ENCKE

"Jemand musste Josef A. verleumdet haben", hieß es, frei nach Kafkas "Prozess", vor zwei Wochen im Satiremagazin Titanic. "Denn als er eines Morgens den siebten Schnaps in den fünften Frühstückskaffee zu schütten im Begriffe war, rappelte es an der Tür des geschmackvoll eingerichteten 100-Zimmer-Appartements im schönen Königstein im Taunus. ,Wer, hups, kann das sein?', fragte sich A. und nahm seine fleischige Vorstandspranke aus dem Schritt des Dienstmädchens, das er sogleich zum Türöffnen jagte. Eine Minute später standen zwei Herren im Wohnzimmer und schauten stoisch auf die Sauerei aus Marmeladenklecksen, Croissantkrümeln und Fleischsalat vom Fass: ,Lieber Herr Ackermann, wegen Veruntreuung von sehr viel Geld sind sie vorläufig festgenommen. Und sie haben da Marmelade am Mund.'"

"Muss ich durch das Geschwätz dieser niedrigsten Organe mich noch mehr verwirren lassen?", denkt er sich. (Foto: Foto: AP)

Das war - als Satire - sehr lustig. Und es war zugleich mehr als das, fragte man sich doch, ob der Vergleich zwischen Josef K. und Josef A. nicht nur ein besonderes Licht auf den wegen Beihilfe zur Untreue angeklagten Deutsche-Bank-Chef und Ex-Mannesmann-Aufsichtsrat Ackermann warf, sondern auch ein völlig neues auf Kafkas K.. Plötzlich zog man in Betracht, dass Josef K. in der Wahrnehmung anderer unglaublich arrogant und hochmütig gewesen sein könnte. Den zwei Herren, die ihn zu Beginn des "Prozesses" festnehmen, begegnet er jedenfalls genau so: "Muss ich durch das Geschwätz dieser niedrigsten Organe mich noch mehr verwirren lassen?", denkt er sich. "Sie reden von Dingen, die sie gar nicht verstehen. Ihre Sicherheit ist nur durch ihre Dummheit möglich." Und er hofft, dass nur ein paar Worte, die er mit einem ihm "ebenbürtigen Menschen" sprechen werde, alles unvergleichlich klarer machen könnten als die längsten Reden mit diesen Idioten.

Hätte dem Angeklagten im "Prozess" jemand vorgeworfen, er sei arrogant, K. hätte diese Anschuldigung fassungslos zurückgewiesen. Er selbst sieht sich nicht so, wie auch im Leben die meisten Menschen von sich glauben, dass sie vieles seien, nur nicht überheblich. Als arrogant will keiner gelten. Es gehört sich nicht, ist in den Augen der Öffentlichkeit diskreditierend. Und so war in der vergangenen Woche auch Josef Ackermann darum bemüht, sein hochmütiges Image wieder in ein demütiges Licht zu rücken. Wer es sich herausnimmt, mit Victory-Zeichen den "King of Finance" zu mimen; wer behauptet, dass "Deutschland das einzige Land" sei, "wo Leute, die Werte schaffen, vor Gericht kommen", muss mit Empörung eigentlich rechnen. Der Bank-Chef aber tat unschuldig, als wolle er sagen: "Arrogant? Was denkt ihr? Ich bin doch nicht arrogant!"

Das moralische Urteil ist jedoch längst gesprochen. Es lautet: lebenslänglich. Kein Name zeigt das besser als der des Ackermann-Vorgängers Hilmar Kopper: Noch nach zehn Jahren erinnert sich jeder an die "Peanuts", von denen bei der Pleite um den getürmten Immobilien-Investor Jürgen Schneider die Rede gewesen war - lasche 50 Millionen Mark. Kopper wird für immer der "Peanuts"-Mann bleiben, so wie Ackermann jetzt als Victory-Mann in die Geschichte eingeht. "Wenn der falsche Eindruck entstanden ist, ich würde das Gericht nicht respektieren, tut es mir Leid", sagte er letzten Donnerstag in Frankfurt. Er hätte es sich sparen können. Auch heute, wo er - man sagt aus Imagegründen - vor dem Landgericht Düsseldorf noch einmal aussagen will, wäre es ein Wunder, würde sich an seinem Bild etwas ändern.

Denn wo Gesellschaften egalitär, vor Gericht also alle gleich sind, ist Arroganz eine Art Grundvorwurf gegenüber Leuten, die im Verdacht stehen, Privilegien zu genießen. Sie ist ein moralisches Vergehen und die in der Medienöffentlichkeit zur Schau gestellte "Arroganz der Macht" Todsünde. Nicht umsonst betrat ein hochmütiger Typ wie der Dandy das gesellschaftliche Parkett in genau jenen Übergangsphasen, in denen die Demokratie noch nicht stabilisiert war und die Aristokratie sich noch zäh behauptete. Seine Überheblichkeit war Verachtung gegenüber dem trivialen bürgerlichen Leben. Gleichmacherei wehrte er durch Exzentrik ab: "Das Dandytum ist das letzte Aufflammen von Heroismus in einer Zeit des Niedergangs", behauptete hingebungsvoll Charles Baudelaire. Aber Baudelaire war auch kein Demokrat.

Wenn eine ganze Stern-Titelgeschichte jetzt die "Arroganz der Mächtigen" geißelt und "das Volk" dazu animiert, ihre wirtschaftspolitische Elite zu "kündigen"; wenn der Soziologe Sighard Neckel in der Zeit behauptet, dass der Mannesmann-Prozess vor Augen führe, wie sehr sich "inmitten der vermeintlichen modernsten Wirtschaftskultur ein ökonomischer Neufeudalismus verbreitet" habe, dann gehört das genau in diesen Zusammenhang. Der Arroganz-Vorwurf funktioniert wie ein Reflex: Überheblichkeit ist ein Attribut des Feudalismus. Und Feudalismus geht gar nicht. Über das Wesen der Arroganz ist damit noch nicht viel gesagt. Ohne weiteres kann man ja behaupten, dass in irgendeiner Weise jeder von uns arrogant ist. Dass Arroganz überhaupt notwendig sei, um im gesellschaftlichen Umgang überleben zu können: als Schutzhaltung, Abwehrmechanismus und als kultivierte Form der Unempfindlichkeit. Sie gehört zu den "Verhaltenslehren der Kälte", wie die Moralistik sie kannte oder die Neue Sachlichkeit - als ein Mantel der Beschämungsimmunität. Und sie findet ihre Verlängerungen in den coolen Posen der Gegenwart, mit denen man sich alles, bloß keine Blöße geben will.

Als solche Pose wird sie auch gefeiert. Oft kommt Anerkennung nicht trotz, sondern wegen der Verächtlichkeit zustande, mit der jemand auftritt. "Ohne Arroganz wird kein großer Mann", befand Schopenhauer. Und tatsächlich hält man jemandem wie dem Ex-Kanzler Helmut Schmidt seine Überheblichkeit ja immer zugute: Da kann er, sehr hanseatisch, ganze Abende im Fernsehen sitzen, sich zu Bemerkungen herablassen und ungerührt rauchen - und man wird es ihm nie übel nehmen. Seine Arroganz hat Stil. Sie ist Haltung, kein moralisches Vergehen. Moral und Anklage kommen immer nur dann ins Spiel, wenn nicht Konventionen, sondern - ob direkt oder indirekt - Menschen verachtet werden. Eben das unterscheidet Schmidt von Ackermann: Was der Altkanzler zur Schau trägt, ist Distanzbewusstsein, dem immer auch ein Moment der Freiheit und Anarchie innewohnt. Ackermann hingegen gebärdet sich, indem er sich über das Gericht stellt, vor dem alle gleich sind, als Herrenmensch - aus ihm spricht der Geist des wild gewordenen Kleinbürgers.

Es geht also gar nicht darum, dass ein Spitzenmanager nicht arrogant sein darf. Seinen Hochmut setzt man eher voraus. Was man ihm vielmehr vorwerfen muss, ist seine Unbeherrschtheit und Naivität. Wer sich vor dem Gerichtssaal über das Gesetz erhebt und hinterher behauptet, "die Medien" hätten aus einer "aus dem Zusammenhang gerissenen Geste eine Kampagne" gemacht, hat von der demokratischen Mediengesellschaft wenig verstanden. Er ist im Grunde nicht einmal arrogant, sondern ein Snob - "sine nobilitate", "ohne Vornehmheit".

In der Öffentlichkeit - Josef A. hätte das wissen müssen - wiegt das moralische Vergehen schwerer als das juristische. Diesen Prozess hat er schon verloren. Im Gegensatz zu Kafkas K., dessen Verleumdung nie aufgedeckt wurde, wird Josef Ackermann allerdings daran festhalten wollen, dass ihn "die Medien" verleumdet haben.

© SZ v. 11.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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