Debatte um "Die Flucht":Eine heikle Geschichte - oder wie heikel ist Geschichte?

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Ein "zu Herzensverstand" gehender ARD-Zweiteiler auf der Borderline zwischen Emo-Drama und inszenierten Fakten? Geschichte als Deko, nicht Doku? Und Karl Lagerfeld fotografiert die schöne Maria Furtwängler. "Die Flucht" wird ohne Zweifel noch zu diskutieren sein.

Bernd Graff

Im Kriegswinter 44/45 hat Deutschland im Osten all den Boden wieder verloren, den die deutsche Armee nach den Überfällen auf Polen und die Sowjetunion in den ersten Kriegsjahren besetzt hielt. Unrechtmäßig besetzt hielt. Denn es waren Aneignungen nach verbrecherisch befohlenen Angriffskriegen.

Historisch ist ein Stoff jedenfalls nicht schon deshalb, weil er in der Geschichte spielt. (Foto: Foto: ARD)

Im letzten Winter dieses Krieges befinden sich die Reste dieser Armee fast schon aufgerieben auf der Flucht. Der Krieg hat längst deutsches Vorkriegs-Territorium erreicht - und damit auch Hunderttausende deutsche Zivilisten, die auf der Flucht vor der Roten Armee nun ihrerseits aus der angestammten Heimat vertrieben werden.

Ins Chaos dieser Vertreibung, in das Durcheinander aus fliehender Wehrmacht und vertriebenen Ostpreußen zoomt sich ein Zweiteiler, den ARTE und ARD im Verlauf eines erweiterten Wochenendes ausstrahlen.Zoomt deshalb, weil dieser Film seine Geschichte, nicht die Geschichte, aus einer Mikroperspektive erzählt: Berichtet wird aus der Perspektive eines fiktiven Einzelschicksals, erzählt werden die Flucht-Erlebnisse einer adligen Frau, die sich mitten im Flüchtlings-Treck Richtung Haff befindet - in der Hoffnung, von deutschen Marinebooten evakuiert zu werden. Doch das historische Setting ist nicht der eigentliche Gegenstand des Epos, sondern so etwas wie Staffage für eine aufrührende Liebesgeschichte, die Geschichte des Untergangs alter Adelsherrlichkeit und des Elends der Vertreibung. Geschichte mehr als Deko, nicht Doku.

"Historisch" nennt die ARD diesen Zweiteiler gleichwohl. Und so tut es auch dann die Bunte, die der Hauptdarstellerin, Maria Furtwängler, in ihrer frischen Ausgabe auch gleich eine Bildstrecke widmet - fotografiert von Karl Lagerfeld. Karl Lagerfelds Fotos sollen "den Star in neuem Licht zeigen" - tatsächlich zeigen sie ihn in Kleidern und Kreationen von aktuellen, international namhaften Couturiers und Modehäusern. Darin sieht Maria Furtwängler auch besonders exquisit aus, jedenfalls wesentlich besser als in den härenen Flüchtlingsplutten, die sie im "historischen" Zweiteiler anziehen musste. Um diesen Film und Furtwänglers Rolle darin aber dreht sich der zu den Lagerfeld-Fotos gehörende Artikel.

Aus dem Amalgam der Anlässe und Begebenheiten, die wie auf einer Cocktailparty auf Bunte-Seiten nur lose vermittelt aufeinander treffen, lässt sich ziemlich genau ablesen, wie es um die "Historizität" des Zweiteilers bestellt ist.

Während ARD und ARTE dem Film zu einer historischen Aufladung verhelfen, indem sie Dokus zur "Flucht der Frauen" und "Hitlers letzten Opfern" (ARD) ins Ambiente der Ausstrahlung platzieren und die Ankündigung des Zweiteilers auf der Internetseite ins Ressort "Geschichtsmagazin" und mit begleitenden Historiker-Interviews und Tagebuch-Wiedergaben zu Flucht und Vertreibung anreichern (ARTE), verlässt sich die Bunte auf ein Interview zum Rollenaufbau mit der Hauptdarstellerin Furtwängler - und eben auf Karl Lagerfeld. Keinem der Medien kann man aus seiner jeweiligen Wahl einen Vorwurf machen. Denn so changierend die Herangehensweisen und Berichte, so changierend ist auch der Film auf der Borderline zwischen Emo-Drama und inszenierten Fakten.

Heraus kommen eine gefühlt-gefühlige Geschichte, die eher schwelgenden Töne der Fiktion und kostümiertes Ambiente, für das man sich eben jetzt das Ostpreußen des verlorenen Krieges ausgesucht hat.

Und doch wird diese Doku hierzulande eine Vertriebenen-Diskussion befeuern, vielleicht sogar einen Erinnerungsschock bewirken, der demjenigen vergleichbar ist, den die jüngere "Bombenkrieg"-Welle mit Jörg Friedrichs "Brand" und den letztjährigen, übrigens ebenfalls von teamWorx produzierten Zweiteiler "Dresden" im ZDF auslösten.

"Dresden", angesiedelt in den Bombeninferno-Nächten des Februar 1945, nannte der ZDF-Fernsehspielchef Hans Janke übrigens einen "zu Herzensverstand gehenden Film, der das Inferno, in dem er spielt, keinen Moment dadurch um seinen Schrecken bringt, dass er mittendarin auch von einer unglücklich-glücklichen Liebe handelt."

Ob Herzensverstand Geschichte eher zu erklären oder zu überkleistern vermag, kann hier nicht beantwortet werden. Historisch ist ein Stoff jedenfalls nicht schon deshalb, weil er in der Geschichte spielt. Und Melodram eignet sich kaum als Methode der Vergegenwärtigung - auch wenn Arte im Ankündigungstext die mutmaßliche Stimmigkeit der filmischen Erzählung mit den historischen Ereignissen betont: "Kai Wessel und der Drehbuchautorin und Historikerin Gabriela Sperl ist es gelungen, mit Sensibilität und Fingerspitzengefühl das Schicksal der ostpreußischen Bevölkerung filmisch aufzuarbeiten, die am Ende des Zweiten Weltkrieges vor der heranrückenden Front fliehen musste. Der ergreifende und historisch fundierte Film behandelt somit einen Stoff, über den oftmals Jahrzehnte geschwiegen wurde, weil er mit deutscher Schuld und Scham behaftet ist."

Es stimmt, dass der Stoff sensibel zu handhaben ist. Denn nur, weil jetzt nicht mehr geschwiegen, sondern in irgendeiner Form davon gehandelt wird, werden persönliche Scham und faktische Schuld ja nicht weniger.

"Die Flucht" ist eine Produktion in Co-Produktion mit ARD Degeto, BR, WDR, SWR, HR, ARTE und EOS Entertainment in Zusammenarbeit mit dem RBB.

© "Die Flucht": ARTE: Freitag, 02. März 2007, 20.40 + 22.10 Uhr, ARD: Sonntag, 4. und Montag, 5. März, jeweils 20.15 ARD - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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