Debatte um den Film "Der Untergang":Viel Spaß mit Hitler!

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Big Bunker: Einst bot das Fernsehen den NS-Staat wie ein Pädagoge an, nun werden die braunen Machthaber dort menschlich.

Von Torsten Körner

Hitler betritt die Bühne. Alle im Saal stehen auf. Auch Harald Schmidt, Fred Kogel und Bürgermeister Klaus Wowereit klatschen. Der Führer verneigt sich. Im Berliner Kino Delphi feiert man Der Untergang und Bruno Ganz. Er sei, heißt es, der erste Schauspieler, der Hitler ein menschliches Gesicht gegeben habe, Gefühle und vielleicht sogar ein Herz?

Direktor Oliver Hirschbiegel (von links), die Schauspielerin Juliane Köhler (im Film Magda Goebbels) und Bruno Ganz (spielt Adolf Hitler) bei der Premiere von "Der Untergang" in München. (Foto: Foto: Reuters)

Eine andere Szene, wenige Stunden zuvor am gleichen Ort. Christoph Schlingensief stellt seinen Hitlerfilm 100 Jahre Adolf Hitler - Die letzte Stunde im Führerbunker vor, den er schon 1989 gedreht hat. Das Licht geht aus, der Moderator wünscht allen: "Viel Spaß mit Hitler!" Niemand regt sich auf.

Graue, zerknautschte Gesichter - als ginge es um ihr Leben

Am Tag darauf sind Ganz, Produzent Bernd Eichinger und Ulrich Matthes, der im Untergang den Goebbels spielt, zu Gast bei Reinhold Beckmann. Die Gäste ringen mit dem wortflinkeren ARD-Talkmaster um Nuancen und Begriffe, als ginge es um ihr Leben. Ihre Gesichter sind zerknautscht und grau, so sehr haben sie sich in diese Geschichte verbissen.

An solchen und an vielen anderen Szenen, die sich im Medienrummel rund um den jüngsten Hitler-Film zutragen, kann man leicht erkennen, wie sich der Blick der Deutschen auf das "Dritte Reich" und die Unperson Hitler, den Diktator und Massenmörder, verändert hat. Als 1995 zum 50. Jahrestag an das Kriegsende erinnert wurde, begegnete man häufig der Sorge, die Zeit des Nationalsozialismus' werde jetzt entsorgt - das Gegenteil ist der Fall.

Gerade weil es immer weniger Menschen gibt, deren Biografien in das "Dritte Reich" hinein reichen, gibt es jetzt immer mehr mediale Produkte, die diesen Mangel an Authentizität ausgleichen. Fast scheint es so, als stürben mit den Zeitzeugen auch jene Erzählformen in Film und Fernsehen, die die Deutschen vor allem umerziehen und politisch immunisieren wollten.

Nun also kommt Der Untergang wie eine retrospektive Big Brother-Intimbeobachtung daher: Sie zeigt den Führer, wie er küsst, weint und Nudeln isst. Wer verlässt den Bunker zuletzt? Wer wählt welche Todesart?

Hitler als jämmerlicher Mensch

Leicht ließen sich solche Fragen als Banalisierungen der Geschichte abtun, aber zielen sie nicht schmerzhaft auf unsere kollektiven Erinnerungsbilder und eingeübten Erklärungsmuster? Ist die Darstellung Hitlers als jämmerlicher Mensch nicht auch ein unbequemer Hinweis auf seine intime Interaktion mit seinem Volk?

Es lohnt ein Blick zurück in die Beziehungsgeschichte zwischen Nationalsozialismus, Medien und den Deutschen. Schon 1937 schrieb der Filmregisseur Berthold Viertel aus dem Exil über Hitler: "Schwer, über deutsche Schauspieler zu sprechen, seit der Eine sie alle zu Komparsen gemacht hat - er, der sämtliche große Rollen der Geschichte und der Literatur verkörpert, von Christus bis Caesar und, vielseitig wie Zettel, der Weber, die heilige Johanna noch dazu."

Viertels Bemerkung erhellt, dass es nach 1945 nicht bloß ein Tabu gab, Hitler als Mensch zu zeigen, sondern einfach auch Darstellungsnöte, weil Hitler kaum ein Rollenbild ausgelassen hatte.

Die Schauspielerin Alexandra Maria Lara (spielt im Film Hitlers Sekretärin Traudl Jung). (Foto: Foto: Reuters)

Die Hitler-Bilder, die das Fernsehen nach 1945 zeigte, waren deshalb unweigerlich auch immer mit den Inszenierungen des "Dritten Reiches" selbst verbunden, mit den Stilisierungen von Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann, mit Leni Riefenstahls monumentalen Arbeiten und mit Goebbels' Propaganda-Apparat.

Hoffmanns Buch Hitler wie keiner ihn kennt, das den privaten Hitler inszeniert, war 1932 ein großer wirtschaftlicher Erfolg - die scheinbar privaten Einblicke in den Alltag des "Führers" wurden von den Deutschen in der Folgezeit heftig gewünscht und geschickt vermarktet.

"Nie mehr Jawoll!"

An dieser einstigen medialen Allgegenwart Hitlers hatten sich die Medien nach 1945 abzuarbeiten - neben der Bewältigung der vielen NS-Gräuel. Es verging einige Zeit, ehe sich der Blick des Fernsehens regelmäßig auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 richtete.

Die ARD sendete 1960/61 die vierzehnteilige Reihe Das Dritte Reich (WDR/SDR), die als "ambitiösester Geschichtsunterricht, den das Deutsche Fernsehen jemals seinem Publikum erteilte" (Spiegel) antrat.

Mit dem Start des ZDF im Jahr 1963 und dem Ausbau der Programme nahm auch die Zahl der Sendungen zu, die sich dem braunen Thema didaktisch und analytisch näherten, vor allem in Magazin-Sendungen wie Panorama (ARD), das den Blick auf das "Dritte Reich" mit einer kritischen Gegenwartsdiagnose verband.

Nach dem Eichmann-Prozess in Jerusalem und dem Auschwitz-Prozess in Frankfurt nahm sich das Fernsehspiel immer häufiger der Frage an, wie es zu Hitler kommen konnte und welche Konsequenzen für die Gegenwart daraus entstünden.

Gedankenlos neben den Lagern gelebt

Das Fernsehspiel Ein Tag - Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager von Egon Monk (NDR, 1965) zeigte, wie gedankenlos und selbstbezogen die Deutschen in unmittelbarer Nachbarschaft der Lager lebten. Bei so unpopulären Stoffen kannte das Fernsehen noch nicht den Quotendruck heutiger Tage, ein Druck, dem sich das Kino an der Kasse schon damals zu stellen hatte.

Auch deshalb war Der letzte Akt (1955) von Georg Wilhelm Pabst , der die letzten Tage im Führerbunker schildert, ein Misserfolg geworden. Albin Skoda, der den Hitler spielt, zeigt ihn als fanatische Maske, als entmenschten Menschen, der sich selbst schon ins Panoptikum der Geschichte übergeben hat. Ihm steht ein "anständiger" Offizier gegenüber, der erschossen wird, als er Hitler aus seinem Wahnsinn reißen will.

Im Schlussbild des Films kulminiert die Botschaft: Das Gesicht des toten Offiziers, der von Oskar Werner gespielt wurde, überblendet den brennenden Leichnam Hitlers und aus dem Off warnt der tote Offizier: "Seid wachsam, sagt nie mehr Jawoll!" Der Film von Pabst illustriert noch ein anderes Tabu.

Der Mitläufer - gerne als Opfer entlastet

Nicht nur der Führer war als Mensch unerwünscht, sondern auch der Mitläufer, der im deutschen Nachkriegsfilm gerne historisch entlastet und als Opfer stilisiert wurde. Dagegen inszenierten Fernseh- und Kinofilme oft den fanatischen Hitleranhänger, der in der Darstellung zumeist so monströs geriet, dass er wie ein altes Schlossgespenst entsorgt werden konnte.

Es wundert daher nicht, dass 1957 ein Filmprojekt mit dem Titel Ich war ein kleiner PG scheiterte, in dem Heinz Rühmann einen subalternen Parteigenossen spielen sollte. Die Produzenten fürchteten, das Image des Publikumslieblings könne beschädigt werden.

Unterdessen ging das Fernsehen weiter seinem Erziehungs- und Bildungsauftrag nach. Der Zuschauer wurde dabei vielfach als politisch unmündiges und immer noch potenziell verführbares Wesen begriffen, gemäß Bertolt Brecht: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch." Diese Diskussion flammte auch in den siebziger Jahren auf, als Joachim Fest seine große Hitler-Biografie und zwei Hitler-Filme veröffentlichte.

Den Nationalsozialismus auf Hitler reduziert

Der langjährige Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen, der auch bei Der Untergang beriet, hatte 1969 mit Adolf Hitler - Versuch eines Porträts (WDR) begonnen; es folgte 1973 die Biografie Hitler und schließlich der Film Hitler - eine Karriere (1977). Viele Kritiker sahen durch Fest den Nationalsozialismus auf die Person Hitler reduziert und warfen ihm "gefährliche Simplifizierungen" vor.

Irritierend war auch, dass Hitler offenbar einen Faszinationskern besaß, den man durch rationale Analyse nicht in den Griff bekam. Fest hatte sich um einen möglichst kalten Zugriff, eine sezierende Betrachtungsweise bemüht, aber, so der Verdacht, war da nicht eine gefährliche Einfühlung am Werk?

Das Paradoxe an der Beschäftigung mit Hitler in den Medien war, dass er immer undeutlicher wurde, je häufiger man ihm ins Gesicht blickte. Er verschwand hinter Analysen, Mythen, Dämonisierungen, Fakten, Strukturen, Deutungen. Da wuchs das Bedürfnis, deutsche Geschichte an Biografien und Schicksalen festzumachen. Nicht zuletzt deshalb war der US-Mehrteiler Holocaust, der 1979 ins deutsche Fernsehen kam, eine Zäsur.

Die Geschichte der jüdischen Familie Weiss sah mehr als ein Drittel der Deutschen

Gefühle und Geschichte, Leiden und Unterhaltung, das war plötzlich kein Gegensatz mehr. Die Geschichte der jüdischen Familie Weiss erreichte mehr als ein Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung und wurde zum Modell für eine Reihe von aufwändig produzierten Mehrteilern, etwa Heimat von Edgar Reitz (SFB/WDR 1984), in denen auch Alltagsgeschichte im "Dritten Reich" vorkam.

Die Einführung des Privatfernsehens 1984 führte dazu, dass ARD und ZDF diese Modelle weiter entwickelten und sich die Formen des historischen Erzählens vervielfältigten. Unter dem zunehmenden Konkurrenzdruck machte man die Entdeckung, dass man mit anspruchsvollen kleineren Dokumentationen die eigene Identität schärfen und mit großen populären Mehrteilern Quote machen konnte.

Bilder und Gegenbilder

Mit der Wiedervereinigung 1990 verschwanden nicht nur das DDR-Fernsehen und die DEFA, die mit ihren antifaschistischen Filmen das bessere Deutschland zu legitimieren hatten, es verschwanden auch jene als überkommen empfundenen Formen der westdeutschen TV-Pädagogik, mit denen man die Geschichte des "Dritten Reichs" stets politisch korrekt abgesichert hatte.

Es trat auf: Guido Knopp, der 1995 zwar Kritik erntete, als er mit Hitler - eine Bilanz (ZDF) begann, den NS-Staat mit industrieller Monotonie aufzuarbeiten - aber seine Filme erfreuten sich großer Beliebtheit, weil sie den Zuschauer zu einer befriedeten Identifikation mit deutscher Geschichte einluden. Es folgte etliche Knopp-Hitler-Arbeiten, von Hitlers Helfern bis zu Hitlers Frauen.

Dieser Boom stieß wiederum Gegenbilder und alternative Erzählformen an, die die flache Emotionalisierung des Themas meiden oder eine differenziertere, gefühlskalte Methode profilieren wollten.

Das Dritte Reich - in Farbe

Auch der investigative Ansatz von Michael Kloft, der seit 2000 die zeitgeschichtliche Redaktion von Spiegel-TV leitet, brachte dem Zuschauer das "Dritte Reich" irritierend nah. Reportagen wie Welche Farbe hat der Krieg (1995) oder Das Dritte Reich in Farbe (1999) auf Sat1 brachen alte Wahrnehmungsmuster auf.

Das Fernsehen hat sich fast gierig der zeitgeschichtlichen Gedenktage bemächtigt. So, als ob man der Instant-Authentizität der Intimitäts-Shows (Big Brother) und der Voyeurs-Spektakel etwas Gehaltvolleres entgegen setzen wolle. Aber gibt es nicht auch eine Verbindung zwischen Container und Bunker, zwischen Busen-OP und Blick auf Eva Braun?

Der Ansatz, das "Dritte Reich" als großes Schauspiel zu präsentieren, ob es nun um Stauffenberg, Hitler oder Albert Speer geht, dringt darauf, das Thema endlich der erzählerischen Allmacht zu unterwerfen. Die Kamera soll an allem teilhaben dürfen, alles zeigen. 60 Jahre nach dem Fall des braunen Terrorstaats wachsen nicht nur die Erkundungslust der Kamera, sondern auch die stilistische Freiheit und die formale Risikobereitschaft.

Gespräch mit dem Biest

In Das Gespräch mit dem Biest (1996) spielt Armin Mueller-Stahl bei seinem Regiedebüt den überlebenden Hitler, der in die Rolle einer seiner angeblichen sechs Doppelgänger geschlüpft ist und mit einem US-Historiker redet. In Das Himmler-Projekt (2000) von Romuald Karmakar liest Manfred Zapatka drei Stunden lang eine berüchtigte Himmler-Rede vom Blatt, ohne Kommentar, ohne schauspielerischen Effekt.

Und warum nicht über Hitler lachen? Goebbels und Geduldig (2002, ARD) hat sich an einer sehr bemühten Variation von Chaplins Der große Diktator (1940) versucht, in der Ulrich Mühe den Juden Harry Geduldig spielt, der mit dem Propagandachef verwechselt wird. Die nächste Versuchsanordnung ist auf dem Weg: Lutz Hachmeister und Michael Kloft haben im Film Das Goebbels-Experiment, der zunächst in die Kinos und dann ins ZDF kommt, auf jeden Kommentar verzichtet und lassen Udo Samel aus den Goebbels-Tagebüchern lesen.

Schmerzhafte Erzählungen

Sie setzen auf den mündigen Zuschauer, der die Historie selbst bewältigt, ohne überwältigt zu werden. Der Mythos Hitler ist nach 1945 offenbar so gründlich zertrümmert, der Dämon so nachhaltig entzaubert worden, dass die Deutschen andere Erzähl-Mythen brauchen, die das vermehrte, zerberstende Wissen über das "Dritte Reich" in Bildern und Geschichten einfangen.

Es scheinen schmerzhafte Erzählungen zu werden, denn wir selbst sind für sie verantwortlich und die Schuld für ihre Gestalt und Form können wir nicht auf andere schieben. In ihnen werden wir nicht nur Hitler und das "Dritte Reich" betrachten können, sondern auch uns und unser Verhältnis zu diesen Bildern.

Warum hat das Premierenpublikum dem Schauspieler Bruno Ganz in München und Berlin mit Ovationen gedankt? Hat er uns Hitler vom Hals geschafft oder ihn uns nah gebracht? Und wo war Hitler bis jetzt, wenn wir ihn nicht als Mensch haben sehen wollen?

Nach all dem Beifall war der Führer wieder ein einsamer Mann geworden. Bruno Ganz stand allein vor dem Kino und blickte nach innen. Ansprechen mochte ihn keiner.

Torsten Körner hat die Heinz-Rühmann-Biografie Der gute Freund sowie Die Geschichte des Dritten Reichs verfasst.

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