Das war die BRD (18):Der Dual-Plattenspieler

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Mein zweiter Dual-Plattenspieler war schleiflackweiß. Schleiflackzeit. Das Gegenteil von Deutscher Eiche.

ANDREAS NEUMEISTER

(SZ vom 18.04.2001) - Nochmal: Wir sind ein Haushalt ohne Plattenspieler gewesen. Wir sind ein Haushalt ohne Plattenspieler oder Tonbandgerät gewesen. Wir sind ein Haushalt mit einem Radio im Wohnzimmer und einem Radio in der Küche gewesen. Mutter hat ein Leben ohne Plattenspieler gelebt. Auch Vater hat ein ganzes Leben ohne Plattenspieler, ohne einen einzigen Tonträger gelebt. Vater, das muss man sich mal vorstellen, hat keinen einzigen Tonträger hinterlassen. Vater hat im Auto Verkehrsfunk gehört. Mutter hat in der Küche Verkehrsfunk gehört. Was vor Einrichtung des Verkehrsfunks war, weiß kein Mensch. Wann war die Ölkrise?

Am Ende war er Kult: der Dual-Plattenspieler. (Foto: N/A)

Wann war Sonntagsfahrverbot? Wann kam Kraftwerks "Autobahn" in Hitparaden und Charts?

Am Anfang war der Strom. Am Anfang war das Leben in Höhlen: Annette hatte ihren batteriebetriebenen Plastikplattenspieler mitgebracht, Waldi einen Stoß zerschundener Platten. Trunkenheit am Feuer. Vier Glamrock-Tage in diesen Sandsteinhöhlen oberhalb vom Fluss. Wo alles angefangen hat. Music to MakeLove by. Womöglich die entscheidendsten Tage meines Lebens.

Was war zuerst? Der Plattenspieler oder die Platte? Mein erster Plattenspieler war ein monophoner Kofferplattenspieler mit eingebautem Verstärker und einem Frontlautsprecher gewesen. Gleich der erste Plattenspieler war ein Einsteigermodell von Dual. Vater hatte ihn bei Elektro- Fröschl besorgt. Bei Elektro-Fröschl gab es über die Firma Prozente. Ich glaube, es war ein Geburtstagsgeschenk. Höchstwahrscheinlich war es ein Geburtstagsgeschenk. Schwarzes Gehäuse, abnehmbarer Deckel. Klein, aber Dual. Dual: der Mercedes unter den Plattenspielern. Dann eben ein kleiner Mercedes. Unverwüstlich. Ja, ein Geburtstagsgeschenk.

Was war zuerst? Die Single oder die LP? Erste Platten: "Spider" von T. Rex und "Machine Head" von Deep Purple. Die ersten beiden Platten wurden zusammen mit zahlreichen anderen Haushaltswaren bei Cash & Carry in der Landeshauptstadt erworben. Erst die dritte Platte wurde in der Kreisstadt gekauft: "Electric Warrior", wieder T. Rex. Single oder LP? Erste Single: "Black Dog" von Led Zeppelin. Singles fand ich immer reichlich teuer. Oft reichte es nur zu einer Single. Singles fand ich immer reichlich unpraktisch. Außer für Feste. Für Feste waren Singles ideal. Seltsam: Immer, kein Mensch weiß warum, waren es die Buben, die sich auf Partys um den Platz am Plattenteller schlugen. Plattenauflegen war Bubensache. Viel zu viele der Mädchen, fand ich, kümmerten sich überhaupt nicht um die Auswahl der Stücke, was deutlich schlimmer war, als sich hartnäckig für Jim Croce und Neil Young einzusetzen.

Schnell wurde klar, dass der eigentliche Plattenspieler des Koffersets gar nicht Mono war. Aus dem Tonkopf (Kristalltonabnehmer) kamen mehrere verschiedenfarbige Kabel. Schnell wurde klar: man brauchte meinen Plattenspieler nur aus seinem Koffer befreien, ihm eine Kiste bauen und ein paar Kabel umlöten, und schon hatte man einen akzeptablen Stereo- Plattenspieler.

Music To Flirt By

Music To Sleep By

Music To Watch Cars By

Music To Be Strangled By

Musik für Kinderzimmer

Musik für Jugendzimmer

Den zweiten Plattenspieler kaufte ich mir selbst. Magnettonabnehmer. Mein zweiter Dual-Plattenspieler war schleiflackweiß. Schleiflackzeit. Schleiflackweiß setzte sich am deutlichsten von allen Holztönen ab. Das Gegenteil von Deutscher Eiche. Wahrscheinlich war es gar kein Schleiflack, womöglich war es bloß eine matte Klebefolie, die über rauhen Preßspan geklebt war. Egal, wirklich egal. Weiß. Klasse. Mittelklasse: Hatte so um die dreihundert Mark gekostet. Antanzen lassen. Vortanzen lassen. Abtanzen lassen. Beim Dagmars November-Party gab es erwartungsgemäß Streit, bei fast jedem Fest gab es Streit darüber, wer die nächste Platte auflegen durfte. Die Partytauglichkeit des neuen Plattenspielers war bemerkenswert, durch eingebaute Transportschrauben war er ausgesprochen mobil, sein rauchgläserner Deckel abnehmbar. Dazu meine selbstgebauten Boxen. Trotzdem: immer hatte irgendwer einen stärkeren Verstärker. Egal, vollkommen egal.

Kopfhörermusik

Lautsprechermusik

Wenn der verstorbene Frank Sinatra der verstorbenen Marlene Dietrich als der Mercedes unter den Männern galt, dann war der Dual-Plattenspieler der Mercedes unter den Plattenspielern. Deutsche, quatsch, badenwürttembergische Wertarbeit. Dual Gebrüder Steidinger. Dual-Plattenspieler aus St. Georgen im Schwarzwald. Baden oder Württemberg? Es gibt badische und unsymbadische, sagen die Badenser und kleben diese, ihre Erkenntnis mitten auf ihre badische Stirn.

Der Plattenspieler als repräsentativer Einrichtungsgegenstand, der Plattenspieler als Designerwahnsinn, der Plattenspieler als audiophones Testlabor. Dual-Geräte galten als solide-modern. Sie waren nie hässlich, nie wirklich schön. Von ihnen durfte man keine futuristischen Designer- Höchstleistungen erwarten. Schade eigentlich. Dual klingt knapp und sachlich. Ich schere mich nicht allzu sehr um Marken, aber es gibt Dinge im Leben, die sollten absolut zuverlässig funktionieren.

DAF singen: "die lustigen stiefel marschieren über polen. die lustigen stiefel marschieren über polen. die deutschen kinder marschieren ein in polen. die lustigen stiefel."

Ohne Punk wären die bevorstehenden Achtziger unerträglich geworden. Ohne Techno wären die beginnenden Neunziger unerträglich geworden. Ein Leben ohne Plattenspieler stelle ich mir trist und öde vor. Ohne Plattenspieler, behaupte ich mal, wäre das mörderische zwanzigste Jahrhundert nie zu Ende gegangen.

Was hören Thorens-Käufer für Musik? Was hören Elac-Fans für Musik? Was hören Dual-Plattenspieler-Sammler für Musik und was berichten Sie auf Ihrer liebevoll eingerichteten Website? Die Firma Gebrüder Steidinger produzierte anfangs Federlaufwerke, was immer das sei (Schwarzwald - klingt fast automatisch nach Uhren), baute später Plattenspieler und holte 1937 für Nazi- Deutschland eine Auszeichnung auf der Weltausstellung in Paris. The hinterland: Nach dem Krieg diversifizierte Dual, baute auch fast sämtliche andere Phonokomponenten, verleibte sich den lokalen Konkurrenten Perpetuum Ebner ein (schon der klasse Name war den Preis sicher wert), um nach einigen Umsatz- Rekorden selbst von der französischen Firma Thomson übernommen zu werden. Die verkaufte bald an die labilen Schneider Rundfunkwerke, die wiederum den Namen Dual an Karstadt abtraten. Die virtuellen Dualfans zu einem der aktuell lieferbaren Karstadt-Plattenspieler unter dem heiligen Namen aus dem Schwarzwald: "Plastik-Schrott aus Fernost - lieber einen Gebrauchten kaufen."

Sister Sledge sagen: We're lost in music ...

Sister Sledge sagen: ... we're caught in a trap . ..

Sister Sledge sagen: ... there's no turning back.

Musik als Waffe. Normalerweise, geht das Gerücht, wurden Dual-Spieler von ihren Besitzern zum Abspielen von ECM-Platten eingesetzt. Meine beiden Dual-Plattenspieler selbst aber waren scheißliberal. Es scherte sie einen Dreck, was ich auf ihnen abspielte. Saul Williams sagt: I was raised on Public Enemy and cornflakes. Roundings per day, roundings per hour, roundings per minute. 33 Umdrehungen oder 45 Umdrehungen? Kein Mensch weiß, mit wievielen Umdrehungen sich eigentlich der CD-Player dreht. Kein Mensch weiß, mit wieviel Umdrehungen sich der Mini-Disc-Player dreht. Kein Mensch weiß, ob sich in einem MP3-Player überhaupt etwas dreht. Warum auch? Hauptsache läuft. Hauptsache läuft gut. Hauptsache klingt gut und läuft.

Roundings per decade: Irgendwann, nach zwanzig Jahren, war die Endabschaltung kaputt. Irgendwann steckte der Lifthebel nur mehr lose im schleiflackweißen Gehäuse, irgendwann ging der Deckel nicht mehr zu. Irgendwann wurden die Laufgeräusche endgültig unerträglich. Eines Tages wurde mir das alles zu blöd. Irgendwann kaufte ich mir einen CD-Player. Trotzdem brauchte ich weiterhin einen Plattenspieler. Es gab ja all diese großartigen Platten, die nicht einfach ausgemustert, die auch nicht einfach als CDs nachgekauft werden konnten. Es gab ja all diese geheimen Läden, die weiterhin so taten, als hätte Vinyl nie abgeschafft werden sollen. Und es standen dort aktuellere Tonträger als irgendwo sonst. Seltsam: noch nie habe ich so viele Vinyl-Tonträger gekauft wie seit dem Zeitpunkt, da es angeblich keine Schallplatten mehr gibt. Tatsächlich war mein Lieblingsplattenladen noch nie so randvoll mit pressfrischem Vinyl wie heute. Tatsächlich musste mein Lieblingsplattenladen vor drei Jahren ganz erheblich vergrößern. Tatsächlich ist mein Lieblingsplattenladen längst schon wieder zu klein. Gleichzeitig gibt es kaum mehr Plattenspieler zu kaufen. Nur mehr absolut indiskutables Klumpp, und das kommt für den Dauereinsatz nicht in Frage. Oder aber einige unverschämt teure High-End-Geräte. Warum dann also nicht gleich DEN Plattenspieler kaufen? Den Plattenspieler den ich nie kaufen wollte, weil mich der Kult um ihn immer nervte. Den Unaussprechlichen. Das todfotografierteste Objekt des letzten Jahrtausendjahrzehnts. Ein Klasse-Gerät, ich habe seinen Kauf nie bereut: der Ferrari unter den Plattenspielern. (Kommt aus Japan.) Hat mit Deutschland nichts mehr zu tun. Es gibt Dinge im Leben, die müssen einfach reibungslos funktionieren. Daneben steht jetzt ein kleines Mischpult und gerade überlege ich, ob ich den dreckig-weißen Dual an seine Seite stellen soll. Ein wenig umräumen - fertig.

So wie es aussieht, werde ich nichts als Tonträger hinterlassen.

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