Das ist nicht schön:Voyeurismus

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Shabby ist schäbig

Von Egbert Tholl

Seltsam, werden sich einige der in München ankommenden Flüchtlinge denken. Da haben sie unfassbare Mühen auf sich genommen, um dem Krieg zu entfliehen, kommen nun an im Land der Sehnsucht und vermeintlichen Sicherheit, und dann stellen sie fest, dass die Bewohner der Stadt, in der sie nun sind, in seltsamen Behausungen wohnen. In Syrien haben sie alles verloren, doch den Münchnern geht es offenbar auch nicht so gut. Die wohnen in abenteuerlichen Hüttchen, auf Verkehrsinseln, öffentlichen Plätzen, weil sie sich offenbar nichts anderes leisten können. Was die Tausenden Flüchtlinge kaum ahnen können: Das ist keine Verarsche, sondern die Hüttchen sind ein Projekt, und dieses trägt seine Schäbigkeit im Namen.

Dass "Shabbyshabby" von der Realität auf groteske Weise überholt wurde, ist der Kammerspiel-Unternehmung zunächst nicht vorzuwerfen; doch wäre es, wenn man sich als Stadttheater schon der Realität und weniger der Kunst verpflichtet fühlt, wunderbar gewesen, etwa die ehemalige Spielhalle den Flüchtlingen zu öffnen. Das könnte dann auch ganz cool "shabby" sein, und darin wohnen dürften Menschen, die sich München nun wirklich nicht leisten können.

"Shabbyshabby" ist ein wohlfeiler Reflex, was man schon daran merkt, dass das Projekt in Mannheim vor eineinhalb Jahren für das Festival "Theater der Welt" entwickelt wurde, mit der Realität von München zunächst also gar nichts zu tun hat. Damals konnte man etwa beim Frühstück im Hotel im Garten desselben eine Art Indianer-Zelt betrachten, das keineswegs dazu gedacht war, abenteuerlustige Kinder von Hotelgästen aufzunehmen, sondern auf die bis dato eher unbekannte Wohnungsnot in Mannheim hinwies.

In München hingegen muss man nicht in einem Hüttchen auf der Straße übernachten, um zu wissen, dass eine Wohnung innerhalb oder in der Nähe des Altstadtrings für Normalarbeitende unerschwinglich ist. Man braucht dies auch nicht tun, um die Stadt einmal ganz anders zu erleben; da läuft man besser herum, dann erlebt man mehr als im Schlaf. Die Erkenntnis, die das Projekt verspricht, ist schon vorher da. Doch bei "Shabby" ist sie verbunden mit dem Kitzel des Bürgertums, mal ganz tief unten, ohne Belästigung durch Theaterdiskurse, der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen. Danach geht man duschen und kann von irren Erlebnissen berichten, die das Degoutante des Sozial-Voyeurismus vergessen machen.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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