Das ist nicht schön:Fake als News

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Fragwürdige Flugblatt-Aktion des "Zentrum für Politische Schönheit"

Von Christiane Lutz

Wegen des großen Erfolges, das verkünden die Aktivisten, solle die Flugblattaktion um weitere vier Wochen verlängert werden. Die Kammerspiele wissen davon nichts. Aber das macht nichts, denn wahrscheinlich ist diese Ansage sowieso nicht echt. So wie so wenig echt war an "Scholl 2017", dem Projekt des "Zentrum für Politische Schönheit", das seit Montag an den Kammerspielen ausgetragen wurde. Viel Geheimniskrämerei gab es im Voraus, keiner, nicht einmal die Kammerspiele selbst, durfte wissen, worum es eigentlich geht. Das "Zentrum für politische Schönheit" aber ist bekannt für öffentlichkeitswirksame, radikale Kunstaktionen. Für "Die Toten kommen" wurden gar die Leichen ertrunkener Flüchtlinge in Berlin feierlich begraben. Große Erwartungen also.

Dann die Enthüllung: "Scholl 2017", eine als Bildungsinitiative gestaltete Gedenk-Aktion an die Geschwister Scholl, bei der Menschen zwischen 14 und 24 Jahren aufgefordert waren, ein Flugblatt an eine "Diktatur ihrer Wahl" zu verfassen. Die Gewinner, also die, die den ergreifendsten Text schrieben, dürften dann in die Diktatur reisen und ihre Flugblätter dort verteilen. Als Trostpreise waren Fidget Spinner und Netflix-Abos angekündigt. Die Webseite gab sich pädagogisch und hoch offiziell: Unter einer Bayerischen Flagge prangten erfundene Grußworte von (Innenminister) Joachim Herrmann und (Kunstminister) Ludwig Spaenle, noch weiter unten forderten Fotos mit Namen - vermeintliche Schüler - dazu auf, für sie und ihr Flugblatt zu stimmen.

Zwei Tage lang gingen die Künstler mit ihrer Bildungsoffensive aber tatsächlich an Münchner Schulen und die Universität, sprachen Schüler an, ließen sich von Rektoren verjagen und gerieten auf der Kaufinger Straße mit der Polizei in Streit, weil diese die Aktion für fragwürdig hielt. Am Donnerstag dann wurden die Gewinner in den Kammerspielen gekürt. Bei einer als Schulstunde inszenierten Gesprächsrunde saßen vermeintliche politische Flugblattschreiber mit vermutlich echten "Experten" zu den jeweiligen Diktaturen auf der Bühne, über der mit riesigen Buchstaben die Worte "Tyrannen Mord" hingen, was niemanden zu stören schien.

Man verliest also vermeintlich eingereichte Flugblätter, entworfen für Syrien, die Türkei, Saudi-Arabien. Die Künstler des "Zentrums für Politische Schönheit", dessen Kerngruppe stets an schwarzer Farbe im Gesicht zu erkennen ist, geben sich betroffen und nötigen die Diskussionsteilnehmer, auf Fragen wie: "Ist der Tyrannenmord ein legitimes Mittel?" zu antworten. Spätestens an der Stelle wird die Veranstaltung fragwürdig. Denn hier mischt das Kollektiv bewusste Inszenierung mit den echten Anliegen echter Menschen. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass allen Teilnehmern der Runde bewusst ist, was genau das "Zentrum für Politische Schönheit" ist, dass niemand in irgendeine Diktatur geschickt werden soll und es gar nichts zu gewinnen gibt. So erzählt eine niederbayerische Politikerin von ihrer Betroffenheit über den Syrienkrieg und wird unterbrochen. Student Jonas berichtet beherzt von seiner Kindheit in einer hinduistischen Sekte und dass er jetzt sein Leben in Nordkorea aufs Spiel setzen würde, um den Menschen dort zu helfen. Wenn hier wissentlich das Anliegen eines jungen Mannes für eine Fake-Aktion ausgestellt wird, ist das keine Kunst und keine politische Aufrüttelungsaktion, sondern Zynismus. Letzte Hoffnung: Dieser Jonas möge doch eingeweiht und damit ebenfalls Fake sein. Aber was bliebe dann?

Es kann kaum im Interesse eines Künstlers sein, dass sein Publikum ihm misstraut, dass es an Fragen hängen bleibt wie: Wer von den Gästen ist Teil des Kollektivs? Sind die Flugblätter überhaupt von echten Schülern verfasst? Und wären sie es nicht, schmälerte das ihre Botschaft? Diese Verwirrung verhindert eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Themen, die angeblich im Vordergrund stehen sollen: Widerstand gegen Diktaturen in der Welt, das Bewahren des Erbes der Geschwister Scholl, Politisierung der vermeintlich verschnarchten Generation Y. Am Ende siegt das Misstrauen. So spielt es auch keine Rolle, dass die Aktivisten auf Twitter am Freitagmorgen schreiben: "Flugblatt gegen Diktator Erdoğan über 1000 mal am Gezi-Park in Istanbul verteilt." Glaubt man eh nicht. Denn wo alles ein Fake sein könnte, gibt es nichts Echtes mehr. Das ist doch nicht schön.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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