Das Internetvideo der Woche:Rauchender Stolz

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Totentanz für den Sargnagel: Raucher trauen sich heute kaum mehr in die Öffentlichkeit. Bei Steve McQueen oder Scarlett Johansson ist das noch ganz anders - filterlose Fluppenromantik.

Christian Kortmann

Man sieht sie heute in gedrängten Grüppchen auf zugigen Balkonen oder isoliert vor Haustüren stehen, von privaten wie öffentlichen Verboten nach draußen gezwungen: Zigarettenraucher, die sich mit dem Tabakgeschmack und dem sanften Rausch des Nikotins an einen Ort träumen, an dem Pferde immer noch frei herumgaloppieren, werden vom positivistischen Zeitgeist in Reservate für bemitleidenswerte Kreaturen gepfercht. Ihre inkriminierte Nikotin-Dosis müssen sie sich zwischendurch an eigens ausgewiesenen Rauch- oder (noch) gesetzlosen Orten verabreichen. Mit "Wides"-Formaten folgt die Industrie diesem Trend und bietet Zigaretten an, die sich schneller inhalieren lassen. Da das Rauchen räumlich und zeitlich also immer stärker an den Rand gedrängt wird, blicken wir noch einmal auf filmische Verherrlichungen der blauen Stunden.

Einstmals, wie in Steve McQueens Viceroy-Werbespot aus dem Jahre 1958, war das Rauchen mitten in der Gesellschaft zu Hause. McQueens Filmfigur raucht in der Fiktion, und der Schauspieler raucht auf dem Set. 58 Prozent der männlichen und 36 Prozent der weiblichen US-Bevölkerung über 15 Jahren rauchten und kauften damals 15.000 Zigaretten pro Sekunde. Es war die Ära des totalen Qualmens: Im Film macht Steve mit Zigarette eine bessere Figur; persönlich hilft sie ihm, zu entspannen und fit an die Arbeit zu gehen. Die gesundheitsgefährdende Wirkung war noch nicht das vorherrschende Element im Zigarettenimage, und der Western-Titel "Wanted Dead Or Alive" entfaltete im Zusammenhang mit Tabakwaren noch keinen Zynismus.

Rauchen ist aber auch bei McQueen nicht mehr völlig naiv, sondern wird als bewusst-souveräner Genuss verkauft. Gerade war die Öffentlichkeit von einem bösen Verdacht erschüttert worden: Man raunte von einem Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebserkrankungen, worauf die Industrie mit der Einführung von "gesunden" Filterzigaretten reagierte. McQueen präsentiert die Zigarette in seiner rechten Hand wie auf einem Podest. Er stellt Distanz zu diesem Accessoire her, dessen Wirkung er als Erfolgsmensch bewundert: "A Thinking Man's Filter; a Smoking Man's Taste". Ein wünschenswerter Kreislauf: Die Zigarette hilft beim Denken und begründet sich als kluge Wahl selbst.

Drei Jahrzehnte später erzählt man vom Rauchen ganz anderes: Fische werden in den Himmel gesaugt, zwei Männer tanzen einen seltsamen Tanz um Funkenflug und Wasser an einer kleinen Tankstelle - das Leben ist eine rasch abbrennende Zigarette. David Lynch, der Regisseur mit dem Hang zur Verrätselung, reagiert in seinem Parisienne-Werbespot auf die eindeutig gegen das Rauchen sprechende Faktenlage, indem er den Clip im Irrationalen ansiedelt. Es lässt sich nicht ändern, so vermittelt die rückwärts laufende Dramaturgie, das Ende steht ohnehin fest. Für Rationalisten gibt es keinen Grund zu rauchen; Irrationa- und Surrealisten können sich ruhig mal eine Fluppe anzünden.

Deshalb sei auch Sabine Bätzing Lynchs Webespot empfohlen: Unlängst beschwerte sich die Drogenbeauftragte der Bundesregierung nämlich darüber, dass im deutschen Fernsehen zu viel geraucht werde. Verböte die staatliche Prävention alle Bilder, die der Volksgesundheit abträglich sind, schösse sie übers Ziel hinaus. Es gehört zu einer aufgeklärten Gesellschaft, Widersprüche auszuhalten, wie eben auch jenen, dass sich trotz erwiesener Schädlichkeit Menschen bewusst für ein Leben mit ihrem Laster entscheiden.

Vielleicht liegt beim Rauchen die Wahrheit ausnahmsweise in der Mitte: Am besten scheint es zu sein, eine Zeit lang geraucht und rechtzeitig aufgehört zu haben. Denn Nikotin ruft gewisse luzide Geisteszustände hervor, an die man sich gerne erinnert, ohne deshalb rückfällig zu werden. Aus solch einer Ex-Raucher-Nostalgie heraus hat der amerikanische Schriftsteller Billy Collins das Gedicht "The Best Cigarette" geschrieben, das er in einem von David Vaio kongenial animierten Clip rezitiert.

"The Best Cigarette" ist eine Hymne über das Zigarettenrauchen. Collins beschwört seine schönsten Qualmmomente, die der Clip eindrucksvoll in Worte und Bilder fasst: Die goldenen Punkte der postkoitalen Zigaretten werden zu einem Schiff auf dem nächtlichen Ozean, ein Frauengesicht taucht im Nikotinnebel auf - die bewusstseinserweiternde Droge öffnet Pforten der Wahrnehmung. Vor allem schätzt Collins den Tabak als Treibstoff, er macht den Denker zur Lokomotive seiner selbst: "Das Signal, das dem 19. Jahrhundert anzeigte, dass es sich vorwärts bewegt." So fährt der Dichter durch den Text, den es zu erschaffen gilt wie Gleise für die Eisenbahn.

Als Zuschauer liest man Bedeutungen in die Rauchschlieren hinein: Der Clip "The Best Cigarette" vermittelt das kurze transzendente Hochgefühl des Nikotinrausches, in dem wenige Momente lang ein anderes, entgrenztes Leben möglich scheint. Wir wissen zwar, dass Zigaretten uns einfach nur fertigmachen, denken aber wehmütig an die blauen Augenblicke des filterlosen Wohlgefühls zurück.

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