Das Internetvideo der Woche:Komm, wir gehen Atompilze sammeln!

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"Nun bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten": Wenn die nukleare Bedrohung zum Bildergewitter wird - Atombombentests in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Für ihre Fähigkeit, selbständig die eigene Art auslöschen zu können, hat sich die Menschheit bei den Darwin-Awards - die alljährlich Individuen auszeichnen, die sich durch besondere Dummheit selbst eliminieren - den Sonderpreis für das Lebenswerk verdient. Das globale Atomwaffenarsenal dürfte auch Außerirdischen Respekt einflößen und einen Schauer über die grünen Nubbel-Rücken jagen, also ein Grund dafür sein, dass sie so selten vorbeikommen.

Ähnlichen Gedanken hing wohl auch der 35-jährige User mikekiniry nach, als er irgendwo in den USA in seinem Kämmerlein vorm Computer saß und keinesfalls die Zeit im Netz vertrödelte, sondern produktiv und erkenntnisorientiert etwas auf die Beine stellte. Und zwar den Clip "Nuclear War" - verschwimmend wie eine Vision und zugleich markant taucht der Titel auf dem stillen schwarzen Bildschirm auf.

Gratulation, wir säßen auf einem Logenplatz für einen der größten Momente der Wissenschaftsgeschichte, begrüßt uns ein Militär in schmucker Khakiuniform, und schon setzt der Beat ein. Wir sehen eine Slideshow von Atompilzen, dann singt eine Männerstimme "Nuclear War" und wiederholt den hypnotischen Text "Talkin about (yeah) / nuclear war / it's a motherfucker, / don't you know. / If they push that button, / your ass gotta go."

Es handelt sich um Sun Ras Song "Nuclear War" aus dem Jahre 1982, der auch nach 25 Jahren leider sehr tagesaktuell klingt: Seit die Atombombenidee in der Welt ist, taucht sie als Option immer wieder auf. Sun Ra nennt die Atombombe einen "Motherfucker", personalisiert sie also mit einem gängigen Schimpfwort und sagt flapsig, wenn der Knopf mal gedrückt werde, "your ass gotta go": Im Kontrast von Straßensprache und dem Ausmaß der tatsächlichen Wirkung der Bombe wird ihr Schrecken umso anschaulicher und realer.

Ganz ähnlich arbeitet mikekiniry historisch-naives Dokumentationsmaterial des US-Militärs, das einst zur Beruhigung und Aufklärung über die A-Bomben-Technologie gedacht war, für die Gegenwart auf: Die Zündung vollzieht sich im Kopf des Zuschauers, der versteht, dass wir von solch ungeheuren Szenarien reden, wenn es um die nukleare Bedrohung geht.

Denn das ist ja so unfassbar wie der Sternenhimmel und die Vorstellung, dass die Menschheit auf einer abgeflachten Kugel durchs All schwebt: Was passiert, wenn über mir eine Atombombe zündet? In der weltpolitischen Diskussion - Iran, Nordkorea - bleibt die atomare Bedrohung abstrakt. Wie gewaltig diese Gefahr ist, davon kann man sich nur durch das Auffrischen der bildlichen Vorstellung überzeugen. "Spent an afternoon/evening downloading vids off the internet - then found a song to put with it all. music by sun ra", schreibt mikekiniry über die Entstehung seines Clips. Die kleinste denkbare Einheit, ein Einzelner, macht sich den GAU der gesamten Menschheit zum Anliegen und präsentiert sein filmisches Argument im Netz.

Wie Paul Hardcastle in seinem 80er-Jahre-Vietnamkriegs-Song "19", sampelt mikekiniry dokumentarische Originaltöne in die Tonspur. Am beeindruckendsten gelingt dies mit den berühmten düsteren Worte, die J. Robert Oppenheimer, Leiter des Manhattan-Projekts, aus der hinduistischen Schrift "Bhagavad-Gita" zitierte, als er sich an den Moment erinnerte, in dem am 16. Juli 1945 Trinity, die erste A-Bombe der Welt, gezündet worden war: "Nun bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten." Welch ein Kontrast zur Vorfreude und schutzanzugslosen Neugier, mit der am Anfang des Clips auf Kontrollmonitore geblickt und durch Ferngläser dem Atomtest entgegengefiebert wird.

Die Bilder vom zerstörten Hiroshima stehen für die rückblickende Weisheit der Geschichte: Wäre dieser Blick in die Zukunft möglich gewesen, hätte Oppenheimer die Bombe vielleicht niemals gebaut. Der Dank an die USA in den Credits ist sarkastisch: Atomtestbilder sind ja toll - schreckliche Schönheit künstlicher Sonnen - aber waren die Taten, die sie dokumentieren, überhaupt nötig?

Im Clip "Nuclear War" werden bekannte Materialien virtuos verbunden - die ganze Wahrheit über die Bombe in vier Minuten, inhaltlich und formal: Die grell überstrahlten Bilder sind wie ein letzter Blitz, der die Augen öffnet; das helle Zucken passt zu Sun Ras Mantra "Radiation, mutation" - Verstrahlungsgefahr.

Genau deshalb trägt man heute zwar Schutzanzüge, aber mit der atomaren Option wird immer noch naiv und leichtfertig hantiert. In Song und Clip herrscht die konstante Spannung eines Countdowns, zum Schluss wird der Bildschirm nicht grundlos schwarz: An pessimistischen Tagen kann man darin das Ende des Countdowns sehen, in dem die Menschheit sich befindet.

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