Das Festival auf Autopilot:Standardsituationen

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Das Festival von Venedig tuckert ruhig im Normalbetrieb und bringt eine Ehrung für Omar Sharif und dann die Filme von Coppola und Trotta.

SUSAN VAHABZADEH

Wenn es kein Kino gäbe, würde es irgendwen interessieren, ob Salma Hayek mit ihrem neuen Liebhaber Josh Lucas an der Promenade des Lido flaniert? Vielleicht würde sich jemand nach ihr umdrehen und bemerken, dass sie schön ist; aber die Magie ist im Kino entstanden, ohne "Frida" oder "Desperado" oder "Once Upon a Time in Mexico" wäre sie eben nur eine schöne Frau auf einem Spaziergang.

Ein Trend? Seit der Britney-Madona Numer kommen sich Showbiz-Frauen auf öffentlichen Plätzen immer öfter sehr nahe. Hier Katja Riemann und Maria Schrader, die in Margarethe von Trottas "Rosenstraße" mitwirken. (Foto: Foto: dpa)

"Frida" hat auf der anderen Straßenseite, in einem der Kinosäle erstmals seinen Zauber entfaltet, im vorigen Festivalsommer. Das Schönste an Filmfestivals ist vielleicht, dass die Filme, die man dort zu sehen bekommt, noch rein und unbefleckt sind - wie eine Schneekugel, die einen Berg hinunterrollt, und bei jeder Vorführung bleibt ein wenig haften, Erwartungen, Sehnsüchte, erfüllte und unerfüllte Hoffnungen. Bei den großen Festivals aber treffen sie noch im Stand der Unschuld auf ihr Publikum, können Emotionen wecken, die keiner im Saal erwartet hat. Und manchmal sogar bei einem, dem der Film auf der Leinwand ganz nah ist - für Sir Anthony Hopkins zum Beispiel, der zum ersten Mal bei der Mostra dabei ist, war die Vorführung der Philip-Roth-Verfilmung "Der menschliche Makel" so neu wie fürs restliche Publikum, er hat sich hier seine eigene Arbeit zum ersten Mal angesehen. Eine Geschichte von einer Verkehrung von political correctness in ihr Gegenteil hat Philip Roth erzählt, Hopkins spielt unter Robert Bentons Regie den Collegeprofessor, der wegen eines Rassismus-Vorwurfs scheitert, der eigentlich Selbsthass ist. Der "Makel" ist eine intellektualisierte, zeitgemäße Version von Sirks "Imitation of Life". Nicole Kidman, die fürs Festival absagen musste, spielt eine junge Frau, die auf der Flucht ist vor sich selbst und vor ihrer Vergangenheit, und in die sich der alte Mann verliebt.

Die Romanvorlage ist weltweit bekannt, der Film läuft außer Konkurrenz, und so schön es auch ist, wenn Anthony Hopkins im Publikum sitzt: Ein Festival braucht dieser Film eigentlich nicht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Es gibt aber auch wirkliche Entdeckungen hier zu machen - Sofia Coppolas "Lost in Translation", der in der Reihe Controcorrente läuft, ist so ein Fall, Kino ohne die Suche nach dem Exzess. Francis Coppolas Tochter hat schon mit ihrem Erstling "Virgin Suicides" Hoffnungen geweckt, diesmal ist sie etwas lockerer und witziger, hat leichter inszeniert ohne auch nur das kleinste Quentchen Schwermut dabei einzubüßen.

Auch hier geht es um alte Männer und junge Frauen, nur hat Coppola dann doch mehr Gefühl für die Schwierigkeiten einer solchen Beziehung, den Schwebezustand des Unmöglichen. Bob (Bill Murray), ein alternder Schauspieler kommt nach Tokio für einen hochbezahlten Whisky-Werbespot, und was er dort erlebt, ist eine Verlängerung der Japan-Episode aus John Irvings Roman "Die vierte Hand" - eine Aneinanderreihung absurder Begegnungen mit sehr höflichen Menschen, mit denen keinerlei Kommunikation möglich ist. Coppola sind eine Reihe sehr komischer Szenen gelungen - wenn der Regisseur , beispielsweise extensiv rumbrüllt und die Dolmetscherin immer nur übersetzt: Schauen Sie in die Kamera. Aber die Komödienelemente sind nur Transportmittel für die sehr traurige Geschichte einer Liebe, die ohne dieses merkwürdige Umfeld nie entstanden wäre und die nie übersetzbar wäre in den Alltag. Bob, in einer Midlife-Crisis gefangen, einer Ehe, die er mehr der Kinder wegen aufrechtzuerhalten scheint, lernt im Hotel eine junge Frau kennen. Charlotte (Scarlett Johansson) fühlt sich genauso verloren wie er, versteht ihren Mann nicht und nicht sich selbst. In der Fremde wird aus der jugendlichen Orientierungslosigkeit und der Midlife-Crisis eine Gemeinsamkeit. Die beiden streben aufeinander zu, aber sie kommen nie an. Einmal liegen sie nebeneinander im Bett, komplett angezogen, sie zusammengekuschelt und er ausgestreckt, und er greift nach ihrem Fuß, eine unendlich zärtliche Geste von Nähe und Distanz zugleich.

Soviel Sinn für ruhige Details würde man Margarethe von Trottas "Rosenstraße" wünschen - statt dessen hat sie sehr dick aufgetragen. Der deutsche Wettbewerbsbeitrag wurde vom internationalen Publikum mit sehr verhaltenem Applaus aufgenommen, als gelungen kann man den Film auch kaum bezeichnen. Die Rahmenhandlung wirkt hölzern, Maria Schrader spielt eine gebürtige New Yorkerin, die dauernd aufgesetzt ins Englische fällt, und auch noch mit deutschem Akzent. Die Geschichte von den arischen Frauen, die ihre jüdischen Männer aus dem Gefängnis in der Rosenstraße freipressen, ist historisch angreifbar, und menschlich sowieso: Der Film kommt daher, als seien die Frauen treu bis zur Selbstaufgabe gewesen, während Männer in Mischehen ihre jüdischen Frauen sitzen ließen. Die Frage, was aus den Frauen wurde, die dort gefangen saßen, will "Rosenstraße" dann lieber gar nicht beantworten. Größere Chancen auf einen der Preise dürfte der Film nicht haben.

Omar Sharif hat, als er am Freitagabend seinen Ehrenlöwen entgegennahm, die Sentimentalität von "Doktor Schiwago" bemängelt - "Lawrence von Arabien" sei wohl doch der größere Film. Nichts gegen Lawrence, aber gerade das Sentimentale liegt Sharif besonders gut, und gerade das konnte er auch seinem neuen Film "Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran" mitgeben, der Sharif zu Ehren gezeigt wurde. Sharif, der alte Prinz, spielt hier mit einer bezaubernden Leichtigkeit - als sei ihm alles egal, als ginge es um nichts mehr außer ums Spiel an sich, und so gut wie als "Monsieur Ibrahim" war er schon lange nicht mehr. Die Geschichte, die François Dupeyron inszeniert hat, ist ein Melo: Moïse, ein jüdischer Junge im Araberviertel von Paris, freundet sich mit einem alten Ladenbesitzer aus der Türkei an, wird nach dem Selbstmord seines Vaters sogar dessen Adoptivsohn. Die Geschichte verläppert sich gegen Ende, wenn sich die beiden zu einer Reise in Monsieur Ibrahims Heimat aufmachen. Aber alle Fehler dieses Films sind vergeben für einen Blick von Omar Sharif, für jene Momente, da sich die Kamera seinem Gesicht nähert - ein alter Mann, aber wenn er die Lider hebt, sieht man in die Augen des jungen Omar Sharif, und sie erzählen Geschichten von Doktor Schiwago und Nicky Arnstein und alten Zeiten und durchzechten Nächten. Das ist sozusagen der umgekehrte Hayek-Effekt: Ist schon richtig, die Menschen, die von den Leinwänden hinabsteigen, wären nicht dieselben ohne das Kino. Aber in manchen Augenblicken wäre das Kino ohne diese Menschen nichts.

© SZ v. 01.09.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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