Damals und heute:Hart wie Pusteblumen

Lesezeit: 2 min

Sido möchte nicht mehr provozieren, Aufmerksamkeit bekommt er ohnehin

Von Michael Zirnstein

Komiker und Kinder sagen die Wahrheit, heißt es. Insofern war es mutig von Sido, sich im Intro seines neuen Albums "VI" von Teddy Teclebrhan vorstellen zu lassen. 28 Millionen mal ist dessen Internetclip geklickt worden, in dem er als Straßenlümmel in einer Umfrage einen Bundeskanzler namens "Angelo Merte" nennt. Jetzt also zu Sido: "Ich habe einen strebenden Künstler hier. Damals mit ,Mein Block' hat der Single-Charts gestürmt . . . Damals war der bissele dumm, jetzt isser ältere geworde, is imma noch a bissele dumm, aber nett, von de Mensch her." Ja, so könnte man Sidos Quantensprung zusammenfassen, seit er vor elf Jahren mit "Mein Block" den deutschen (Möchtegern-)Gangsta-Rap von Aggro-Berlin in die Bravo und die Kinderzimmer brachte.

Ganz so simpel ist es natürlich nicht. Denn Sido ("Scheiße in dein Ohr") war ja damals schon clever. Nur dass der böse Mann mit der Chrom-Maske, der stänkerte, Drogen nahm, Idiotisches über Analsex und Frauen rappte, dass der eine Hip-Hop-Kunstfigur war, das begriffen viele Fans und Kritiker nicht, und vielleicht er selbst auch nicht. Das Spiel Gangsta-Rap war eben neu im Land, und viele, auch die Künstler, nahmen es ernst.

Keine Frage, dieser Paul Würdig hatte Armut und Härte zwischen den Plattenbauten des Märkischen Viertels in Berlin erlebt, nur nicht so krass, wie er reimte. Sein Ziel war es, wie die amerikanischen Vorbilder aus dem Ghetto zu kommen, sein Fahrschein war das präpotente, flegelhafte Auftreten. Doch schon 2007, als man ihn noch beim Leipziger Stadtfest auslud, legte er die Maske ab, zeigte sein freundliches Gesicht, erklärte sich nur noch von Nasenspray abhängig, trennte seine Kunstsprache von der Erziehung seines Kindes daheim: "Da will ich nicht mal ,Scheiße' hören." Sido kungelte mit der SPD, wurde Juror bei "Popstars" und nahm ein wohltönendes MTV-unplugged-Album auf: "Weil ich da zeigen wollte: Hip-Hop ist Musik, Leute."

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(Foto: Oliver Berg/dpa)

Ying und Yang: Die Gesichtspartien, die Sidos Maske früher freiließ,...

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(Foto: Henning Kaiser/dpa)

...bedecken heute Sonnenbrille und Vollbart.

Heute ist Sido da, wo er immer hinwollte. Der "Endboss ist besiegt", wie er sagt. Er wohnt mit Frau und Kindern in einem Häuschen in der Vorstadt, mit einer Einlieger-Wohnung für die Mama, das war das Ziel. Er könnte sich eine größere Villa leisten, sagt er, er wolle aber nichts Unsinniges, stattdessen rappt er mit Straßenkämpfer-Attitüde gegen den "Frust der Reichen". Und sein Geld - das er etwa mit der Nummer-eins-Single "Astronaut" mit Andreas Bourani verdient, den er vor acht Jahren im Studio von Peter Maffay in Tutzing kennengelernt hat - investiert er in Freunde mit Ideen, in München etwa in den Tattoo-Laden seiner Schwester an der Kapuzinerstraße und in einen Hip-Hop-Club in einer ehemaligen Schwulensauna an der Müllerstraße, der bald als "Nachtbad" eröffnen soll.

"Zu nett für das Ghetto und zu Ghetto für die Spießer", rappt er, er steht irgendwo dazwischen und kann als besorgter Familienvater gegen alles Bedrohliche ankämpfen: Gotteskrieger, Flüchtlingsleid, Umweltzerstörung, T-Shirts aus der dritten Welt. "Ich bin nicht gläubig, aber ich glaube, wir sind alle am Arsch." Dabei drückt er sich auf "VI" - bis auf das Stück "Eier" vielleicht - nicht vulgär aus. "Ich muss nicht mehr provozieren, das war früher ein Stilmittel, das brauchte ich, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Die habe ich heute eh." Er brauche auch nicht mehr für die Jugend rappen: "Das wirkt doch lächerlich, wenn ich mich mit den Problemen der 20-Jährigen befassen, wenn das überhaupt Probleme sind."

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Mit Mitte 30 macht Sido besorgten, immer noch großmäuligen Hip-Hop für Erwachsene, der sich bisweilen fast kindlicher Bilder zwischen Pur und Peter Lustig bedient: "Gott, vergib uns, weil wir böse war'n / Auf der Straße aufgewachsen, wie Löwenzahn / Wenn du 'ne gelbe Blume siehst, die den Zement durchbricht / Dann denk an mich, änder' dich / Wir kämpfen, bis wir irgendwann mal Pusteblumen sind / Und wir warten auf den Wind."

Sido , Mittwoch, 11. November, 20 Uhr, Zenith, Lilienthalallee 29

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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