Computersoftware:Großmutters Regel in der Welt von Linux

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Aufgemerkt: "Für die Menschheit wäre es besser, wenn es keine Software-Patente gäbe" - ein Gespräch mit dem Linux-Kenner Michael Kofler.

Interview: Bernd Graff

Die Stadt München hat beschlossen, alle ihre Verwaltungsrechner, es sind an die 14 000, mit dem freien Betriebssystem Linux auszustatten. Doch dabei scheint es Probleme zu geben. Wir fragten Michael Kofler, einen intimen Linux-Kenner und Autor gewichtiger Bücher zum Thema, was hinter der Einführungsverzögerung steckt und was es überhaupt mit dieser merkwürdigen Open-Source-Bewegung auf sich hat.

SZ: Wer kaum etwas über Linux weiß, hat aber wohl schon Folgendes gehört: Linux ist kostenlos - und es genügt professionellen Ansprüchen. Da steigt jeder normalsterbliche Konsument dann aus. Denn das widerspricht den Gesetzen des Marktes. Meine Oma etwa wusste: "Was nichts kostet, ist auch nichts." Kofler: Das stimmt ja so nicht. Etwas ist nicht automatisch besser, nur weil man dafür bezahlen muss. Das könnte auch eine Regel Ihrer Großmutters sein. Auf Software und Betriebssysteme trifft sie definitiv zu.

SZ: Verstehen tut man es trotzdem nicht. Warum sollte - erstens - jemand die Erstellung eines Computerprogramms in Angriff nehmen, wenn er weiß, dass er dafür nichts bekommt? Und warum sollte - zweitens - die so entstandene Arbeit womöglich noch besser sein als diejenige, die ein bezahlter Kollege in einem großen Firmenteam geleistet hat? Kofler: Zum einen: Auch Programmierer von Freier Software arbeiten selten allein. Im Gegenteil: Die Entwicklung von Offenen Programmen geschieht mehr denn je in dicht vernetzten Gruppen. Man arbeitet darin zwar ohne Firmen-Organigramm, aber äußerst effizient an einer gemeinsamen Aufgabe. Denn weil ja alle Codes offen liegen, kann jeder die Fehler im System auch korrigieren. Unterm Strich kommen - zweitens - wesentlich kürzere Evolutionszyklen für Freie Software als für kommerzielle Produkte heraus. Dort ist der Nutzer ja dazu verdammt, auf Patches, Updates und neue Versionen der produzierenden Firma zu warten. Das Konzept der Open Source geht ja auch auf: Erstmals gibt es mehr Rechner, auf denen Linux installiert ist, als solche mit dem Betriebssystem von Apple-Macintosh.

SZ: Klingt gut. Aber das erklärt immer noch nicht, warum sich Menschen überhaupt freiwillig in die Arbeit stürzen. Kofler: Da sind selten Idealismus oder Blauäugigkeit im Spiel. Sicher, es gibt Programmierer, die mit ihrer Arbeit die Welt revolutionieren wollen oder Monopole brechen - oder einfach nur gelobt werden wollen. Es gibt dazu den Wunsch, sich über das Engagement in der Open-Source-Bewegung einen Namen zu machen. Die Mitarbeit an einem gut funktionierenden Programm ist ja der eindrucksvollste Nachweis einer Jobqualifikation. Daneben gibt es aber auch rein kommerzielle Interessen. Große Firmen wie IBM oder Sun leisten sich eigene Abteilungen und investieren viel Geld in die Entwicklung Freier Software.

SZ: Man verdient nichts und gibt auch noch Geld dafür aus? Kofler: Die kommerzielle Nutzung der Programme ist ausdrücklich erlaubt. Firmen können über Linux ihren Service als Dienstleistung verkaufen. Ein Statut der Open-Source-Bewegung wie die "GNU Public License" schreibt aber verbindlich vor, dass jede Entwicklung, die auf Grundlage von Freier Software erfolgt ist, der Entwickler-Gemeinschaft wieder zur Verfügung gestellt werden muss. Verstöße dagegen sind in Deutschland sogar justiziabel. Ich gebe mal ein Beispiel für die Wendungen einer so entstehenden Software-Evolutionsspirale. Da gibt es etwa das Programm "StarOffice". Es wurde 1999 von Sun für 73,5 Millionen Dollar übernommen - und im Quellcode der Open-Source-Gemeinde übergeben. Die entwickelte daraus die nun per definitionem freien Office-Anwendungen der "OpenOffice.org".

Sun nahm dann dieses runderneuerte Paket wieder unter seine Fittiche und bietet es seitdem in Kombination mit anderen Produkten in Lizenz an. Daneben gibt es jetzt aber auch das freie "OpenOffice.org", das inzwischen fast allen Linux-Paketen kostenlos beiliegt und ein echtes Argument für den Umstieg auf Linux ist. Weil es sich fast genauso bedienen lässt wie die kommerzielle Office-Lösung eines bekannten anderen Anbieters.

SZ: Dieser "andere Anbieter" Microsoft wirbt gerade in ganzseitigen Anzeigen mit der Frage: "Trägt Linux zu niedrigeren TCO bei?" Das Kürzel steht für "Total Cost of Ownership" und meint die Kosten, die insgesamt für Anschaffung, Wartung und Gebrauch eines Produktes anfallen. Die seien - so die Kampagne - für Linux nicht niedriger als für Microsoft-Produkte. Kofler: Ich bezweifle den Wert solcher Berechnungen. Zeigen Sie mir eine einzige Studie, in welcher der Kostenfaktor "Sicherheitsmängel und Ausfall durch Viren" für die TCO des Betriebssystems Windows realistisch quantifiziert wäre!

SZ: Dennoch muss man in München anscheinend kalte Füße bekommen haben. Der Ankündigung, die etwa 14.000 Verwaltungsrechner auf Linux umzustellen, folgte die Meldung, dass das so genannte "LiMux-Projekt" erst einmal gebremst werde. Der Grund: Man fürchtet unabsehbare Folgekosten und "unkalkulierbare Risiken durch die Verabschiedung der Software-Richtlinie des EU-Rates". Was soll das nun wieder? Kofler: Dabei geht es um die Frage, ob man Programme patentieren und mit Urheberschutz versehen lassen kann. In einem erweiterten Sinn geht es sogar um die Patentierbarkeit bloßer Ideen. In den USA gibt es auf so etwas bereits Patente: Dort kennt man den Urheberschutz schon für nicht konkret vorliegende Codes. Man kann dort eine Geschäftsidee urheberrechtlich geltend machen. Ein Beispiel hierfür ist das Patent auf die "Bestellung mit einem Mausklick", das der Online-Buchhändler Amazon hält. Wenn ein anderer auf die Idee kommt, in seinem eigenen Online-Shop mit einem Klick zur Kasse zu bitten - und sei es mit einer ganz eigenen Technik -, dann müssen an Amazon Lizenzgebühren entrichtet werden.

SZ: Aber das gilt doch nicht in Europa. Kofler: Noch nicht. Noch können hier weder Softwarelösungen patentiert noch bloße Geschäftsideen geschützt werden. Das könnte sich aber durch eine Entscheidung des europäischen Ministerrats zur Frage der "Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen" jetzt ändern - übrigens ausdrücklich gegen den Willen des EU-Parlaments.

SZ: Und darum sieht man in München eine Klagewelle über sich hereinbrechen, weil Linux-Programme vermutlich gegen einige der dann erteilten Patente verstoßen werden. Eine US-Firma will ja schon 283 mutmaßliche Verletzungen im Linux-Code entdeckt haben. Kofler: Die Open-Source-Szene ist aber nicht ausschließlich von diesem Problem betroffen. Experten versichern, dass nahezu jedes existierende Programm dann Patente verletzt! Würde München also nicht Linux, sondern weiterhin kommerzielle Software verwenden, wäre das Klage-Risiko wegen der Software-Patente nicht geringer. Interessant ist aber, dass es in den USA trotz der dort geltenden Patentrechte selten zu Gerichtsverfahren kommt. Meines Wissens wurden auch noch nie Open-Source-Projekte oder -Entwickler belangt. Wenn wegen angeblicher Patentrechtsverletzungen geklagt wurde, dann traf es bisher vor allem große Unternehmen wie Adobe, Apple, IBM und Microsoft.

SZ: Weil dort am meisten Geld zu holen ist. Kofler: Eben. Es wundert einen schon, dass gerade die großen Unternehmen nicht gegen Softwarepatente sind. Aber die - so scheint es - benötigen ihre Patente vor allem, um mit anderen Patentinhabern Cross-Licensing-Abkommen zu schließen, die im Grunde nur besagen: Ich benutze deine, du benutzt meine, wir beide verklagen uns also nicht. Da kann die Open-Source-Bewegung nicht mithalten. Insofern gilt: Die Unwägbarkeit einer Klage der Großen und die Angst vor den Konsequenzen sind stärker als die tatsächliche Bedrohung. Wer hat denn als Programmierer, als freier zumal, Zeit und Nerven, jede seiner Code-Zeilen mit einer Patentrechts-Recherche für alle Kontinente abzusichern? Wer hat Lust, sich notfalls auf einen teuren Prozess einzulassen, der vermutlich durch mehrere Instanzen geht und dessen Ausgang ungewiss ist? Das gilt natürlich auch für jedes kleine oder mittelständige Software-Unternehmen, das kommerzielle Software entwickelt.

SZ: Darum also das Zaudern in der Landeshauptstadt... Kofler: Nicht ganz: Die Gefahr, mutmaßlich patentierte Software einzusetzen, bestünde ja immer. Die Münchner Entscheidungen sind daher wohl politisch motiviert - vielleicht, um eine größere Aufmerksamkeit zu erregen für das, was da in Brüssel passiert. Vielleicht auch, um die Parteifreunde in Berlin aufzurütteln. Denn dort betont man einerseits die Vorzüge von Open Source - und macht sich gleichzeitig für die Patentierbarkeit von Software stark. Außerdem: Der Münchner Ausschreibungsstopp für LiMux wurde bereits wieder aufgehoben. Und ein frisches Rechtsgutachten bestätigt der Stadt ja anscheinend auch, dass Linux eben nicht allein im Visier der Trivialpatente steht, sondern nahezu jede Software.

SZ: Das Ganze war ja dann kaum mehr ein Sturm im Wasserglas? Kofler: Harmlos ist das alles nicht. Wie gesagt: Alle Programmierer müssen fürchten, nachträglich belangt zu werden. Wenn die Verzögerungen bei der Linux-Einführung in München das Ziel erreichen sollten, dass keine Patente auf Software in Europa eingeführt werden, dann ist es diese Verzögerung allemal wert gewesen. Für die Menschheit wäre es sowieso besser, wenn es keine Softwarepatente gäbe. Sie entschleunigen die Entwicklung. Sie behindern den Fortschritt. Sie nützen nur wenigen großen Unternehmen, blockieren aber die Arbeit unzähliger kleiner Software-Firmen. Und die gesamte Open-Source-Bewegung sowieso.

© SZ vom 16.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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