Comedy:Kennen Sie den? Und wie!

Lesezeit: 4 min

Harald Schmidt tingelt als kabarettistischer Wiedergänger durch den deutschen Sommer.

Von Alex Ruehle

1992, noch zu ARD-Zeiten, setzte sich Harald Schmidt während einer Moderation von "Verstehen Sie Spaß?" einmal ans Klavier. Statt dann aber irgendwas zu spielen, stellte er nur ein Metronom an und machte so als erster Mensch im deutschen Fernsehen Sendezeit hörbar. Nach einigen Takten Schweigens sagte er in das trockene Metronomgehäcksel: "Unglaublich! Jeder Schlag kostet die ARD 15.000 Mark!"

(Foto: Foto: ddp)

Kurz darauf schob die ARD Schmidt ab, ohne zu merken, das da einer etwas genuin Neues erfand, indem er aus Show-Time einen Time-Porn machte, das lustvolle Suhlen in Sendezeit, dem der Zuschauer in den darauf folgenden Jahren auf SAT 1 so gerne zusah, eben weil er immer dachte: "Wie? Der zeigt eine halbe Stunde lang ein schwarzes Sendebild? Der redet mit Andrack über überhaupt nichts mehr? Das kann der doch nicht machen."

Und dann, so schien es jedenfalls bis vorgestern, gelang Schmidt im vergangenen Dezember auch noch, was kaum einem Großen gelingt: Im Zenit in Würde abzutreten. In Deutschland aber setzte, als er seine Show beendete, ein Gejammer ein, als sei Schmidt der Paul Bremer der Unterhaltungsindustrie: Was soll denn jetzt werden, hieß es; die Deutschen sind doch nie und nimmer reif für die humoristische Selbstverwaltung. Die Feuilletons erschienen wochenlang mit Trauerrand, und Roger Willemsen, der Durs Grünbein der Unterhaltungsindustrie, verstieg sich zu dem ultimativen Epitaph: "Nicht auszudenken, wie jetzt mit Niveauverdacht gelacht werden soll!"

Jetzt wird wieder gelacht. Schallend! Frenetisch! Jubelnd! Harald Schmidt ist wieder da. Live. Auf der Bühne. So wie zu seinen Anfängen als Kabarettist tingelt er die kommenden Monate mit einem Comedy-Programm durch die Republik. Erste Station war Heilbronn, wo er am Mittwoch auf die Sekunde pünktlich um 20 Uhr die Bühne der Stadthalle betrat.

Blauer Anzug, braun-gebrannt, die Haare lang, läuft Schmidt ein, wie Otto Rehhagel nach dem Gewinn der EM über den Platz stolperte, mit diesem wackelnden Winken und vorgebeugtem Oberkörper: Deutschlands Retter in Zeiten der Not. Und fängt da an, wo er im Dezember aufgehört hat. Bei der so einmalig zynischen Kommentierung unseres Alltags. Beim Feiern des Phänomens Schmidt und der gleichzeitigen Demontage seines pathologischen Selbstbewusstseins: "Bei mir ist es wie bei Rehhagel. Die größten Triumphe habe ich immer in der Provinz."

Beim Schmidt'schen Privattheater als Welttheater: "Es war da eine Stimme, die mir sagte: ,Zerstöre diese Scheibe zwischen dir und deinen Freunden. Gehe hinaus und mach ihnen Mut.'" Schmidt sollte die ominöse Stimme verklagen: Das Problem war genau, dass die Scheibe fehlte; dass er sich nicht vom restlichen Fernsehquark absetzte, indem er auf SAT1 kostbare Sendezeit verplemperte, sondern stattdessen in einer Stadthalle zwei Stunden lang Comedy machte.

The medium was the message: Der selbstreferentielle Umgang mit dem Fernsehen, die Dekonstruktion aller TV-Formate - das war etwas Einmaliges. Im Kabarett oder der Comedy aber hat es alles, was Schmidt nun vorexerziert, schon gegeben. Es ist ja nicht so, dass das Kabarett um die Postmoderne einen weiten Bogen gemacht hätte und die vergangenen Jahre nur händeringend auf Ihn gewartet hätte, auf dass Er endlich als erster die Grenzen und Mechanismen dieser Kunstform auslotet. Knallchargen durchhecheln? Damit ist Siggi Zimmerschied groß geworden. Zeit verstreichen lassen? Joseph Hader begann vor Jahren schon ein Programm mit betretenem Schweigen, worauf er sagte: "Pphh...tja, was machen wir denn jetzt?"

Ja, was macht er denn jetzt. Alles, was ein guter Stand-Up-Comedian so macht. Er singt,spielt, tanzt, macht mal in Nonsens, mal in Medienkritik: "Das ZDF-Morgenmagazin sendet ja jetzt morgens live aus der Mongolei. Da frag ich mich: Tut es das nicht immer?"

Und so wie er bei seinen Shows oft die Tafeln einblenden ließ, auf denen die Witze standen, die er gerade als spontane Eingebung verkauft hatte, so demontiert er jetzt den vermeintlich schlagfertigen Stand-Up-Comedian: "Lynndie England, die Folter-Bilder, da weiß man nicht, ist das Benetton-Werbung oder was... Ach, den kannten Sie noch gar nicht?! Na dann kann ich hier ja auch den nochmal bringen mit dem Potsdamer Platz, der so aussieht, als seien die Ceausescus kurz vor ihrer Erschießung noch mal zu Geld gekommen."

Sentimentalische Nachlese

Glanzlicht des Abends ist Schmidts Parodie des präsenilen Franz Beckenbauer, der nach jedem EM-Spiel so gruselig durch die bayerischen Interjektionen stolperte: "Ja gut, ich sag mal, ned wahr, was können wir für die zweite Halbzeit erwarten, er bringt da jetzt diesen Andratsch, ned wahr, also einen zweiten Ausländer, das wird spannend."

Womit er so falsch lag wie der Kaiser bei seinen EM-Prognosen. Denn mit Manuel Andracks Auftritt geriet der Abend vollends zur schalen Reminiszenz an die Harald-Schmidt-Show, ein Phantomschmerz bemächtigte sich des Zuschauers bei dieser sentimentalischen Nachlese. Die beiden ließen nach Kräften Zeit verstreichen, Andrack zeigte verwackelte Dias und las aus dem Bundesbahnfahrplan die letzten Anschlusszüge von Heilbronn aus vor, Schmidt spielte auf dem Klavier die Bass-Stimme eines Bach-Chorals. Spätestens als er aus einem drei Wochen alten Zeitungsartikel zitierte, wirkte der Abend lau wie das warme Dinkelacker, das er und Andrack tranken. "Echt kultig", sagte ein Zuschauer. Tja.

Das ambivalente Vergnügen an Kultsendungen liegt darin, dass darin fast alles zum Ritual erstarrt ist: Zu Kult kann etwas ja erst in der permanenten Wiederholung werden. So war es ein echt kultiger Abend: bisschen wie immer und deshalb recht trostlos.

Und man fühlte sich danach wie nach der verunglückten Begegnung mit einem ehemaligen guten Freund. Weil es einem leid tut, dass man einander nicht mehr viel zu sagen hat, versucht man das warme Gefühl von früher wieder herzuzaubern, indem man sich uralte Anekdoten erzählt. Aber die alten Geschichten, die die Distanz überbrücken sollen, werden im Moment des Erzählens zu totem Stückwerk und stehen in dem Gespräch herum wie ins Leere ragende Brückenköpfe. Und dann geht man weg und denkt: Mann Harald, durch Stadthallen tingeln...? Ausgerechnet Du...?

© SZ vom 16.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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