Clip-Kritik spezial: Luciano Pavarotti:Der 130-Kilo-Ferrari

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Das hat ihm noch gefehlt: Als hätte Luciano Pavarotti nicht genug gelitten, wird er nun in einem Internetvideo der Bunten beerdigt. Reporterin Amélie Besirsky will ganz nah am Sterbebett gewesen sein.

Christian Kortmann

Ganz klar, solche Szenen kennen wir: In einem improvisierten Studio wird eine Geisel interviewt, die eine Leidenszeit in Afghanistan hinter sich hat. Oder im Jemen. Vielleicht Irak. Klassischer Osthoff-Wallert-Style. Man hat die Jalousien geschlossen, weil die Augen noch empfindlich sind gegen UV-Licht. Die Frau im Bild trägt einen hochgeschlossenen Anorak, schottet sich ab gegen die schrecklichen Eindrücke, die sie verfolgen. Ihre Hände hat sie gefaltet, als bete sie still um Erlösung.

Doch nein, wir merken, dass hier gar kein Opfer sitzt, sondern eine Journalistin, die Schlimmes berichten muss: Es ist Amélie Besirsky, "Pavarotti-Expertin" der Bunten, die im Star-Style-TV auf dem Internetportal des Boulevardmagazins von einer Kollegin interviewt wird. Und ihre Leiden wurden ihr von Luciano Pavarottis Todeskampf zugefügt. Sein Schmerz war ihr Schmerz, sein Fleisch ist ihr Fleisch, und das ist eine schwere Last. "Über 100 Kilo", habe er am Ende noch gewogen, "130", wenn sie sich richtig erinnert.

Amélie Besirsky hat die schreckliche Nachricht am Donnerstagmorgen "aus dem Wecker" erfahren. Der Tod "war eine Erlösung für den Maestro", stellt sie fest, korrigiert sich dann aber, als habe sie Insiderinfomationen über das Leben nach dem Tod: "ist". Sie ist dann sofort ins Bunte-Studio geeilt, denn es heißt: Breaking news mit Besirsky.

Wir erfahren, warum ausgerechnet sie als "Pavarotti-Expertin" interviewt wird: Nicht etwa weil sie großes Wissen über Opernmusik besitzt. Das wäre auch zu einfach: Ihr Expertentum speist sich daraus, dass sie schon mal in Italien war! Zuletzt vor zweieinhalb Wochen, da hat sie mit Pavarottis "Ärzteteam" gesprochen, "um aus der Nähe zu sehen, wie es um ihn bestellt war".

Dort habe es zwar immer geheißen, "er geht nach Hause, aber von Gehen war gar nicht die Rede". Neben unfreiwilliger Komik besticht Besirskys Bericht durch die Mischung aus Selbstbefriedigung an der eigenen Betroffenheit und medizinischem Bulletin: "Wenn jemand nicht mal mehr 'Papp' sagen kann und dann noch eine Lungenentzündung kriegt", weiß die Reporterin, "dann ist es einfach deswegen, weil sein Körper komplett ... Sein Immunsystem war komplett am Boden".

Sogar vor Diagnosen scheute die Life-&-Death-Style-Reporterin nicht zurück, wie der Zuschauer erfährt: "Meine Prognose war immer: er wird den Sommer nicht überleben und es wird noch ungefähr zwei Wochen dauern." Klasse geschätzt, aber ein wenig ärgert sie sich doch über ihre Ungenauigkeit: "Gut, jetzt hat es zwei Wochen und drei Tage gedauert."

Das Video ist stolze sechseinhalb Minuten lang. In der epischen Breite von Besirskys Bericht werden Pavarottis Leiden für den Zuschauer erlebbar. Kulturtheoretikerin Besirsky weiß, dass sie jetzt die Aufmerksamkeit hat, um Gehör für kühne Thesen zu finden. Gefragt, wie eine Welt ohne den großen Tenor aussehe, nutzt sie ihre Chance: Pavarotti sei im Ausland bekannter als in Italien gewesen, sagt sie. Denn in seiner Heimat sei er eher "eine Institution, so ein Statussymbol wie Ferrari oder Autorennen".

Von der Geisel zur Geißel

Dann seien da natürlich auch die unvergesslichen "Verkaufszahlen, die er gebracht hat". Aber darüber dürfe man das Wichtigste beim Todesfall Pavarotti nicht aus den Augen verlieren: "Ich bin sehr geschockt."

Löblich: Anstatt zu resignieren, wird Besirsky auch den langen Weg der Trauer stellvertretend für uns gehen: "Ich bin quasi schon mit einem Fuß in Italien. Ich werde spüren, wie sich das anfühlt vor Ort und an der Beerdigung teilnehmen."

"Amélie-Marie Besirsky (37) liebt einen frechen Lebensstil und will vor allem eines nicht: unbemerkt durchs Leben schleichen", heißt es in einer Selbstdarstellung im Netz. Das hat sie jetzt geschafft. Mit ihrer Pavarotti-Show könnte sie zur größten deutschsprachigen Internetvideo-Lachnummer seit dem wütenden Clip eines Tokio-Hotel-Fans werden.

Zugleich beweist sie, dass man Menschen auch nach ihrem Ableben quälen kann, denn Besirsky sagt: "Pavarottis größter Wunsch war, seine Eltern im Himmel wiederzutreffen." Auf dem posthumen Weg zu Mama und Papa wird die "göttliche Stimme" in diesem Clip von einer allzu irdischen Plage eingeholt: Manchmal sehen sich Geisel und Geißel so ähnlich, wie es die Wörter vermuten lassen.

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