Clemens Hochreiter:Unterwegs nach Utopolis

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Deutscher Computerspielpreis: der Preisträger und Erfinder studierte Dokumentarfilm

Interview von Barbara Hordych, München

Schon in ihrer Schulzeit auf dem Münchner Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium waren Clemens Hochreiter und Thomas Wagner Geschäftspartner - und gründeten "nebenbei" eine eigene Firma, in der sie gemeinsam Spiele entwarfen. Sie sorgten dafür, dass die Schülerzeitung des Gymnasiums als erste Deutschlands auf CD-ROM erschien. Auch während des Studiums behielten sie ihre Firma bei - Hochreiter studierte Dokumentarfilm an der Münchner Filmhochschule, Thomas Wagner hingegen Informatik. Mit ihrem Münchner Studio "Reality Twist" entwickelten sie gemeinsam mit der Nemetschek-Stiftung das digitale Spiel "Utopia - Aufbruch der Tiere", für das sie jetzt mit dem Computerspielpreis 2015 in der Kategorie "Bestes Serious Game" ausgezeichnet wurden.

SZ: Wie wird man als Dokumentarfilmer Entwickler von "Serious Games" - Spielen, die ernste Inhalte vermitteln?

Clemens Hochreiter: 2007 hatten wir mit unserer damaligen Firma einen Punkt erreicht, an dem wir zwar gut Geld verdienten, aber feststellten, dass wir nur noch für Großkonzerne arbeiteten, ohne uns selbst kreativ einbringen zu können. Wir gingen ein paar Monate in die USA, nach Los Angeles, und versuchten, herauszubekommen, was uns wirklich Spaß machen und interessieren könnte. Dabei entstand die Idee für "Reality Twist", unser Entwicklerstudio.

Mit welchen Partnern arbeiten Sie seither zusammen?

Für das Goethe-Institut programmierten wir beispielsweise ein Sprachabenteuer, das beim Deutschlernen unterstützt. Über die Arbeit der Seenotretter entwickelten wir ein Computerspiel, das mit Geldern des Film-Fernseh-Fonds gefördert wurde. Wobei auch Förderungen vom bayerischen Staat keine Garantie in Bezug auf Vermarktung sind. Gleich unser erstes Serious Game hat das gezeigt: Da haben wir ein Spiel entwickelt, "Generation Zero", das nie auf den Markt gekommen ist.

War es kommerziell nicht Erfolg versprechend genug?

Es handelte von einem kleinen Jungen, der 1945 in Berlin am Anhalter Bahnhof ankommt. Damit klar ist, in welcher Situation und Zeit er sich befindet, zeigten wir zu Anfang Amerikaner, die Hakenkreuze an den Hausmauern mit Brettern vernagelten. Und damit begaben wir uns auf gefährliches Terrain.

Wobei es nicht um eine Verherrlichung der NS-Ideologie ging. oder?

Natürlich nicht. Es sollte zeigen, wie Kinder sich damals in der Nachkriegssituation zurechtfinden mussten, wie ihr Alltag aussah. Wir haben das Spiel sogar im Bundestag in Berlin vor- und ausgestellt und viel Zustimmung erhalten. Trotzdem hat sich keine Firma gefunden, die das Spiel auf den Markt bringen wollte.

Ihre beiden jüngsten Serious Games bezeichnen Sie als "Leuchtturmprojekte"?

Ja, aufgrund der Themen. Unsere Partner waren das Hilfswerk Missio und die Nemetschek-Stiftung für politische Bildung. Unsere Traumpartner sind diejenigen, die eine Vision, Mut und Geld mitbringen.

"Renu und die Sari Revolution" ermöglicht es Jugendlichen, auf dem iPad Schicksale von indischen Ehefrauen mitzuverfolgen, die wegen einer zu niedrigen Mitgift ermordet werden. Oder sie erfahren, wie Armut philippinische Kinder in die Prostitution zwingt. Welche Vorteile bietet ein Spiel gegenüber einem Sachtext zur gleichen Thematik?

Das Eintauchen in die jeweilige Welt ist der Hauptunterschied zwischen einem Serious Game und dem klassischen Lernen mittels elektronischer Medien oder Sachtexten im Unterricht. Nehmen Sie die Szene, in der die Schwiegermutter kurz nach der Hochzeit die junge Renu mit Kerosin übergießt und anzündet - diese Person bin in dem Moment "ich", es ist ein Anschlag gegen mein eigenes Leben! Denn die Spieler werden Teil des Spiels - im Idealfall merken sie gar nicht, dass sie dabei etwas lernen sollen. Und tun es nebenbei doch.

Wie verhält es sich bei den politischen Lerninhalten von "Utopolis"?

Wir haben fünf Tiercharaktere mit unterschiedlichen Fähigkeiten konstruiert, die gemeinsam, in einer Gruppe von maximal 25 Spielern, um ihr Überleben kämpfen. Sie können die Gesetze für ihre Zusammenarbeit selbst bestimmen. Der Spielspaß steht zwar im Vordergrund, trotzdem ist es so, dass sie dabei unbewusst eine Menge über demokratische Prozesse lernen.

Welche Gesetze gibt es darin?

Ich kann zum Beispiel festlegen, dass jeder Spieler zu Beginn jeder neuen Runde zehn "Gras" ins Gemeinschaftslager einzahlen muss, damit es in späteren Runden die Möglichkeit gibt, sich dort zu versorgen. Das wäre dann eine Art Steuer. Häufig wird die Regel genommen, dass sich jeder beliebig viel aus diesem Gemeinschaftslager herausnehmen darf. Das funktioniert aber nur bei guter Kommunikation der Spieler untereinander, so ist das Spiel angelegt.

Wie wird kommuniziert?

Nach jeder Spielrunde gibt es einen integrierten Chat, in dem die Spieler ihre Gesetze und die weitere Vorgehensweise diskutieren. Einmalig ist, dass die Kommunikation so essenziell für das Spiel ist. Ohne gute Kommunikation kann das Spielziel, die Stadt Utopolis, nicht erreicht werden.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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