Captain America:Strumpfhose des Guten

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Er trägt einen blau-rot-weißen Strampelanzug und redet wie George W. Bush: "Wir müssen stärker sein, als wir je gewesen sind - als ein Volk, als eine Nation. Wir müssen Amerika sein." Captain America ist der personifizierte Patriotismus, und genauso sieht er aus. Der Muskelmann in Strumpfhosen mit dem Sternenbanner-Schild verbreitet eine simple Botschaft: Amerika ist super. Das hat er immer gesagt, dafür wurde er im Zweiten Weltkrieges schließlich geschaffen.

Titus Arnu

Der amerikanische Marvel-Verlag erfand den Weltenretter 1941 zu Propagandazwecken. Captain America sollte Stimmung gegen die Nazis machen. Später kämpfte er gegen sowjetische Atomraketen und asiatische Bösewichter.

Nach dem 11. September schickte Marvel seinen eigentlich schon ausgemusterten Helden in einen neuen Kampf. Captain America macht Stimmung gegen Terroristen, Iraker und sonstige Finsterlinge. In der Serie "The New Deal" befreit er westliche Geiseln aus der Gewalt eines Terroristen namens Al Tariq. Dabei geht er mit brachialer Gewalt vor.

Gewaltätige Szenen

Das martialische Auftreten des Captains liegt im Trend. Wie amerikanische Medienwissenschaftler herausgefunden haben, werden in Zeiten politischer Bedrohung auch die Comics aggressiver. Für eine Studie, die in der Zeitschrift Political Psychology erschienen ist, untersuchten die Medienforscher Bill Peterson und Emily Gerstein vom Smith College in Northampton, Massachusetts, Comics der Jahrgänge 1978 bis 1992: Captain America, Spider-Man, X-men und Daredevil.

Dabei achteten sie auf aggressive Bilder, das Benehmen männlicher Charaktere und darauf, wie häufig Frauen oder ethnische Minderheiten vorkamen. Es zeigte sich, dass während politischer Krisen, wie etwa der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran 1979, gewalttätige Szenen öfter vorkamen. "Da Comics zur Pop-Kultur gehören, haben sie immer, wie das bei Pop-Kultur so ist, die historische Zeit reflektiert, in der sie produziert wurden", sagt Peterson.

Die Untersuchung mit dem Titel "Fighting and Flying: Archival Analysis of Threat, Authoritarianism, and the North American Comic Book" zeigt, wie sich auch die Sprache an die politische Lage anpasst. Der Zeitraum der Studie endet zwar mit dem Jahrgang 1992, die These lässt sich aber auch an aktuellen Alben erhärten.

Unermessliche Kräfte

So wie der Superman-Mythos aus der Depression der späten dreißiger Jahre geboren wurde, schafft das veränderte politische Klima Anfang des 21.Jahrhunderts neue Comic-Kämpfer. Analog zur atomaren Bedrohung durch die Sowjetunion wuchsen die Kräfte der Superhelden ins Unermessliche. Nach dem Ende des Kalten Krieges funktionierten aber auch in den Comics die üblichen Feindbilder nicht mehr. Videospiele und Internet schwächten die Superhelden zusätzlich. Captain America schlurfte von Selbstzweifeln geplagt durch New York und fragte sich: "Wozu bin ich überhaupt noch gut?"

Die Geschichte der Wiedergeburt des amerikanischen Superhelden spielt am 11. September. Steve Rogers, besser bekannt als Captain America, stapft durch die Trümmer des World Trade Centers. Er fühlt sich machtlos, so wie das ganze Land. Seine Chance kommt, als Terroristen ein Dorf überfallen und Geiseln nehmen.

Schmerzen in den Augen

Captain America bricht voller Missionseifer in den Krieg gegen den Terror auf. Der Super-Patriot kommt bei seinen amerikanischen Fans seitdem wieder super an: "Großartige Zeichnungen", lobt das Internetmagazin Conacopia, "man kann die Schmerzen in Captain Americas Augen sehen. Ihn so in seiner Uniform zu beobachten, hat denselben Effekt auf den gewöhnlichen Menschen."

Interessant ist der Sinneswandel, den Captain America seit 2002 durchmacht. Je länger der Irak-Krieg dauert, desto kritischer wurden die Zwischentöne. "Ich bin kein Terrorist", schreit einer seiner Gegner, der Terrorist Al Tariq in einer Folge von Captain America, "ich bin ein Botschafter, der euch die Wahrheit des Krieges zeigt. Ihr seid die Terroristen!"

In einer anderen Geschichte besucht Captain America Dresden, wo er eine Geschichtslektion über die amerikanische Kriegsschuld erteilt bekommt. "Wir haben nicht verstanden, was wir hier getan haben", murmelt der breitschultrige Held, "bis zum 11. September. Geschichte wiederholt sich wie ein Maschinengewehr." In einer weiteren Terror-Episode beschimpft ein Guerilla-Kämpfer ihn: "Du kennst eure Geschichte. Ihr habt dieses Spiel an zu vielen Orten gespielt... Die Sonne geht nie unter in eurem Reich aus Blut". Auf diesen massiven verbalen Angriff kann der Superheld nur schwächlich entgegnen: "Wir haben uns verändert. Wir haben gelernt. Diese Zeit ist vorbei."

Captain America hat zwar neue Feinde gefunden, gegen die er mit Superkräften kämpft. Aber er ist sich nicht mehr so sicher, ob sein Kampf moralisch noch einwandfrei ist - und wofür er überhaupt antritt. Das spiegelt die gesellschaftliche Stimmung in den USA ziemlich genau wieder.

© SZ vom 18.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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