Bundestags-TV:Live von der Hinterbank

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Geht es nach dem Parlament, soll künftig ganz Deutschland Politikern bei der Arbeit zuschauen - auf Bundestags-TV. Es gibt aber massive medienrechtliche Bedenken.

Claudia Tieschky

Für Anfang Oktober hat sich das Präsidium des Deutschen Bundestages eine Angelegenheit vorgenommen, die dem Ego vieler Parlamentarier schmeicheln könnte. Die Damen und Herren um Bundestagspräsident Norbert Lammert wollen beraten, ob der Bundestag künftig einen eigenen bundesweiten Digitalkanal für Kabel- und Satellitenzuschauer betreiben kann, Bundestags-TV als Spartenkanal.

Dass Lammert selbst das für eine prima Idee hält, hat er vorab schon außerparlamentarisch zu Protokoll gegeben. Der CDU-Politiker, der zuletzt mit der Idee einer zweijährigen Talkshow-Pause für Abgeordnete auffiel, plauderte im Stern-Interview über Mittel gegen Wahlverdrossenheit und Parlamentsroutine und brachte dabei die Kanal-Idee ebenso an wie im Zentralblatt der Eitelkeiten, in Vanity Fair.

Das Gebot der Staatsferne

Doch es gibt gewichtige Bedenken gegen die Idee, die keineswegs neu ist. Von Parlamentariern wurde sie stets gerne wieder ins Gespräch gebracht, wenn die eigene Arbeit öffentlich zu wenig gewürdigt schien. Nun aber könnte das Projekt tatsächlich schnell Realität werden. Per Aktenzeichen 361 liegt der Potsdamer Medienkommission KEK ein Prüfantrag auf bundesweite Ausstrahlung des Bundestagsfernsehens vor.

Allerdings: Das Verfahren ruht. Der Bundestag selbst (und als zuständiger Ausschuss sein Präsidium) soll erst Fragen nach der Rechtsgrundlage beantworten. Der Haupteinwand der KEK-Medienwächter ist in ihrem eben erschienenen zehnten Jahresbericht formuliert: Ein staatliches Parlamentsfernsehen könne das Gebot der Staatsferne im Rundfunk verletzen.

Tatsächlich wurde beim Umzug des Parlaments von Bonn nach Berlin 15 Millionen Euro in neue TV-Technik und zugehörige Ausrüstung investiert. Das Fernseh-Material wird nach Bundestagsangaben kostenlos allen Rundfunksendern (zum Beispiel N24 oder n-tv) zur Verfügung gestellt. Auch die Öffentlich-Rechtlichen, die im Plenum mit eigenen Kameras arbeiten, greifen gelegentlich darauf zurück: Wie Phoenix am 25. April 2005, als dort im Schnitt 400.000 Zuschauer live die Befragung des damaligen Außenministers Joschka Fischer vor dem Visa-Untersuchungsausschuss verfolgten.

Der Bundestag selbst nutzt das Equipment bislang für die Übertragung von Debatten, Ausschüssen und Gesprächsrunden als Web-TV, sowie digital im Berliner Kabelnetz. Für das Parlamentsfernsehen, das 1990 als interner Hauskanal startete und über einen Jahresetat von einer Million Euro verfügt, arbeiten sechs Mitarbeiter, technischer Dienstleister ist das Berliner Studio Adlershof. Zur Wirklichkeit gehört auch, dass das Signal längst bundesweit per Satellit verbreitet wird, allerdings verschlüsselt und dekodierbar nur für einen kleinen professionellen Nutzer-Kreis. Künftig soll ganz Deutschland zuschauen können.

Ähnlichen Service bietet zum Beispiel in den USA der Sender C-SPAN, er überträgt aus Repräsentantenhaus und Senat, finanziert sich aber privatwirtschaftlich als Non-Profit-Unternehmung amerikanischer Kabel- und Satellitengesellschaften. In Brüssel und Straßburg scheiterten Pläne bislang an der Vielsprachigkeit. Hartwig Bierhoff, der Berliner Referatsleiter für Online-Dienste und Parlamentsfernsehen, glaubt: "Jeder Bürger, den wir erreichen, ist ein Gewinn für unsere parlamentarische Demokratie."

Besonders beim ARD/ZDF-Gemeinschaftskanal Phoenix herrscht Ratlosigkeit über die Rivalen-Pläne, die Bierhoffs Abteilung umsetzen möchte. Phoenix sei ausdrücklich zur Stärkung des Parlamentarismus gegründet worden und biete "kontinuierliche, journalistisch gelungene und zeitlich gut platzierte Parlamentsberichterstattung", sagen die beiden Geschäftsführer Klaus Radke (WDR) und Christoph Minhoff (ZDF).

Der öffentlich-rechtliche Sender (Jahresetat 35 Millionen Euro) war bislang der einzige, in dem Politiker ihr parlamentarisches Wirken breit gewürdigt fanden, beim zehnten Geburtstag des Kanals in diesem Sommer gab es Lob von der Bundeskanzlerin. Phoenix habe viel für parlamentarische Transparenz gekämpft, zum Beispiel um das Recht der Berichterstattung aus Untersuchungsausschüssen, sagen die Sender-Chefs. Für ein zusätzliches Parlamentsfernsehen, erklärt Radke, "sehe ich eigentlich keinen Bedarf".

Phoenix, der "Ereigniskanal"

Referatsleiter Bierhoff, früher viele Jahre lang Bundestags-Sprecher, kritisiert dagegen: Im Programm von Phoenix stehe die parlamentarische Berichterstattung "nicht mehr im Zentrum, obwohl es ursprünglich mal so gedacht war". Der Sender habe sich programmatisch gewandelt und "nennt sich übrigens inzwischen ja auch Dokumentations- und Ereigniskanal".

Die Phoenix-Chefs wiederum rechnen vor, ihr Sender habe 2006 an jedem Sitzungstag live und in Zusammenfassungen aus dem Bundestag berichtet, insgesamt mehr als 380 Stunden lang. "Wenn der Bundestag einem bundesweiten Parlamentskanal zustimmt, dann muss Phoenix daraus den Schluss ziehen, dass wir aus der Chronistenpflicht der Parlamentsberichterstattung entlassen sind", sagt Minhoff.

So werden in unterschiedlichen Tonlagen die Positionen formuliert. Im Kern ist die Konkurrenzfrage sensibel: Phoenix finanziert sich aus Rundfunkgebühren, der Parlamentskanal aus Steuern. Mit einem parlamentarischen Doppelangebot würde so oder so Bürgergeld verschleudert.

Zumindest im Konflikt um die Staatsferne zeichnet sich wohl eine Lösung ab. Offenbar will der Bundestag Bedenken ausräumen, indem man dem eigenen TV-Angebot die Rundfunk-Qualität abspricht und es als Teil der Öffentlichkeitsarbeit ausweist. "Ich bin der Auffassung, dass wir kein Sender sind, sondern Programmanbieter", sagt Bierhoff.

Es gehe nicht um "journalistische Einordnung und Kommentierung", sondern um Dokumentation des parlamentarischen Geschehens, soweit es öffentlich ist". Mit Feinsinn wird also begründet werden, dass die Übertragung ein und derselben Parlamentsdebatte bei Phoenix Rundfunk sei, im geplanten Bundestags TV aber nicht.

Die KEK sieht da wohl noch offene Fragen, vor allem mit Blick auf die Talkrunden (Was macht eigentlich...? Im Gespräch) des Parlamentskanals. Diskussionen von Abgeordneten oder Hintergrundberichte könnten Meinungsbildung gezielt beeinflussen, schreibt die Kommission: "Dies geht über die mit einer neutralen Öffentlichkeitsarbeit des Bundestags zu vereinbarenden Schwelle des staatsfernen Rundfunks hinaus". Zulässig sei nach diesem Modell die Übertragung von Sitzungen und Anhörungen - soweit das Parlamentsfernsehen sie "live, unkommentiert und in voller Länge" zeige.

In diesem Fall allerdings würde Lammerts Projekt zu einem Programm mit ganz eigenem Charme.

© SZ vom 2.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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