Buchrezension:Ein Jochen zieht ins Herz der Finsternis

Lesezeit: 4 min

Wird man zum Islamisten, wenn man sich selber hasst? Christoph Peters' Roman "Ein Zimmer im Haus des Krieges"

Lothar Müller

Christoph Peters: Ein Zimmer im Haus des Krieges. Roman. Verlag btb, München 2006. 320 Seiten, 19,95 Euro.

Seit dem letzten Anschlag in Luxor im Jahr 1997 werden die touritischen Sehehnswürdigkeiten um die Pyramiden strengtens bewacht. (Foto: Foto: ap)

Jochen Sawatzky findet seine Mutter furchtbar. Ganz besonders furchtbar findet er sie an diesem Frühmorgen in der ägyptischen Wüste. Eben war alles noch in Ordnung. Da hat er ein wenig von seiner Geliebten geträumt, der schönen Ägypterin Agua, dann hat er den Teppich ausgebreitet, sich nach Mekka gewandt und gesprochen: "Sprich: Er ist Gott, der Eine..."

Danach wollte er sich auf den bevorstehenden Terroranschlag konzentrieren. Aber da kommt ihm sie ihm dazwischen, als ungerufenes Erinnerungsbild: "Mutter, fett und allein, Nüsse kauend beim Fernsehen; frühmorgens im grauen Hosenanzug, rechts die Kaffeetasse, links das Käsebrot; froh über ihre Unkündbarkeit als Finanzbeamtin im mittleren Dienst; eine Art Liebe."

Peters will uns partout ins Herz der Finsternis führen

Wenig später, Sawatzky hat gerade die Erinnerungen an sein Kleinbürger-Elend im Rheinland verscheucht, brüllt El Choli, der Bruder und Gotteskrieger, der ihn nicht mag: "Pack dein Zeug, Jochen!" Und Jochen raunzt zurück: "Ich heiße Abdallah!" Denn er ist ziemlich stolz drauf, dass er den alten Jochen, den arbeitslosen Kiffer, die verkrachte Existenz, das Ausschussprodukt der kaputten westlichen Gesellschaft abgestreift hat seit seiner Konversion zum Islam. Nie wieder Jochen! Das ist seither sein Lebensmotto.

Abdallah, der den Jochen in sich nicht loswirft, hat das Zeug zu einer komischen Figur. Aber sein Erfinder, der deutsche Autor Christoph Peters, 1966 in Kalkar geboren, will uns partout ins Herz der Finsternis führen, ins Innere eines islamistischen Gotteskriegers. Er interessiert sich nicht für den Jochen, der in Abdallah steckt. Er interessiert sich nur für die steilen Thesen, die Abdallah seiner Konversion abgewinnt: "Es wird viele Tote geben. So Gott will. Deutsche, Amerikaner. Ich hasse sie nicht. Nicht mehr. Sie haben keine Bedeutung. Jedem Menschen ist sein Ende bestimmt. Wenn er ausgelöscht wird, verblaßt kein Stern."

Es ist das Jahr 1993, in dem in Ägypten eine ganze Serie von Terroranschlägen stattfanden. Abdallah ist Teil eines Kommandos islamistischer "Brüder", die einen Anschlag auf die Tempelanlagen in Luxor ausführen sollen, um den ägyptischen Staat zu schwächen. Als Ich-Erzähler bestreitet er über gut siebzig Seiten hinweg den ersten Teil des Romans mit der Schilderung des fehlschlagenden Kommandos und seiner Festnahme. Konversion eines Kiffers

Der Roman erzählt nicht, was er zu erzählen behauptet

Danach sitzt er im Gefängnis von Kairo, und der Roman schaut der zweiten Hauptfigur über die Schulter, dem deutschen Botschafter Claus Cismar, der für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens gegen den Inhaftierten Sorge tragen und ein Todesurteil möglichst verhindern soll. 1993 ist das Jahr, in dem Birgit Hogefeld verhaftet und Wolfgang Grams erschossen wurde. Und Claus Cismar hat eine vorbildlich klischeehafte Achtundsechziger-Vergangenheit: klammheimliche RAF-Sympathie, einen Vater, der NSDAP-Lokalgröße war, und Freunde, die wie er selbst beim Hochkommen in den Institutionen ihre Ideale verloren haben: "der kleine Seelenverkauf, das Abtreten der eigenen Ansprüche in Raten".

Fast zehn Jahre, sagt Christoph Peters, habe er an diesem Roman geschrieben, lange bevor durch den 11. September 2001 seine Außenseiterfigur ins Zentrum des Weltgeschehens rückte. Es müssen zehn Jahre gewesen sein, in denen er den Grundriss seines Romans nur ausgefüllt hat, statt ihn zu überdenken. Das ist seltsam. Denn der Roman erzählt nicht, was er zu erzählen behauptet: wie ein junger Deutscher zum terroristischen Attentäter in Ägypten wird, der sich auf den Islam beruft.

Die Konversion des berufslosen und ungebildeten Kiffers und Dealers Jochen Sawatzky zum tief religiösen Abdallah, der die Lehre von der Unübersetzbarkeit des Koran so ernst nimmt, dass er binnen kurzem Arabisch lernt, schafft sich der Autor Christoph Peters als Erzählproblem vom Hals. Er setzt sie in plakativen Rückblenden schlicht voraus.

Der Selbsthass des Westens als entscheidendes Motiv

Das ist aber nicht nur ein erzählerisches Manko, das die innere Stimmigkeit dieses Romans in Frage stellt, sondern zugleich ein intellektuelles Defizit im Umgang mit dem brisanten Stoff. Denn es hilft ja nichts, wenn Abdallah den kleinen, vom Lippenstift der Geliebten gezeichneten Koran kennerisch "Qur'an" nennt, wenn er alle paar Seiten irgendeine Sure zitiert oder prätentiös seine Mission beschwört: "Ich bin ein Werkzeug. Die Schalen mit Gottes Zorn sind voll."

Wie die Lücke zwischen Jochen und Abdallah bleibt auch die zwischen Konversion zum Islam und Konversion zum Terrorismus unausgefüllt: Man kann als Westeuropäer zum Islam konvertieren, ohne zum Bombenleger in Ägypten zu werden.

In diesem Roman aber geht das nicht, hier hat man nur die Wahl zwischen einen gänzlich säkularisierten Westen, der genau so kaputt und geistig heruntergekommen ist, wie die religiösen Fundamentalisten beschwören, und der explosiven Mischung von mystisch aufgeladenem Islam und Terrorismus.

Peters lässt den Konvertiten Abdallah (auch er wird am Ende hingerichtet) in Flugblatt-Sätzen die Kritik am US-Imperialismus, an der Besetzung Palästinas etcetera herbeten. Aber das entscheidende Motiv für die Attraktivität des Terrorismus ist hier: der Selbsthass des Westens. Er prägt die Biographie des Jochen Sawatzky, er prägt die Gefängnisdialoge zwischen Abdallah und dem Alt-68-Botschafter, und er prägt die Selbstdeutung, die Peters seinem Roman mitgegeben hat: "Was mich fasziniert, ist der Gedanke, dass etwas Geistiges eine derartige Kraft haben kann, daß es einen dahin bringt, sein Leben dafür zu opfern - und gegebenenfalls auch dafür zu töten."

Dieses Buch ist ganz auf der Höhe jener aktuellen Salongespräche, die von der Klage über das metaphysische Sinndefizit des Westens beherzt zur Schwärmerei für die möglichst gefährliche Religion voranschreiten. Aber der Autor muss gespürt haben, dass seine von Schriftstücken der Botschaftsbürokratie duchsetzte Bußpredigt über den Terrorismus als Strafgericht der säkularen Welt einer Aufhellung bedurfte.

Darum gib es nicht nur Ines, die notorisch quengelige, ewig unzufriedene Ehefrau des vor lauter Sinndefiziten magenkranken Botschafters, sondern eine lebenskluge Dame von der französischen Botschaft. Die Begegnungen des Alt-Achtundsechzigers mit ihr sorgen nicht nur für eine etwas unschlüssige Affäre, sondern auch für jene gelungenen Passagen des Romans, die das Nacht- und Straßenleben Kairos schildern.

© SZ vom 9. September 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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