Buch: "Die Lebenspraktikanten":Das Leben auf Probe

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Nikola Richters Buch ist ein Zustandsbericht über die Lebensverhältnisse junger Akademiker: Sie wissen, dass ihre Verhältnisse massiv entwürdigend sind, aber sie machen einfach immer weiter.

Iris Hanika

Lebenspraktikanten sind ja eigentlich alle, bevor sie begriffen haben, dass das Leben auch dann schon stattfindet, wenn man nur aus Plänen besteht und sich gerade erst darauf vorzubereiten glaubt, aufs Leben. Diesen Zustand nennt man Adoleszenz, und spätestens mit dem Ende der Ausbildung sollte er abgeschlossen sein.

(Foto: Fischer Taschenbuch Verlag)

Bei den Figuren in Nikola Richters Buch dauert er aber auch nach dem Studium noch an, und die Vorläufigkeit des Praktizierens ist für sie ganz konkret, denn Jasmin, Linn, Viktor, Anika, Chris und Giulia machen laufend Praktika. Nur Nils verweigert sich, der wägt stattdessen Geschäftsideen. Das heißt, sie arbeiten für sehr wenig bis gar kein Geld in irgendwelchen Firmen, Institutionen, Projekten, im Glauben, sie würden dort Berufserfahrung sammeln, und in der Hoffnung, man würde ihnen dort vielleicht eine Stelle anbieten, wenn sie sich nur beflissen genug zeigen.

Das funktioniert eher nicht. Allerdings erlangen sie einige Meisterschaft im Schreiben von Bewerbungen, Führen von Vorstellungsgesprächen und unaufdringlichem Einschleimen bei Chefs.

Neben den Praktika arbeiten sie an ihrer akademischen Ausbildung weiter, das verschärft die Lage. Für die Promotion hangeln sie sich von Stipendium zu Feldforschung zu Rechercheaufenthalten in besonders abgelegenen Bibliotheken, was zum Beispiel dazu führt, dass die Liebesbeziehung nur wenige Wochen im Jahr real stattfinden kann.

Und ein großer Schritt ist es, wenn einer einen Job ausschlägt, weil er lieber in der Stadt leben möchte, in der seine Freundin lebt. Daran erkennt er eigentlich erst, dass sie seine Freundin ist: Weil er gerne jeden Tag mit ihr zusammen sein möchte, und sie umgekehrt auch mit ihm. Das einzig Verlässliche im Leben dieser Figuren sind ihre Beziehungen untereinander.

Ihre Eltern fanden, dass sie ein schönes Leben hatten, wenn es darin zwei Kinder, ein Eigenheim und einen Hund gab. Sie selbst fänden es ein herrliches Leben, wenn sie überhaupt irgendeine Aussicht hätten und nicht mehr von Woche zu Woche leben müssten. " Aussichten wären schön, oder?", hat Linn damals Nils gefragt ...

Wenn man eine Aussicht hat, dann erscheint alles um einen herum überschaubar und freundlich. Aber ohne Aussicht wirkt alles bedrohlich, riesengroß und problematisch. Vor allem, wenn man kein Geld hat. Denn diese Leute gelten, "obwohl uns meist weniger Geld als Studenten zur Verfügung steht, nicht mehr als solche. Überall müssen wir die vollen Eintrittspreise zahlen. Von einer Krankenversicherung mal ganz zu schweigen. Weil die privaten Versicherungen zu teuer sind, versichern wir uns lieber gar nicht. Wir sind NICHTS", klagte Linn, weder Studenten noch Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger oder Berufsanfänger."

Ihre Eltern sind aber Original-68er und darum die, die ihren sich in der Einübung ins Leben befindlichen Kindern sagen, dass sie sich die miserablen Arbeitsbedingungen nicht bieten lassen sollen. "Das ist wirklich nett von meinem Vater", findet Giulia, dass er mich ein bisschen anschiebt. Natürlich wird meine Revolte eine ganz andere sein, als er sich das so vorstellt, es wird eine kleine, private Revolte, aber immerhin.""

Warum das natürlich ist, dass ihre Revolte nur eine kleine sein kann, wird im Verlauf des Buches klar: Sie sind nichts und haben tatsächlich nichts zu verlieren außer ihren Ketten. Bloß sind diese gerade keine, mit denen sie an die Galeere geschmiedet wären, sondern es sind welche, die sie zusammenhalten. Sie haben nichts zu verlieren außer ihren Freunden. Die aber hocken alle in ihren je eigenen Praktika, Projekten, möblierten Untermietzimmern in fernen Städten.

Ihre Geschichten seien nicht fiktiv, teilt die Autorin auf der Rückseite des Buches mit. Diese Geschichten sind genau und glaubwürdig. Es werden alle Aspekte des jungen Erwachsenendaseins abgehandelt, neben den Praktika und der Arbeitssuche auch die erste Anstellung, neben Liebeserwägungen und -versuchen auch das erste Kind, schließlich eine erfolgreiche Geschäftsgründung.

Das erzählt Nikola Richter geradeaus immer weiter und hält dabei über die ganze Buchlänge ein gleichmäßiges mittleres Tempo, das nie die Spannung verliert und in dem man sich schnell so zu Hause fühlt wie in einer kleinen Mozart-Sonate, denn es gibt hier einen kleinen Praller und dort einen kleinen Lauf und könnte darum auch ewig so weitergehen.

Nikola Richter hat ihrem Buch keine Gattungsbezeichnung gegeben, und sie erzählt im Präsens. Ihre Figuren unterscheiden sich nicht wesentlich in ihren Haltungen und Auffassungen, und so wirkt dieses Buch am Ende wie ein sachlicher Zustandsbericht über die Lebensverhältnisse akademisch gebildeter junger Erwachsener.

Sie sind sich durchaus darüber bewusst, dass diese ihre Verhältnisse massiv entwürdigend sind, aber sie wissen einfach zu viel und erkennen darum eher deren Lächerlichkeit, statt trotzig, anklagend, zynisch oder sonstwas zu werden. Sie machen einfach immer weiter, auch ohne Aussicht auf irgend etwas, denn was bleibt einem übrig? Auch wenn man es immer nur praktiziert, geht das Leben vorbei, schneller, als man denkt, und die Lebenspraktikanten wissen, dass sie in der besten aller Welten leben.

NIKOLA RICHTER: Die Lebenspraktikanten. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2006. 190 S., 8 Euro.

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