BRD-Serie (34):Der VW-Käfer

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ARNO MAKOWSKY

(SZ vom 29.08.2001) - "Entschuldige, kannst du das Fenster etwas runterdrehen, damit Luft reinkommt, ich seh gerade nichts mehr. Gib mal das Taschentuch rüber, verdammt, alles verschmiert, scheiß Regen! Warum muss diese Karre immer total von innen beschlagen? Ich lern es einfach nicht, an welchem von diesem blöden Knöpfen man drehen muss, damit die Lüftung - halt, das ist das Licht, aber vielleicht hier... Ogott, der Scheibenwischer! Heh, geh wieder, bitte!!"

Das Glubschauge der Nation - der VW-Käfer. (Foto: Martin Fengel/Herburg-Weiland)

So war das mit dem Käfer. Bei Regen kamen einem die Fahrer stets winkend entgegen, weil sie mit der Hand oder mit dem ganzen Unterarm die Windschutzscheibe zu trocknen versuchten. Sprang er im Winter nicht an, musste man die Rückbank ausbauen, um an die Autobatterie zu gelangen. Bei der Heizung gab es immerhin zwei Möglichkeiten: Entweder sie funktionierte gar nicht oder immer.

Autoradio? Vergiss es, man hörte eh nichts bei dem Geknatter. Ja, das war der Käfer, der 21 Millionen Mal gebaut wurde, der Nazikäfer, der Wirtschaftswunderkäfer, der Flowerpowerkäfer, der Familienkäfer, der Studentenkäfer. 21 Millionen Menschen auf der Welt fuhren winkend durch die Straßen, das muss man sich einmal vorstellen. Seinen größten Erfolg hatte das Auto übrigens nicht in der BRD, sondern in Mexico und Kalifornien - wahrscheinlich, weil es da nicht so oft regnet.

VW-Käfer! Wie nett das klingt, eigentlich zu nett für ein Auto, das Adolf Hitler in Auftrag gegeben hat. Aber passend für einen Wagen, dessen Karosserie nicht nur der Funktionalität unterworfen ist, sondern der mit seinen runden Formen sympathisch, fast unbeholfen wirkt und dessen Scheinwerfer-Augen an ein schüchternes Tier erinnern.

Kein Wunder, dass es Käferbesitzer gibt, die ihren Wagen jahrzehntelang als vollwertiges Familienmitglied betrachten und ihn - müssen sie ihn schließlich doch irgendwann dem Schrottplatz anvertrauen - mindestens so beweinen, als hätten sie gerade den Hund zum Einschläfern gebracht. Natürlich hängt der Siegeszug des Käfers damit zusammen, dass dieses Produkt zwei deutsche Grundbefindlichkeiten virtuos gleichzeitig bedient: Technik-Begeisterung und Tierliebe. Eine Maschine bekommt Leben eingehaucht und wird dadurch zum treuen Gefährten, zum Freund.

Glückliche Käferfamilien

Vielleicht ist diese Gefühlskomponente ja auch die Ursache, dass jeder, aber auch wirklich jeder BRD-Deutsche zum potenziellen Käferfahrer wurde. Klar, dieses Auto war von dem österreichischen Konstrukteur Ferdinand Porsche auf Geheiß der Nazis als "Volkswagen" erdacht worden, und er funktionierte in der frühen BRD als solcher vor allem deshalb, weil er billig war.

Aber auch später, als der Wohlstand längst ausgebrochen und sich die Gesellschaft in VW-, Opel- und Mercedesfahrer aufgeteilt hatte, blieb der Käfer ein Auto für alle: die Kleinfamilienkutsche für den Handwerksmeister, das korrekte Vehikel für die Friedensbewegten, das Spaßmobil für die Erfolgreichen. Er ist Symbol für das solide Leben genauso wie für das Gegenteil. Er ist einfach das netteste Auto der Welt.

Für die frühe Bundesrepublik ist der Käfer, obwohl einem im Winter die Zehen am Gaspedal abfrieren, ein stolzes Symbol für Wohlstand und Wertarbeit. (Ganz im Gegensatz zu seinem ostdeutschen Kollegen Trabi, für den sich die ehemaligen DDR-Bürger so schämen, dass sie ihn schon ein paar Jahre nach der Wende praktisch aus dem Straßenbild verschwinden ließen.)

Der Käfer der fünfziger und sechziger Jahre: in der Erinnerung ein verblassendes, schwach coloriertes Illustriertenfoto. Männer mit Hüten und optimistischem Lächeln sitzen am Steuer, Frauen mit hoch toupierten Frisuren entsteigen glücklich dem Fond; im gepunkteten Kurzarm-Hemd und mit seitengescheitelten Kindern geht es gen Süden, zum Gardasee, nach Jesolo.

Einziges Problem: Das frühe Modell hat nur 22 PS, die glücklichen Käferfamilien bleiben reihenweise auf der Brennerstraße hängen, müssen umkehren und ihren Urlaub in Innsbruck verbringen oder am Chiemsee. Bis die neue Variante mit 34 PS erscheint, ein Käfer, der schnaufend und tuckernd und auf den steilen Stellen in Schrittgeschwindigkeit den Weg über die Alpen schafft, hin zu den Stränden der Adria.

Barbarische Designersünden

Seit diesen Jahren wird jede Innovation an der Käfer-Technik genauestens zur Kenntnis genommen und vor allem von den Liebhabern, die sich republikweit in nostalgisch gesinnten Käferclubs zusammenrotten, zu wichtigen Meilensteinen der Industriegeschichte hochstilisiert.

1953: das "Brezelfenster", also die Rückscheibe mit Mittelsteg, weicht einem größeren Rückfenster. 1965: ein Modell mit Stahlkurbeldach erscheint. 1968 - im Jahr der Studentenunruhen geschieht auch Revolutionäres mit dem Käfer: Der Tank, bisher nur über den vorderen Kofferraum zugänglich, erhält eine verschließbare Klappe, an der Karosserie rechts außen. Und schließlich 1972, ein Schlüsseljahr für Käfer-Fans: Die bis dahin gerade Windschutzscheibe wird von einer gebogenen "Panoramascheibe" abgelöst.

Und als ob das nicht schon genug Anbiederei an die alberne geschwungene Ästhetik der siebziger Jahre wäre, vergrößern die Designer auch noch die bis dato eleganten, schmalen Rückleuchten zu klobigen Riesenlampen. Jeder, der das Wesen des Käfers bis ins Innerste durchdringt, weiß, dass diese barbarischen Designer-Sünden den Beginn des Niedergangs dieses Autos markieren.

Das Ende kommt 1978. In Wolfsburg, das 1938 als "Stadt des Kraft-durch- Freude-Wagens" ausschließlich für die Käfer-Produktion gegründet worden war, rollt das letzte Exemplar vom Band; seitdem wird das Auto nur noch in Mexico gebaut. Seinem Ruhm hat das nicht geschadet, im Gegenteil: Die Republik lernt den Käfer als Gebrauchtwagen von einer völlig neuen Seite kennen. Waren seine Besitzer bisher eher im Milieu der mittleren Angestellten, der Lehrer und Beamten anzutreffen, wechselt seine Klientel mit sinkendem Anschaffungspreis ins studentische Umfeld.

Der Käferfahrer neuen Typs bezieht Bafög-Höchstsatz und schüttet unbekümmert enorme Mengen verbleiten Benzins in den Tank - ist doch egal, Hauptsache das Ding fährt überhaupt: nach Griechenland, zum Baggersee, gerne auch nach Wackersdorf zur Anti-WAA-Demo. Eine gewisse Unbekümmertheit in ökonomischen Fragen ist für Käferpiloten der achtziger Jahre schon deshalb notwendig, weil es gilt, sich gegen die aufkommende Spezies der Golf-Fahrer abzugrenzen.

Total-Verproletisierung

Während letztere vor allem als stromlinienförmige Jurastudenten oder aufgehübschte Kunstseminar-Teilnehmerinnen in Erscheinung treten, denen Effizienz und Karrierestreben über alles gehen, inszeniert sich der Käferfahrer als lässiger Individualist. Viele von ihnen wechseln die benzinfressenden, ständig kaputten Käfer so oft wie die Partner (wobei die Erfahrung nicht ausbleibt, dass dieses Auto als Ort für sexuelle Eskapaden mangels verstellbarer Rückenlehne völlig ungeeignet ist), andere kaufen sich ein schickes Käfer-Cabriolet, dem sie ewige Treue schwören. Sie alle sind immer wieder davon überrascht, dass etwas so überaus Deutsches wie der Käfer so unspießig sein kann.

Und wirklich verhasst ist ihnen nur der deutsche TÜV, der die glückliche, aber zumeist rostige Käfer-Mensch-Beziehung alle zwei Jahre zu zerstören trachtet.

Sozialkundelehrer, Boutiquenbesitzerinnen, Zahnarzttöchter - der Käfer packt einfach alles. Auch wenn's manchmal schwer fällt. Richtig hart tut sich das Auto mit der Total-Verproletisierung, die im Zuge der "Herbie"-Filme in den Siebzigern beginnt. Dort mutiert der "tolle Käfer" zum Rennwagen und entwickelt ein seltsames emotionales Eigenleben, spritzt Bösewichten Öl ins Gesicht und lässt Radkappen fliegen. Seitdem bauen schlichte Gemüter das Auto auch im wirklichen Leben zu abscheulichen Gefährten um, verbreitern die Kotflügel, montieren Spoiler und lackieren die Karosserie in Lilametallic. Es wirkt ungefähr so, als verpasse man Mutter Beimer ein Bauchnabelpiercing.

Für das größte Missverständnis jedoch ist VW selbst verantwortlich: ihr Beetle - ein 40000 Mark teures Auto - hat mit dem Käfer so viel zu tun hat wie Katja Flint mit Marlene Dietrich. Der Versuch, die VW-Legende zu reanimieren, funktionierte nur in den USA, in Deutschland wurde der Beetle ein Flop. Der Käfer ist das Auto der BRD, sein Geist ist dahin, und das Modell der siebziger Jahre, das gelegentlich noch heute über die Straßen tuckert, gilt vor dem Finanzamt inzwischen als Oldtimer.

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