Boris Beckers Autobiografie:Bobbeles Bio: Bumm Bumm!

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Boris Becker hat ein autobiografisches Liebhaberbuch über sich schreiben lassen. Es unterscheidet sich wohltuend von den Auslassungen anderer Promi-Literaten in diesem Herbst. Denn es ist vor allem eines: ernst

CHRISTOPHER KEIL

Vergangene Woche fanden Spaziergänger bei Hamburg Müll von Dieter Bohlen. Der Musiker hatten neben Silber-Service und Badelatschen berufliche Vergangenheit entsorgt: Autogrammkarten, CD's, Videos und Poster, die an das berufliche Wirken mit dem Sänger Thomas Anders erinnern könnten. Beide waren Modern Talking. Und nachdem Bohlen im unlängst publizierten zweiten Abschnitt seiner Daseinsschrift die Zeit mit Anders gelöscht hatte, musste der materielle Rest in den Container.

(Foto: N/A)

Diese Woche legt Boris Becker seine Biografie vor, die auch als Hör-CD erscheint, und zusätzlich kann man die Musik seines Lebens kaufen, 18 Songs, von Elton John bis 2Pac.

Dass Bohlens Müll bebildert und betextet in einer Sonntagszeitung landete, hat viel mit Becker zu tun. Der gewann 1985 im Alter von 17 Jahren das Tennis- Turnier in Wimbledon. Die Deutschen bekamen einen Weltstar, auf den die Bezeichnung auch zutraf. Und der deutsche Glamour bekam eine Muse, auf die er nach dem Zweiten Weltkrieg sehnsüchtig gewartet hatte: Boris am Hof der Monegassen, Boris bei den Windsors. Boris beim Papst. Boris in Bora Bora. Boris in Hollywood. Boris in der Hafenstraße. Boris in der Wäschekammer. Und zwischendrin Siege, immer wieder Siege für Deutschland. Gerne auch mal in vier Wochen auf vier Kontinenten.

Mit Becker entstand viel. Sponsoring zum Beispiel. Oder nachts Aufstehen und "Break!" schreien, dazu Nationalstolz und vor allem der Stolz auf alles, was man plötzlich vorzeigen darf: mein Geld, meine Geliebte, meine Schlagzeile, meinen Müll. Die Klatschgesellschaft hatte sich erfunden und wurde ästhetisiert in Heften, die People-Magazine heißen und in denen man heute sieht, wie sich Politik, Film und Fernsehen, Sport, Mode- und Charity-Adel am gestylten Pool der Berliner Republik niederlassen. Das Wasser ist seicht und der Bekenntnisdrang groß, was zu Autobiografien führt, auch der von Daniel Küblböck - keine Zwanzig, keine Legitimation.

Früher, als Boris Becker noch Tennis spielte, sah er sich das scheckige Treiben gewissermaßen von oben an, bedichtet von Schriftstellern, ausgestattet mit allen Privilegien, belastet noch mit dem Misstrauen, dass da ein ewiges Fest auf seine Kosten gefeiert wird. Er ließ sich selten blicken und verschwand unbemerkt aus der Hintertür.

Mit seiner Autobiografie ist er aktives Party-Mitglied geworden. Es herrscht nur eine Regel: You can check out any time you like, but you can never leave. Also: Vorabdruck-Serie in Bild, Gastauftritt bei Wetten, dass . . .?, diese Woche noch viermal Dauertalk im ZDF bei Kerner, Motto: "Becker mit . . .". Nicht mehr mit seiner von ihm geschiedenen Frau Barbara. Die gibt sich empört und sagte gemeinsame TV-Treffen ab. Becker nimmt es gelassen: Er habe nicht mal die ganze Wahrheit wiedergegeben.

Das ist zu glauben. Doch wäre die ganze Wahrheit nicht das Interessanteste gewesen? Natürlich unterscheidet sich die Analyse seines Lebens gewaltig von den törichten Banalitäten, die das von sich besoffene bunte Prominententum verkauft. Boris Becker hat wirklich etwas zu erzählen. Hätte er Memoiren in Auftrag geben sollen? Würde so eine Lesereise, in der Zufall und Heldentum ironischen Wohlklang verbreiten, Distanz schaffen zu den Heloten eines Systems, das sich auf ihn beruft?

Wahrscheinlich nicht einmal das. In seinem speziellen Fall hat sich meistens jeder berufen gefühlt, genauer zu wissen, was richtig und falsch ist. War es also falsch, eine Autobiografie in den Strom des Zeitgeistes zu legen, weil der gerade einen elenden Offenbarungs-Boom mit sich führt? War es richtig, einen früheren Spiegel-Auslandsredakteur und einen Berater zu bitten, die Lebensgeschichte aufzuschreiben? War es falsch, Rechenschaft abzulegen über eine Existenz, die ohnehin so öffentlich ist wie sonst keine? Was könnte da kommen?

Das Übliche. Ruhm, Scheidung, Niederlagen, Triumphe, die Freunde, Neid, die Kinder, sein Vermögen, die Steuer, Einsamkeit, Jet Set, Tiriac, Stich, McEnroe Steffi und ein beeindruckendes Kapitel über den Vater.

Dass es dabei nicht bleiben würde, verrät allerdings der Titel: "Augenblick, verweile doch . . ." (C. Bertelsmann). Folglich beginnt der Prolog in Goethes Studierzimmer, in dem Faust mit Mephisto wettet. Das ist insofern teuflisch, als doch mit einer Lebenserinnerung das Faulbett - die Reflexion, die Besinnung auf das Schöne - verbunden ist. Und Becker hat viel Schönes erlebt. Wette schon verloren?

Und wenn. Dann gibt es eine neue. Es gibt ja jetzt ein neues Leben nach dem alten, in der Schweiz. Er hat "wieder angefangen", um sein "Glück zu kämpfen". Er ist doch ein Held. Deshalb wurde das Buch geschrieben. Möglicherweise hatten das einige vergessen, und sein Heldentum entfaltet sich deshalb mit großem stilistischen Ernst und mit abendländischer Gefühlsschwere. Alles ist Krieg und Schlacht und Prozess. Sollen die Mütter seiner Gegner heulen, wenn er sich den Skalp ihrer Söhne geholt hat.

1987 holte sich Becker den Skalp von Günther Bosch. Bosch war für ihn "der Mann, der meine Mutter war". Becker provozierte die Trennung. Bosch blieb ruhig, statt "den Hammer rauszuholen", kritisiert Becker: "Er hätte sagen müssen: Jetzt reichts. Stattdessen schwieg er, und ich verlor mehr und mehr den Respekt."

In diesem Sinne: Als Tennisspieler hat Becker sein Publikum instinktiv unterhalten. Seine Biografie ist ein Liebhaberbuch. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.

© SZ v. 10.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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