Bob Dylan im Kino:Mythen mit Blüten in Tüten

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In einigen amerikanischen Kinos ist Bob Dylan in dem apokalyptischen Filmwerk "Masked and Anonymous" zu sehen. Ein schwer verdauliches Werk, das sicher kein bekiffter Wochenendspaß mit Wackelbildern und Requisiten aus der Garage ist.

JÖRG HÄNTZSCHEL

(SZ v. 04.08.2003) Amerika in naher Zukunft: eine Revolution hat das Land verwüstet und in einen Bürgerkrieg gestürzt, die Massen hausen in Pappkartons auf dem Los Angeles Boulevard, man trinkt zum Frühstück Jack Daniels und lässt beim Fernsehen die Hand nicht vom Abzug der Waffe. Jeder Tag bringt Überschwemmungen, Feuersbrünste und Straßenschlachten: Revolutionäre gegen Konterrevolutionäre gegen Söldner der gerade aktuellen Regierung. Das Land ist zu einer Art pan-nationaler Dritten Welt geworden, mit überfüllten Überlandbussen voller Rebellen in Kampfanzügen und alten Weibern mit Goldzähnen, Reiseziel: "To City". Und an jeder freien Wand hängt das Bild des Diktators mit Saddam-Schnauzer und goldbetresstem Pinochet-Wams.

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Nein, es handelt sich hier nicht um das Drehbuch von "Terminator 4", auch nicht um ein halsbrecherisches Szenario aus dem Pentagon-Wettbüro des verrückten General Poindexter. Dies ist das ungemütliche Setting von "Masked and Anonymous" von und mit Bob Dylan, der auf dem diesjährigen Sundance-Filmfestival vorgestellt wurde und am vorigen Wochenende in ausgewählten Kinos in den USA angelaufen ist.

Es ist nicht das erste Mal, dass Dylan vor, hinter oder neben der Filmkamera steht. Seit "Don't Look Back", D. A. Pennebakers Cinéma-verité-Dokument aus den sechziger Jahren, tauchte er unter anderem in Peckinpahs "Pat Garrett and Billy the Kid" auf, und 1978 führte er in "Renaldo and Clara", den er zusammen mit Sam Shepard schrieb, sogar Regie.

"Masked and Anonymous" jedoch ist kein bekiffter Wochenendspaß mit Wackelbildern und Requisiten aus der Garage. Hier gibt es ein Drehbuch, professionelle Kamera, mit Larry Charles von der "Seinfeld"-Serie einen erfahrenen Regisseur und eine All-Star-Besetzung, die selbst Robert Altman neidisch machen dürfte: Jessica Lange, John Goodman, Christian Slater, Giovanni Ribisi, Jeff Bridges, Mickey Rourke, Val Kilmer, Penélope Cruz und Angela Bassett ... Sie allen kreisen um einen unbeweglichen Bob Dylan, der zu einem Drittel er selbst, zu einem Drittel sein eigenes Denkmal und zu einem weiteren der Alt-Barde Jack Fate ist, der "schon erledigt war, bevor er angefangen hat". Warum dieser Film, warum jetzt und warum so verstörend, das dürfte Dylan-Exegeten auf Jahre hinaus beschäftigen. Aber wie sagt Dylan/Fate in einem seiner wie zerlutschten Kautabak aus dem Mundwinkel gespuckten Aphorismen: "Manchmal reicht es nicht, zu verstehen, was die Dinge bedeuten. Manchmal muss man auch wissen, was sie nicht bedeuten."

Oder eben keines von beidem. Fate wird aus einem Erdverlies für politische Gefangene gezerrt, weil man ihn als Verlegenheitsstar eines Benefizkonzerts braucht, das Impresario Uncle Sweetheart vor allem zugunsten seiner eigenen Brieftasche organisiert. Und Fate lässt stoisch alles mit sich geschehen. Traumatisierte Reisegefährten werden vor seinen Augen von Todesschwadronen abgeknallt, ein Reporter mit einem Gitarrenhals erschlagen, doch der Mann verzieht keine Sehne seines Gesichts, das in Ruhe zu studieren man hier alle Zeit der Welt hat. Während rings um ihn das Land im Chaos versinkt, ruckt er allenfalls ein wenig mit dem Kopf wie ein Chamäleon, das sich als Cowboy verkleidet hat. So wird man wohl nie dahinter kommen, ob es sich hier nur um eine "postapokalyptische Sci-fi-Film-noir-Spaghettiwestern-Musical-Comedy" handelt, wie Regisseur Larry Charles heiter befand, oder nicht doch eher um die neurotischen Ängste eines bitteren alten Weißen, der es sich leisten kann, für seine gehässigen Monologe auch noch Eintritt zu verlangen. Viele von Dylans Ego-Vehikel angewiderte Kritiker machten ob der Latino-Horden, der schwarzen Pistoleros und der asiatischen Kämpfer, die den Dschungel nach Kalifornien brachten, aus ihrem Rassismusverdacht keinen Hehl.

Dylan malt das mythische Amerika, das er in seinen Songs seit langem bewohnt, hier zu einer finsteren Allegorie aus, deren minutiöse Details einen prächtigen Hintergrund für das neueste Kapitel in seinem endlosem Roman der Selbststilisierung abgeben. Sogar Gandhi und der Papst, "Jeanne Darkness" und Abraham Lincoln geistern durch das Land zwischen "New Orleans und Jerusalem", Dixieland und Babylon. Auch Dylan, der sich hier schon bewegt wie seine eigene Mumie, wird bald unter ihnen sein: "It's not dark yet, but it's getting there." Unter die Songs, die er mit seiner Band spielt, den besten Momenten des Films, mischt er bizarre italienische und japanische Dylan-Covers wie von einem posthumen Tribute-to-Album. "Die Erde ist hohl", predigt einmal ein Talkradio-Agitator aus einem Kofferradio. Wissenschaftler hätten die Stimmen Millionen armer Seelen aufgezeichnet. Auch Dylan scheint bisweilen schon von dort unten zu sprechen.

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