BMG-Sony-Fusion:Das globale Musikanten-Massaker

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Wenn die Blonden Trauer tragen: Was die geplante BMG-Sony-Fusion für die Popkultur bedeutet - in erster Linie: Die Entsorgung alter Recken, Zicken und Titanen.

TOBIAS KNIEBE

Wenn sich im Wirtschaftsleben Fusionen anbahnen, ergreift die betroffenen Angestellten Heulen und Zähneklappern. Das ist nicht schön, aber so ist das Leben - und weil wir mit neoliberalem Basiswissen gründlich gesegnet sind, wissen wir: Hier folgen Manager, denen selbst die Hände gebunden sind, den Gesetzen des Marktes, die gleich nach den Naturgesetzen kommen und sich mitleidlos Bahn brechen. So geschieht es nun auch bei der geplanten Fusion der beiden Musikriesen BMG und Sony Music. Das Geschäft ist hart geworden, überall wird geschrumpft, und wenn man gemeinsam 25 Prozent Marktanteil hat, schrumpft es sich gleich deutlich leichter.

Das ist Britney Spears - alias: Die Schwarze Witwe - in dem bescheuersten Hütchen der Popgeschichte. Allein das ist traurig genug. (Foto: Foto: dpa)

Aufhorchen lassen jedoch die Details des Deals. Vereinigt werden nur die Labels - die CD-Presswerke, die Plattenauslieferung und die Musikverlage bleiben getrennt. "Es geht um die Konzentration auf den kreativen Kern", sagte BMG-Chef Rolf Schmidt-Holtz. Der kreative Kern der Musik aber, das sind die Musiker - und vor diesem Hintergrund klingt die Ankündigung, dass durch den Zusammenschluss jährlich 200 bis 300 Millionen Euro gespart werden sollen, plötzlich wie eine Drohung: Im Pop, so wie wir ihn kennen, wird kein Thomas Stein auf dem anderen bleiben.

Das Wort, welches bei solchen Gelegenheiten hervorgeholt wird, heißt "Redundanzen". Die müssen zunächst einmal "festgestellt", anschließend aber "konsequent abgebaut" werden. Das klingt zunächst nicht schlimm - deswegen wurde das Wort ja auch erfunden. Tatsächlich aber - merkt auf, ihr kreischenden Teenager, ihr mit euren Idolen ergrauten Rocker! - bedeutet es nichts anderes, als dass es zu viele Popstars auf dieser Welt gibt, die gemeinsam nicht mehr genug Platten verkaufen. So etwas geht nicht im Kapitalismus, das darf nicht sein, da grinst den Kontrolleuren massives Sparpotenzial entgegen. Mal angenommen, die Hälfte aller Popstars könnte entlassen werden - dann würden die Konsumenten ihren Musikbedarf doch einfach dadurch stillen, dass sie Platten von der anderen Hälfte kaufen - oder nicht? So denken jedenfalls die Kontrolleure. Und atmen auf: Nur noch die Hälfte aller Studiozeiten, die Hälfte aller Luxuslimousinen, Privatfriseure, persönlichen Assistenten, nur noch die Hälfte aller zertrümmerten Hotelzimmer.

Die Fusion von BMG und Sony wird also beispielhaft zeigen, wie diese Verschlankung funktioniert. Wo immer beim kreativen Personal der beiden Firmen die berüchtigten Redundanzen auftauchen, kann es anschließend nur noch einen geben. Das geht nicht ohne Hauen, Stechen und Blutvergießen, so viel ist klar - aber einige Verschlankungsprognosen können wir jetzt schon wagen. Viele Dinge nämlich bemerkt auch ein Hobby-Controller auf den ersten Blick: Die Kategorie "ziemlich weißer R'n'B-Sänger mit hoher Stimme und lasziven Bewegungen" beispielsweise: Mit Justin Timberlake (BMG) und Michael Jackson (Sony) eindeutig doppelt besetzt. Timberlake verkauft viel mehr und gewinnt ständig Preise, Jackson fällt nur noch durch Prozesse und verrückte Beschuldigungen auf. Da zählen auch frühere Verdienste wenig: Bye-bye, Jacko!

Doch nicht jeder Fall ist so einfach: Bei "bauchfreies junges Ding mit Latino-Abstammung" droht beispielsweise ein brutales Duell zwischen Christina Aguilera (BMG) und Shakira (Sony). Beide verkaufen bestens, aber Aguilera nervt immer mehr, und Shakira kann zusätzlich bauchtanzen - in diesem Fall, tippen wir, gewinnt Sony. Haarige Sache auch der Fall "verblassende Superdiva": Sollte man hier eher auf Whitney Houston (BMG) oder Céline Dion (Sony) setzen? Ach, was soll's - im Zweifelsfall entscheidet der Würfel.

Wie immer bei großen Globalisierungsprozessen gelten regionale Besonderheiten und Nischenmärkte wenig. Im Zuge der Zwangskonsolidierung "ehrlicher Rock" wird BMG-Maffay von Sony-Springsteen sicherlich hinweggefegt - Liebhaber der deutschen Sprache sollten sich da mal nicht so haben. Britney Spears' konsequente Vorstöße in die nur intern so genannte "Schlampensparte" machen auch Sarah Connor weitgehend überflüssig - da hat dann wieder Sony das Nachsehen. Besonders interessant der Fall "genmanipulierter Herzensbrecher": Entweder Ricky Martin (Sony) reißt sich da noch mal gewaltig zusammen, oder aber "Superstar" Alexander, ein heimisches BMG-Gewächs, lernt schleunigst Spanisch und erobert die lateinamerkanischen Märkte. Beide zusammen wird man sich auf Dauer nicht leisten können. Einen ultrablutigen Endkampf unter Aufbietung aller publizistischen Mittel prophezeihen wir in der Königsklasse "Klatschspalten-Titane, bei denen die Musik keine Rolle mehr spielt": Jennifer Lopez trifft auf - ja, ganz recht - Dieter Bohlen. Das wird grausam, und es kann eigentlich nur damit enden, dass einer von beiden auf eine einsame Insel verbannt wird, sollten sie das Ultimatum des neuen Konzerns, in letzter Minute zu heiraten, tatsächlich ablehnen.

Lange könnte man so noch fortfahren: Annie Lennox vs. Tori Amos, Eros Ramazotti vs. Adriano Celentano, Pink vs. Kelly Osborne. Ein Highlight sicher noch "scheintote Legenden" (Elvis vs. Bob Dylan) - aber das Prinzip ist nunmehr klar: Auch im Pop wird man sich Forderungen nach Effizienz, klarer Produktplatzierung und Abbau von Überkapazitäten nicht länger entziehen können. Das ist es, was die Plattenindustrie uns mit dem Slogan "Copy Kills Music" schon lange sagen wollte. Haben wir deswegen unsere CD-Brenner auf den Müll geworfen, unsere Tauschprogramme von der Festplatte gelöscht, unsere handbeschrifteten Kopien durch teuer erworbene Originale ersetzt? Eben nicht. Und deswegen ist es wie immer bei der so genannten Globalisierung: Egal, ob wir dafür oder dagegen sind - auf jeden Fall sind wir selber schuld.

© SZ v. 14.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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