Blue Man Group:Quatsch mit Soße

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Marshmallow-Weitspucken als Minimal Art: Die sonst etwas enervierende "Blue Man Group" spielt in New York eine turbulente Parodie auf Stadionrock.

Alexander Gorkow

Dass die Kritik Adornos an der Kulturindustrie schockierenderweise kaum das deutsche und natürlich noch weniger das amerikanische Publikum je erreichte, davon kann man sich in den USA immer wieder ein Bild machen.

Wer sich hier auf Konzerten von Bob Dylan, Neil Young oder Roger Waters über lange nicht gespielte, also unpopuläre Lieder freut, muss nach den ersten Tönen auf seinem Sitzplatz sofort die Knie seitlich stellen, um enttäuschte Amerikaner vorbeizulassen. Die nutzen die Darbietung kompliziert strukturierter Songs zum Pinkeln oder Trinken, damit sie bei Knallern wie "After The Goldrush" wieder am Platz sind.

Andere Vorteile

Man sollte das mit Humor nehmen, die Amerikaner haben andere Vorteile, zum Beispiel freuen sie sich wahnsinnig, wenn man mit ihnen Quatsch macht.

Die Blue Man Group, eine Erfindung der New Yorker Off-Broadway-Szene der 80er Jahre, macht zweifellos Quatsch. Sie ist damit sogar zu einem Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen angewachsen. Vor allem Amerikaner und Deutsche lieben die Varieté-Produktionen der drei Blauköpfe zwischen Berlin und Las Vegas. Und während sich in den USA auch die gut gelaunte New York Times begeistert ("radikaler Test der Grenzen kommerziellen Entertainments"), kann man damit im deutschen Feuilleton nicht landen - die Blue Men sind hier so beliebt wie Krieg oder Niederösterreich.

Im Herbst kommen sie mit einer neuen Show auf Tour, für die es gleichwohl in einigen Städten schon jetzt nur noch Restkarten gibt.

Viel Silberhaar mit Budweiser

Im Nassau Coliseum auf Long Island begeisterte diese Produktion der Gruppe rund zehntausend Menschen, was auch deshalb nicht unkomisch ist, da man sich eigentlich über diese Menschen lustig macht: über die Sehnsucht der nach Konsens darbenden Mittelschicht nach Stadionrock und den alten Zeiten, denn, mein Gott, es war doch nicht alles schlecht . . .

Zu sehen sind im Publikum Familien in Bruce-Springsteen-T-Shirts, von denen einige in drei Generationen anrücken, da sitzt viel Silberhaar mit Budweiser und kriegt sich kaum ein vor Bombenlaune, doch wuseln zwischen den Stuhlreihen der gigantischen Halle auch sehr viele kleine Kinder umher, die gleich mächtig auf ihre Kosten kommen werden.

Die rund zweistündige Show der drei Glatzköpfe besorgt es diesem tobenden Mittelstand gewaltig, denn die launige Rahmenhandlung der "How To Be A Megastar"- Welt-Tournee spielt mit den Stupiditäten großer Rockbands ebenso, wie sie dem musikalischen Output von Gruppen wie The Who oder Pink Floyd Respekt zollt - und auch sich zu einiger Größe hochgepiepsten Disco-Susis wie Donna Summer oder Madonna.

Multimediale Riesenperformance

Die gewöhnlichen Rituale des Publikums (Headbanging, Faust in die Luft und so weiter) sind ebenso Bestandteil, wie die eingangs erwähnte Hingabe des Volks nach bekanntem Material parodiert wird - so wird also die Pornographie der schönen Stellen bedient wie demoliert.

Wesentlich geht es in der Show, die mit den etwas enervierenden Varietés der Gruppe kaum etwas gemein hat, darum, dass die drei blauen Männer in einer multimedialen Riesenperformance bei einem überaus lustigen TV-Verkaufssender ein "Rockstar Manual Kit" bestellen, die Bedienungsanleitung abarbeiten und also sämtliche Rituale einstudieren (als Zugabe gibt es einen Champagnerschnorchel, an dessen Ende ein Trichter angebracht ist, in dem der Inhalt einer Flasche Veuve Clicquot Platz findet!).

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum die Blue Man Group in einigen Momenten mehr bietet, als man ihr eigentlich zutraut.

Das Ganze wird von einer achtköpfigen Band unterstützt, die mit deutlich mehr Leidenschaft dabei ist als etwa die grundsätzlich depressiven Mietmusiker gewöhnlicher Westend-Produktionen zwischen New York und London.

Und auch, wenn die für die Blue Man Group üblichen Schlag-, Zisch- und Wirbelpeitscheninstrumente dabei sind, so sprengen die Ausmaße dieser Produktion in Größe sowie in Fragen der Klang- und Lichttechnik alles, was die Gruppe bisher auf die Beine stellte.

Mitunter sehr komisch ist dabei die emotionslose Idiotie der drei Blaumänner beim perkussiven Einstudieren großer Heuler der Rockgeschichte, ihr Anti-Eros beim Tanz sowie ihre Ratlosigkeit angesichts ausufernder Gitarrensoli.

Nicht bedeutungsschwer

Was hier und an diesem Abend nicht greift: der Mummenschanz-Verdacht. Eher sieht es manchmal nach Kraftwerk und Minimal Art aus. Es wird wohl auch nicht um das Vorspielen einer tieferen Bedeutung gehen, wo diese nicht da wäre, denn wenn die drei über circa 50 Meter hergeworfene Marshmallows mit dem Mund fangen und die darin enthaltene Lebensmittelfarbe über die Zuschauer versprühen, ist das nicht bedeutungsschwer, sondern eben Quatsch, allerdings solcher, der gut ausschaut.

So erscheinen einem die drei auch nicht als rührselige Clowns, von denen man ja weiß, dass Kinder sie hassen, sondern als rhythmisch begabte Idioten, die vor den Ritualen der Welt verstummen - eine beneidenswerte Gabe, die weniger Blauen leider nicht gegeben ist.

Dass die eingangs erwähnte Erwartungshaltung der weißen Mittelschicht an diesem Abend bedient wie unterlaufen wird, davon zeugen heitere Call-and-Response-Akte mit dem Publikum, wie aber eben auch: ein paar musikalisch starke Darbietungen, die oft komisch sind, in anderen Momenten dafür schlicht groß.

Andeutung einer neuen Dimension

Der Nukleus des überragend quirligen Synthiedreiklangs, mit dem Madonnas "Like A Virgin" startet, wird auf den komplizierten Röhreninstrumenten ebenso perfekt herausgeschält, wie im Zusammenspiel mit der Band das Gefahrenpotential des Pink-Floyd-Schockers "One Of These Days".

Da erlebt man plötzlich etwas, was man nun gar nicht erwartet hatte: die Andeutung einer neuen Dimension. Dies wiederum muss man vor Kindern und ihren auf Kulturkrimskrams abonnierten Eltern erst einmal bringen, ohne mit leeren Bierbechern beworfen zu werden.

Jubel - der sogleich wieder ironisiert wird. Denn sogar wie man sich am Ende eines Rockkonzertes in Rage applaudiert, erschöpft und sich dann noch Resteuphorie für die Zugabe aufhebt, wird im "Rockstar Manual" ordentlich einstudiert und so in die Spezialhölle der Entertainmentindustrie geschickt. Sollte dahinter aber am Ende doch Gesinnung stecken? Isolation? Verblödung durch Maskierung? Also . . . ein bisschen vielleicht. Aber nicht so viel wie einst in den 80ern bei der furchtbaren Laurie Anderson und ihrer schlimmen Elektrogeige.

Eskapismus zum Totlachen

Die Blue Man Group setzt mit dieser Monstershow auf Eskapismus zum Totlachen, und alleine das ist die nicht zu unterschätzende Botschaft. Der alte Adorno übrigens wäre natürlich auch hier wahnsinnig geworden. Aber wenn man sich schon verarschen lässt ein Leben lang, dann an so einem Abend gerne auch mal auf die blaue Art.

(Die Tour gastiert im Oktober und November in Bremen, Hannover, Erfurt, München, Frankfurt, Leipzig, Hamburg, Köln und Nürnberg.)

© SZ vom 9.5.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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